Category: Buch-Tipp/Veröffentlichung

Der Nicht-Skandal des Doping

Seit dem 17. Januar 2024 ist der bereits 2019 erschienene Sammelband “Kritik des Anti-Doping” als open access verfügbar. Sind die da versammelten Beiträge denn immer noch relevant, habe ich mich vor dem Schritt gefragt. Und ja, sind sie. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung kam der Fall der Läuferin Sara Benfares (DLF, 4.2.2024, relativ umfangreicher Bericht, mit einer Suche lassen sich aber viele Berichte seit Januar und zu ihrer Person auch davor finden). an die mediale Oberfläche. Eine A-Probe war positiv, sie wurde gesperrt, die Medien berichteten, ziemlich unfangreich. Das übliche Geraune, Beteuerungen, Gegendarstellungen, Sperren, moralisierende Statements. Soweit, so üblich. Ein Skandal – oder eigentlich nicht, den das Kontrollsystem hatte seine Arbeit gemacht, eine Sünderin ausgemacht und nun geht es nach den Regeln der NADA und der Verbände weiter. Warum also darüber noch mehr Worte verschwenden. Sie hat doch Schuld, oder?

KI als Verheißung

Dass Künstliche Intelligenz mehr ist als nur eine Technologie bzw. wie alle Technologien auch Symbol für etwas, Projektionsfläche für Wünsche, ja gar für Utopien einer besseren Welt sind, ist nichts neues, schon gar nicht hier im Blog. Dass es jetzt ein Buch dazu gibt, ist daher umso schöner.

Der geschätzte Kollege Stefan Selke hat mit “Technik als Trost. Verheißungen künstlicher Intelligenz” (transcript, leider nicht open access) eine Analyse veröffentlicht, die einen Blick wert ist. Gerade weil sie jenseits der Technik geht, jenseits der Profit-orientierten Werbesprüche von Politik, Unternehmen und der vielen Blender geht, die damit alles so schön praktisch machen wollen.

Verheißungen über Künstliche Intelligenz (KI) sind spekulative Bedeutungszuschreibungen und Heilsversprechen, die aus KI ein kollektives Tröstungsprojekt machen – so die These von Stefan Selke. In einer Metastudie vergleicht er vier prototypische Zukunftsnarrative und zieht dazu Quellen von Fachtexten bis zu Science-Fiction heran.

Aus der Werbung zum Buch

In diesem Zusammenhang sei dann auch nochmal an das wundervolle Buch von Robert Feustel erinnert: „Am Anfang war die Information. Digitalisierung als Religion”, welches sich hier mit Gewinn als Ergänzung lesen lässt.

Forschung und Artikel zu Chilling Effects

Der von mir sehr geschätzte Pete Fussey hat gemeinsam mit weiteren Kollegen zwei Aufsätze aus einem Forschungsprojekt zu Überwachung in Uganda und Zimbawe veröffentlicht. Es geht darin um den so genannten und auch hier schon mal thematisierten Chilling Effect.

  • Daragh Murray and others: The Chilling Effects of Surveillance and Human Rights: Insights from Qualitative Research in Uganda and Zimbabwe, in Journal of Human Rights Practice, huad020, https://doi.org/10.1093/jhuman/huad020
  • Stevens, A., Fussey, P., Murray, D., Hove, K., & Saki, O. (2023) ‘I started seeing shadows everywhere’: The diverse chilling effects of surveillance in Zimbabwe, in Big Data & Society10(1). https://doi.org/10.1177/20539517231158631

Das mit dem Chilling Effect, wie er vor alle nach Snowden immer wieder mal vorgebracht wurde, wurde auch von mir schon kritisch betrachtet – in den Aufsätzen wird aber auch hervorgehoben, dass diese Art der Selbstzensur eng verbunden ist mit den realen Konsequenzen in diesen Ländern, wo Kritiker eingesperrt werden, verschwinden oder sich anderen Repressalien ausgesetzt sehen. Das ist dann schon ein Unterschied zu den in westlichen Ländern vermuteten Auswirkungen auf die Selbstzensur, z.B. von Journalist:innen oder Wissenschaftler:innen.. Aber mehr Forschung ist ja immer gut und von daher freue ich mich über neue Beiträge zu der Debatte. Lesenswert!

Phil Agre, wiederentdeckt

Auf einer Tagung zum Thema Sprachassistenten des Projektes B06 – Un/erbetene Beobachtung in Interaktion: „Intelligente Persönliche Assistenten“ (IPA) des SFB Medien der Kooperationen (lange Vorrede) verwies der Kollege Till Heilmann auf den Informatiker und Netzvordenker Phil Agre.

Von dem hatte ich lange nichts gehört, nicht zuletzt da er vor 10 Jahren wohl komplett von der Bildfläche verschwunden ist. Ich bin in den 1990er Jahren seinem Newsletter RedRockEater gefolgt und habe noch etliche der Ausgaben in meinem Email-Archiv.

Das habe ich als aber eine Gelegenheit ngenommen mal zu googlen, was an Texten noch verfügbar ist – denn die sind durchaus lohnenswert. Surveillance war auch da schon bei ihm ein Thema, was mich noch nicht so zentral interessierte damals. Ich war mehr auf die frühen Internetanalysen und Netzutopien fokussiert. Der englische Wikipedia-Eintrag gibt ein paar Informationen und reichliche Links zu seinen Texten. Seine eigene Seite an der UCLA, die bis 2004 aktuell ist, hat weitere Links und Texte.

