Rezension: Critical Criminology of Sport

Rezension: zusammen mit 

Derek Silva, Liam Kennedy (eds.): Power Played. A Critical Criminology of Sport. 2022. Vancouver: UBC Press

von Nils Zurawski, Hamburg

Sports & Crime ist keine besonders neue Kombination, man denke nur an die Themen Wettbetrug, match fixing oder Doping. Darüber hinaus spielt das Thema Gewalt eine wichtige Rolle, nicht zuletzt weil Sport immer auch eine zentrale körperliche Komponente hat. Hier wäre der Bereich der sexualisierten Gewalt insbesondere zu nennen. Sportarten wie Leichtathletik, Turnen und Schwimmen scheinen prädestiniert zu sein für solche Übergriffe und Taten, aber auch Fußball, Rugby oder Tennis haben in der Vergangenheit mit ähnlichen Nachrichten auf sich und diese problematischen Entwicklungen, zumeist in der Vergangenheit, auf sich aufmerksam gemacht.

Auf der anderen Seite wird Sport immer wieder auch genannt, wenn es um Maßnahmen geht, Jugendliche Straftäter zu erreichen, mit Ihnen sozialarbeiterisch zu arbeiten. Dem Sport werden dann präventive bis hin zu integrierende, rahmensetzende Möglichkeiten zugesprochen. Mit Sport gegen Kriminalität bzw. das Abrutschen von Problemkindern. Beliebt ist es auch zwischen Polizei und Jugendliche Fußballspiele (einmalig oder als Dauereinrichtung) auszutragen – auch und vor allem die Polizei glaubt sehr an erzieherische und sozialarbeiterische Maßnahmen. Ob das alles wirkt und wenn ja, in welcher Weise, dazu gibt es weniger Erkenntnisse. Da Sport aber mehr ist als nur die in den Medien zumeist kolportieren Ergebnisse und bunten Geschichten, ist es auch ein Feld für die Kriminologie. Für die Soziologie ist es ohnehin ein Thema, wenn auch nur eines am Rande, eine Bindestrich-Soziologie. Letzteres verwundert bei der Allgemenwärigkeit des Sports sowohl in der Realität vieler Menschen, aber vor allem im öffentlichen Leben und da insbesondere in den Medien.

Eine kritische Kriminologie des Sportes scheint daher mehr als angezeigt und zeitgemäß zu sein. Silva & Kennedy haben mit ihrem Sammelband nun einen thematischen, methodischen und theoretischen Überblick geschaffen. Im Anschluss an die bereits 2016 erschienene „Sports Criminology. A critical criminology of sports and games“ von Nic Groombridge, ist das hier eine sehr anschauliche Sammlung, die viele Felder abdeckt. Es ist daher auch keine Überraschung, wenn das Nachwort des Bandes von Nico Groombridge selbst geschrieben wurde. Noch weniger wenn man in der Einleitung die von den Herausgebern gemachten Bezüge zu diesem Autor liest.

Warum braucht es überhaupt eine explizit ausgewiesene Kriminologie des Sport, noch dazu eine kritische? Würde es nicht reichen, Sport als ein Feld wie viel andere zu sehen und hier entsprechende Forschungen anzusiedeln? Die Gegenfrage, die auch Silva & Kennedy stellen, ist, ob Sport überhaupt ernst genug genommen wird, um derartige Fragen zu bearbeiten. Ernst genug, um diese Probleme speziell der Logik und den sozialen Strukturen des Sport selbst zuzurechnen? Das zumindest ist ihr Anliegen (12f.). Der Sport in all seinen Verzweigungen ist mehr als nur ein Spiegel von Gesellschaft. Oft wird ihm eine besondere Kraft zugeschrieben, vor allem aber kulminieren hier verschiedene soziale Probleme und Phänomene, die dann nicht nur unter einem Brennglas, sondern vor aller Öffentlichkeit verhandelt werden und entsprechend eine Wirkung zeigen – im positiven wie im negativen.

Das Themenspektrum des Bandes ist weit – und dennoch fehlen noch ein paar Themen, dazu später noch. Eingeteilt in vier Teile versammelt der Band 14 Aufsätze sowie die bereits erwähnten Einleitung und Nachwort. Der erste Teil ist theoretisch orientiert und die drei Beiträge versuchen Bereiche zu erkunden, die möglicherweise in der Zukunft einer kritischen Kriminologie des Sport eine Rolle spielen könnten: die Umwelt, Sport-bezogene Gewalt, die nicht auf Fans konzentriert ist, sowie eine Ultra-realistische Untersuchung des Feldes Sport im Sinne eines
(De)Zivilisierungsprozesses. Damit wird an Elias und Dunning angeknüpft, die beiden Soziologen und Theoretiker, für die Sport ein wichtiges Element in ihren Theorien war, insbesondere bezüglich eine Prozesses der Zivilisierung, wie Elias ihn weithin theoretisch ausgeführt hat.

