Category: Buch-Tipp/Veröffentlichung

Sofsky und die Privatsphäre

Wolfgang Sofsky, Soziologe und seit einigen Jahren schon ein zumindest interessanter Denker, hat sich seit einiger Zeit auch zum Thema Überwachung und Kontrolle geäußert. Zuletzt am Sonntag in der FAS mit dem Essay “Im Innern der Zitadelle ist alles erlaubt. Moralprediger, Toleranzprüfer, Steuereintreiber: Sie alle greifen die Privatsphäre an. Dabei ist sie der Hort der Freiheit.”

Es sind alllemal interessante Gedanken und Perspektiven, mit denen er dass Thema Privatsphäre anpackt und so als Denker auch für die Surveillance Studies wichtig wird. Allein dass er Privatheit als solche wie eine Festung betrachtet, die es zu schützen gilt, ist zumindest in der Wortwahl eine andere Wendung und Sichtweise davon.

Wie jede Freiheit ist Privatheit zuerst negativ. Die Mauern sind Bollwerke gegen äußere Eindringlinge und innere Verräter. Sie werden verteidigt, indem man seine Geheimnisse wahrt, fremder Einmischung Schranken setzt, ein Glacis sozialer Distanz planiert. Der Privatier legt Wert auf Abstand. Weil Menschen jederzeit verletzbar sind, können sie einander stets gefährlich werden. In der physischen Konstitution des Homo sapiens findet Privatheit ihren letzten Grund.

Ist Paranoia also gut – und wenn ja, welche? Privatshäre bzw. ihre Verteidigung kann also durchaus verschiedene Gründe haben – ein Geheimnis bewahren, eine Verschwörung planen, seine Integrität schützen oder einfach nur in Ruhe gelassen werden. Es geht immer um das Private auf der einen und immer häufiger den Staat auf der anderen (und andere Akteure, die an unsere Daten und unsere Gedanken wollen).
Es kommt wenig aus deutschen Landen zu dem Thema auf den Tisch, dass nicht mit Datenschutz oder Recht zu tun hat, Sofsky liefert bestimmt eine andere Perspektive, die theoretisch neues Futter bietet.

Buch: Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten. Eine Streitschrift. 2007.

Buch: Surveillance Studies – an Overview

Von David Lyon, einem der führenden Forscher zu Überwachung, ist gerade ein neues Buch erschienen:
Surveillance Studies. An Overview
bei Polity Press. Damit gibt es jetzt auch eine Einführung im Englischen zu diesem Thema. So weit sind wir in Deutschland noch nicht – eine erste Bestandsaufnahme gibt es allerdings in dem Buch Surveillance Studies – Perspektiven eines Forschungsfeldes, das von mir herausgegeben wurde. Mehr zum Buch, sobald ich es habe.

Neue Ausgabe: Surveillance & Society

Die neueste Ausgabe von Surveillance & Society ist online: Surveillance and Criminal Justice Part 1.

Aus dem Inhalt:

  • Torin Monahan and Tyler Wall: Somatic Surveillance: Corporeal Control through Information Networks
  • Anthony Minnaar: The implementation and impact of crime prevention / crime control open street Closed-Circuit Television surveillance in South African Central Business District
  • William Bloss: Escalating U.S. Police Surveillance after 9/11: an Examination of Causes and Effects
  • Pete Fussey: An interrupted transmission? Processes of CCTV implementation and the impact of human agency
  • Amber Marks: Drug Detection Dogs and the Growth of Olfactory Surveillance: Beyond the Rule of Law?

Veröffentlichung: Online-Suche und Marketing

„Think of it first as an advertising system“: Personalisierte Online-Suche
als Datenlieferant des Marketings von Theo Röhle bei “Kommunikation und Gesellschaft”. Gerade erschienen und sicherlich für die Surveillance Studies und alle Interessierten lesenswert.

Suchmaschinen gehören seit langem zu den wichtigsten Werbeträgern im Netz und es wird mittlerweile offen zugestanden, dass die gezielte Vermarktung von Werbeplätzen sich zur Kernaufgabe der Suchmaschinenbetreiber entwickelt hat. Um dem Ruf nach relevanteren Suchergebnissen nachkommen zu können, binden neue Formen der personalisierten Suche immer weitere Bereiche des Nutzerverhaltens in den Suchprozess ein, gleichzeitig schaffen die gesammelten Daten aber auch die Grundlage für eine noch engere Verzahnung ökonomischer Interessen mit dem persönlichen Nutzungskontext. Mit Bezug auf aktuelle Theoriebildung aus den „Surveillance studies“ diskutiert der Beitrag die Rolle der personalisierten Suche als Bindeglied zwischen Nutzer und Werbung.

Werbung, Konsum und Überwachung

Unter dem Titel “Orwell im Netz” hat die Zeit einen interessanten Artikel zu den Kollateral-Schäden des Online-Marketing veröffentlicht. Allen voran betreibt Google das “geheime” Marketing, wie die Zeit es nennt, mit großem Elan. Das das uns Nutzer durchaus betrifft und nicht nur ein zu vernachlässigender Effekt der schönen neuen Online- und Konsumwelt ist, wird dort sehr schön beschrieben (und ist auch so neu nicht):

Wohin die Sammelwut personenbezogener Daten führt, beschreibt das Internet-Portal Yahoo ganz unverhohlen auf seiner Webseite. An einem Tag generiere Yahoo mit 16 Terabyte weltweit mehr Nutzerdaten als der weltgrößte Einzelhandelskonzern Walmart in einem ganzen Jahr, protzt der Internetdienstleister. Datenspezialisten leiten daraus Verhaltensmuster ab, qualifizieren Benutzergruppen und entwickeln komplexe Modelle für Entscheidungsprozesse vor dem Kauf. Das Ziel: Die Anzeigen soll genau dann eingeblendet werden, wenn die Kaufabsicht feststeht und der Interessent dabei ist, eine Entscheidung für eines der Angebote zu treffen.