Hervorheben will ich hier vor allem diesen Artikel:

Philip E. Agre (1994) Surveillance and capture: Two models of privacy, The Information Society, 10:2, 101-127, DOI: 10.1080/01972243.1994.9960162 – hier als pdf und reprint frei im Internet zu finden. https://djp3.westmont.edu/classes/2017_01_CS195/readings/CaptureModelOfSurveillance.pdf

Vielleicht habt ihr ja auch Spaß am (Wieder)Entdecken

Desinformation als tödliches Geschäftsmodell

Wen sollte es wundern, dass im Überwachungskapitalismus – eigentlich mag ich den Begriff gar nicht so gern, aber es lassen sich kurz und bündig damit ein paar Umstände beschreiben – auch die Desinformation Teil des großen Spiels und der Wertschöpfung ist.

Das Team der Forbidden Stories hat dazu eine 7-teilige Serie gefertigt, die sich unter dem Titel Story Killers mit Falschinformationen und den mitunter tödlichen Folgen beschäftigt, die diese haben können – und will man nur darüber berichten. Denn so ein Fall ist der Anfangspunkt der Recherchen und auch der lesenswerte Serie.

In 2017, journalist Gauri Lankesh was assassinated in Bangalore days before she planned to publish an article about disinformation. Over five years later, Forbidden Stories pursued Lankesh’s work on fake news and explored new leads in her murder case.

Buch: Soziologie der Privatheit

Auch wenn Privatheit nicht die Kehrseite der Überwachung ist, wie häufig in eher populären (und vereinfachenden) Diskursen und Beiträgen gemutmaßt wird, so ist ein Buch zur Soziologie der Privatheit auf jeden Fall einen Tipp hier im Blog wert.

Eine Rezension muss folgen, wer also möchte, ich würde mich freuen.

Carsten Ochs: Informationelle Teilhabebeschränkung vom Reputation Management bis zum Recht auf Unberechenbarkeit. 2022, Weilerswist: Velbrück Wissenschaft. Veröffentlicht als Open Acess.

Trotz aller genealogischen Unschärfe und normativen Uneinigkeit hinsichtlich ihrer politischen Bewertung gilt die Praxis des Unterscheidenszwischen Privatem und Öffentlichem nicht nur als zentrales Strukturprinzip der Moderne, sondern ebenso als gegenwärtig soziodigital gefährdeter Strukturierungsmodus. Informationelle Privatheit, so scheint es, löst sich auf unter dem Ansturm von digital-vernetzter Selbst-Konstitution, allgegenwärtiger Datafizierung und den probabilistischen Vorhersageverfahren des maschinellen Lernens.

Anonymität und Forschung im digitalen Raum

Ich möchte gern auf diesen Artikel hier aufmerksam machen, der ein paar interessante Punkte aufgreift, die für die Forschung selbst wichtig sind. Wenn es auch nicht um Überwachung als Thema geht, so geht es um die Möglichkeiten von Erkennbarkeit, den Schutz von Forschungs- und Interviewpartnern und den qualitativen Forschungsprozess. Diese Aspekte werden in der Diskussion noch zu wenig berücksichtigt, wenn wir uns immer auf die anderen, auch wichtigen Arten und Formen der Überwachung konzentrieren. Lesenswert!

Traces of Interaction in Digital Space: On the Tension Between Public Accessibility and Anonymity in Qualitative Research Processes, von Susann Bischof, Franziska Lengerer & Frank Meyer, erschienen im Forum Qualitative Sozialforschung, 23(3), 23(3). https://doi.org/10.17169/fqs-23.3.3893

Kommunikation und Krise

Das Journal communication +1 hat sich in seiner aktuellen Ausgabe dem Thema Krise und Kommunikation gewidmet: Volume 8, Issue 1 (2021) Crises and Communication, hier direkt zur aktuellen Ausgabe: https://scholarworks.umass.edu/cpo/

 To understand the effects of crises on communication, it is important to consider the history of systems of mediation that have both limited and encouraged access, participation, and equity across knowledge, space, and culture. What have crises, both present, perpetual, and past, intimated about flaws, gaps, and inequities in systems of communication that are overlooked or disregarded under “normal” (if “normal” exists) conditions?

Buch: Perspektiven der Polizeiforschung

Als Ergebnis der ersten Nachwuchstagung zu Empirischer Polizeiforschung vom letzten Jahr in Berlin gibt es einen schönen Sammelband mit verschiedenen Beiträgen – und als open access auch für alle zugänglich.

Herausgegeben wurde der Band von Clemens Arzt, Nathalie Hirschmann, Daniela Hunold, Sven Lüders, Christoph Meißelbach, Marschel Schöne, Birgitta Sticher (Hrsg.)

Perspektiven der Polizeiforschung (pdf)

Kartografie des Risiken, jetzt open access

Mein Artikel Kartografien des Risikos. Das Unbekannte und die imaginären Geografien der Sicherheit, erschienen 2014, ist seit kurzem auch als open access zugänglich. Die Zeitschrift Kritische Berichte hat einen open access-Auftritt umgesetzt und viele Artikel sind darauf nun frei als CC-Lizenz zugänglich. Leider nicht alle, aber doch schon viele und das ist absolut begrüßenswert.

NIls Zurawski: Kartografien des Risikos. Das Unbekannte und die imaginären Geografien der Sicherheit. Kritische Berichte, Bd. 42, Nr. 3, 2014.