Die weiteren Teile sind thematisch orientiert. Teil zwei versammelt Beiträge zu den Themen Race, Class, Gender und Sexuality, Teil drei schaut sehr spezifisch auf Schädeltraumata und Gewalt bei Athleten (gegen diese oder unter ihnen) Hervorzuheben ist hier der Artikel der diese Schädel-Hirn-Traumata mit Gewalt und verurteilten Mördern verbindet und hier eine kritische Aufarbeitung jenseits des Glamour des American Football unternimmt (Ventressa & Henne: Is CTE a Defence for Murder? 177–200). ; Teil vier fokussiert auf Gouvernance, Überwachung, Sicherheit und das Gefängnis. Die erste drei Themen sind in der Tat Felder, wo es bereits einiges an Literatur im Zusammenhang mit Sport gibt – auch wenn es dort meistens nicht zu einer theoretischen Verortung als kritische Kriminologie des Sportes gekommen ist. Insbesondere die Themen Sicherheit und Überwachung bei Mega-Events ist gut beschrieben (vgl. z.B. Überwachung und Sport, S&S Vol. 11/4). Hier werden allerdings noch einmal weitere Aspekte aufgeführt, die einen Blick auf Ungleichheiten sowohl im globalen Maßstab im Zuge der Olympischen Spiele sowie vor Ort bei den Spielen in London 2012 werfen. Dort vor allem auf die im Zuge der Spiele beobachteten Polizeipraktiken gegen Jugendliche und arme Menschen, die sich, so die Autorin, bis heute fortgesetzt haben. Ob es hier genuin um den Sport als solchen geht oder die Spiele vor allem ein Katalysator für diese Maßnahmen dienten, bleibt unklar. Auch stehen gerade der Sport und das Umfeld olympischer Spiele in einem starken Spannungsverhältnis, denn auch wenn es Sportspiele sind, liegen die größten Probleme von Olympia jenseits des Sports. Unter dem Begriff der Governance lässt sich das aber auch mit den Mitteln einer kritischen Kriminologie bearbeiten.

Die Beiträge zum Feld Sport und Gefängnis sind da dann doch schon etwas interessanter, weil hier ähnlich den Jugendlichen, Sport ein pädagogisch positive Rolle einnehmen soll. Ob dieser Anspruch gerechtfertigt ist und was die Konsequenzen und Ergebnisse von solchen Programmen sind, erörtern diese Artikel. Dass es einen Beitrag zum Thema Rugby als Umfeld einer positiven Entwicklung jugendlicher Delinquenten gibt freut mich besonders (Crowther et al. Kicking crime into touch, 346–365) – nicht zuletzt weil er auch die im Rugby vorhandene Selbstmythologisierung des rauen, harten, ja brutalen, aber wertemäßig so positiven und damit idealen Sportes für eine Erziehung junger Menschen ein wenig in Frage stellt.

Fazit:
Der Sammelband ist die Lektüre wert. Er umreisst ein Forschungsfeld, dass zu oft unangetastet bleibt, rückt es mit den Mitteln einer kritischen Kriminologie in das Licht einer reflexiven Forschung und aus dem häufig zu schönen Schein der üblichen Berichterstattung. Auch in dieser werden Missstände berichtet, allzu häufig aber nur als ein Skandal oder etwas, das auf Einzelfällen beruht und eben nicht strukturell im Sport selbst angelegt ist. Die Artikel zu den Schädel-Hirn-Traumata im Eishockey sowie American Football (und auch im Rugby) zeigen, dass es hier durchaus um mehr geht als nur einen medizinischen Notfall. Sport in der Konsumgesellschaft (vgl. Zurawski et al. 2019, open access) nimmt darauf eher keine Rücksicht, eine kritische Meldung steht hinter der nächsten eines Top-Ergebnisses oder dem Zelebrieren eines Rekordes zurück. Dass die Themen Doping und Wettbetrug fehlen, hat mich allerdings überrascht, sind dieses doch wichtige Felder, die den Sport betreffen, aber eben kriminologisch auch über ihn hinausgehen und in kritischer Hinsicht wichtige Fragen stellen.

Was genau eine dezidiert kritische Kriminologie des Sport genau ausmacht und ob es nicht einfach nur eine die Anwendung der Grundsätze und Prinzipien der kritischen Kriminologie ganz allgemein auf das Feld des Sportes darstellt, wird in den Buch nicht immer klar. Ist also der Sport nur ein Feld, wie andere auch, oder liefert er etwas genuin eigenes, das für eine kriminologische Analyse besonders wertvoll ist. Die Herausgeber stellen diese Frage selbst in der Einleitung:

Why should criminologists care about sport?“) und ihre Antwort ist erstmal überzeugend: „As we have illustrated here, not only is sport one of the most dominant and popular cultural forms in much of the world today, it is, importantly, also complicit in the (re)production of the very narratives, practices, and institutions whose power structure institutionalise criminality and deviance.“ (31)

Wer wissen will, wie diese Analyse aussieht und welchen Mehrwert sie ergibt, sei eingeladen sich selbst ein Bild zu machen. Es lohnt sich insgesamt und für einzelne Themen auf jeden Fall.