Neuerscheinung: Surveillance Studies

Nun ist es soweit. Das Buch zur Erkundung des Feldes der Surveillance Studies ist erschienen:

00000119_000.jpg

Nils Zurawski (Hg.): Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes. Opladen 2007, Verlag Barbara Budrich.

Inhalt:

  • Christiane Schulzki Haddouti, Blick in die Zukunft der Überwachung
  • Eric Töpfer, Zwischen Risikomanagement und Risiko. Diskurse der Videoüberwachung”
  • Peer Stolle / Tobias Singelnstein, Eine Rationalität der Sicherheit. Zu gesellschaftlichen Bedingungen sozialer Kontrolle und ihres Wandels
  • Manfred Rolfes, Konstruktion und Konstrukteure sicherer und unsicherer Räume. Beiträge aus der Sicht der Humangeographie
  • Leon Hempel, Zu Evaluation von Überwachungsmaßnahmen.
  • Nils Zurawski, Wissen und Weltbilder. Konstuktionen der Wirklichkeit, cognitive mapping und Überwachung. Was Kartierungen uns über Überwachung und Sicherheit sagen
  • Gisbert van Elsbergen, Überwachung und Kriminalprävention – Ansätze der Kriminologie
  • Gerrit Hornung, Möglichkeiten und Grenzen der rechtlichen Bewertung neuer Überwachungstechnologien
  • Martin Henatsch, Zur Ambivalenz von Sicherheit und Kontrolle in der Bildenden Kunst

Report zu Überwachung, Privatsphäre und Technologie im UK

Die Royal Academy of Engeneering hat einen eigenen Report veröffentlicht, der sich mit den Herausforderungen des technologischen Wandels beschäftigt: “Dilemma of Privacy and Surveillance. Challenges of Technological Change” (pdf).

Advances in technology have the potential to do great good, but they also carry the risk of doing damage if they are introduced without proper care and forethought. One of The Royal Academy of Engineering’s priorities is to lead debate on matters of engineering by guiding thinking, influencing public policy making and providing a forum for the exchange of ideas. This report is a contribution to the public debate on information technology and its possible impacts on our privacy. (aus dem Vorwort des Berichtes).

Gefahr im Überfluss

Frisch aus der Presse: Tobias Singelnstein und Peer Stolle in Jungle World. Gefahr im Überfluss – ein Vorabdruck einer gekürzten Fasssung ihres Beitrages zum Buch “Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes”, das im März (also bald) erscheinen wird.

Übrigens: Heute ist das Blog hier ein Jahr alt. Eure Meinung und Vorschläge zum Bisherigen und für die Zukunft nehme ich gern entgegen – wozu sind Kommentare sonst da…

Hilfloser Datenschutz – Neuer CILIP-Themenschwerpunkt

Unter dem Titel “Hilfloser Datenschutz” ist Anfang Februar die neue Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei / CILIP erschienen. Online finden sich leider nur das kurze Editorial und die englischen Summaries. Aber allein der erste Artikel von Heiner Busch “Verrechtlichung, Individualisierung, Entpolitisierung” ist äußerst lesenswert. Seine Diagnose: Angesichts der voranschreitenden Verrechtlichung staatlicher Überwachungsvollmachten reduzierten sich die Interventionsmöglichkeiten des offiziellen Datenschutzes zunehmend auf die Verfolgung von Missbrauch, während der Gebrauch von legalisierten Maßnahmen der Kritik entzogen werde. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht mit seinen Urteilen zum Großen Lauschangriff und der Telefonüberwachung deutliche Grenzen gezogen, schütze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung uneingeschränkt allerdings nur in den eigenen vier Wänden (“Schlafzimmer-Datenschutz”). Implizit wird der öffentliche Raum damit vom schützenswerten Forum demokratischer Willensbildung umdefiniert zum “gefährlichen Ort”, der im Interesse des Gemeinwohls zu überwachen sei.

Überwachungs-Special bei der Zeit Online

In der aktuellen Ausgabe der Zeit findet sich ein Dossier zum “Überwachungsstaat Großbritannien”. Wer es noch nicht wusste, der weiß es jetzt: Die Briten, allen voran der scheidende Premier Tony Blair, finden das ganz klasse. Die Einschätzung, dass sich

das Mutterland der Demokratie sich zum rabiatesten Überwachungsstaat der westlichen Welt verwandelt”

ist nicht neu – spätestens seit dem Bericht des Surveillance Studies Network im letzten November. Eine Sammlung von Artikeln aus der Zeit zu Datenschutz und Terrorbekämpfung steht ebenfalls online, in denen es vor allem um Überwachung geht. Die Themengliederung ist zwar etwas unglücklich – Überwachung ist mehr als Terrorbekämpfung und auch die Presse sollte das inzwischen mitbekommen haben – es verkauft sich vielleicht besser, naja gut… eine kurze Rezension des Artikels folgt, wenn ich damit ganz durch bin und mir ein paar mehr Gedanken gemacht habe.