Sehen, gesehen werden – überwachen?

Was wir uns immer schon gedacht haben, das mit der Überwachung ist nicht so gut für uns, vielleicht sogar nicht für unser Gehirn und dessen Funktionen. Wenn immer ein zuguckt, dann verändert es sich. So beschreibt es der Autor dieses Artikels:

,The constant surveillance of modern life could worsen our brain function in ways we don’t fully understand, disturbing studies suggest, in Live Science, 11.5.2025, Autor. Simon Makin.

Aber ist es so einfach? Und was meint der Autor, wenn er von Überwachung (Surveillance) hier spricht und die vielen, sehr interessanten psychologischen Studien zitiert? Der Artikel fängt mit dem Panopticon an und von da an gerät vieles, was Überwachung angeht durcheinander, weswegen ich hier mal ein paar Argumente genauer anschaue um ein paar Dinge zurecht zurücken, die hier, aber auch in vielen populären, häufig medialen Diskursen, aber auch bei meinen Studis oft durcheinander gehen.

Es geht los mit dem Panopticon, eine, wenn nicht die zentrale Ikone für die Beschreibung von Überwachung. Spätestens seit Foucaults “Überwachen und Strafen” wird es immer dann bemüht, wenn man das Funktionieren und die Effekte von Überwachung beschreiben will, die z.B. in der Disziplinierung durch das ständige Beobachten liegen kann. Vergessen wird dabei allerdings, und deswegen hinkt der Vergleich auch, dass das Panopticon ein Gefängis war (oder als solches konzipiert wurde), weshalb ein ständiges Beobachten allein noch nicht den Effekt des Panopticons ausmacht – wenn dieser denn so überhaupt vorkommt. Und ob die Überwachung unserer digitalen Spuren vergleichbar ist mit der Beobachtung im Panopticon, halte ich dann für einen sehr groben Vergleich, der eher dem schönen Bild geschuldet ist, denn der Empirie.

Das soll nicht heißen, dass ein ständiges Beobachten einer Person, wie in dem Artikel angeführt, keine Effekte auf diese Person haben kann (So how does being watched affect us?). Im Artikel geht es dann weiter mit den psychologischen Effekten, die sehr wohl empirisch erforscht worden sind. Wenn also jemand neben uns steht, kann das unser Verhalten verändern. Hier wird aber dann von den möglicherweise vorhandenen psychologischen Effekten des direkt Beobachtetwerdens auf die sozialen Folgen geschlossen. Das ist so weder zulässig, noch hilfreich. Was es tatsächlich gibt, sind zum Beispiel negative Erlebnisse von Sporttreibenden bei Urin-Dopingkontrollen wie Anne-Marie Elbe & Marie Overbye (2015, 2019) gezeigt haben. Hierbei werden die Sportler:innen beobachtet, aber ist das schon Überwachung?

Dass ein gegenseitiges Beobachten, auch in Formen von einer Überwachung der anderen existiert ist damit nicht in Abrede gestellt. Soziale Kontrolle funktioniert ja genauso. Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den beiden Phänomen, die soziologisch zu unterscheiden sind, auch wenn es Überschneidungen gibt. Das Beobachten allein allerdings, die Effekte, die dieses psychologisch haben mag, sind nicht auf die Gesellschaft zu skalieren, das Panopticon ist nicht das Ergebnis dieser Phänomene, noch dazu da es sich um einen gebauten Ort handelt, der seine Eigenheiten hat (verschlossen) und somit eher Teil einers Systems der Bestrafung ist, wozu auch die Überwachung von Individuen, aber eben auch der Gesellschaft als solches, nicht bloß durch anwesende Dritte, sondern durch eine komplexe materielle und immaterielle Infrastruktur, die Gesetze, Gebäude und Institutionen umfasst.

Der Artikel ist ein Ausflug in die Psychologie der Beobachtung und des Beobachtetwerdens. Dass auch die digitale Überwachung psychologische Effekte haben kann, bestreite ich dabei nicht, aber diese sind andere als die im Artikel geschilderten, wo anwesende Dritte eine Rolle spielen.

This body of research suggests that bringing more surveillance into workplaces — usually an attempt to boost productivity — could actually be counterproductive

Das mag sein, aber eine Überwachung am Arbeitsplatz hat immer schon stattgefunden, in den Fabriken des aufkommenden Industriezeitalters mehr und direkter als heute. Auch dieser Vergleich hinkt also ebenfalls, weshalb man Vorsicht bei den Analogien walten lassen sollte, auch wenn das Panopticon ein so schönes Bild und Metapher abgibt.