Author: Nils Zurawski

Dr. habil. Nils Zurawski, ist Soziologe und Ethnologe und Initiator des Forschungs-Netzwerkes Surveillance-Studies. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie als freier Mediator/Moderator/Konfliktberater. Hier gibt es mehr Informationen zu seiner Arbeit: https://www.surveillance-studies.org/zurawski

Kontrolle der Wissenschaften

Der Fall des Berliner Stadtsoziologen Andreij H. sowie zwei weiterer Personen ist nicht neu. Jetzt hat die Zeit ein Interview mit Hartmus Häußermann und den Hintergründen der offensichtlichen Justiz-Farce. Unterstützung kann auf der Webseite freeandreij bekundet werden – dort steht auch der offene Brief der Wissenschaftler zu dem Fall. Außerdem erhebt die Anwältin des Beschuldigten schwere Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft.
Nach dem fehlgeschlagenen Versuch dei Journallie einzuschüchtern, sind nun die Wissenschaftler an der Reihe – was immer an dem Fall dran ist oder wohl eher nicht – eine Unschuldsvermutung scheint unter den gegenwärtigen Sicherheitsdiskursen nicht zu gelten. Und ob Sympathiebekundungen oder einfach nur der Umstand, darauf aufmerksam zu machen, bereits für einen weiteren Verdacht reichen, wird sich in Zukunft zeigen.

Das Kritiker diverser Überwachungsmaßnahmen offen und durch die Blume von Politikern und anderen Wortführern bereits in der Vergangenheit mehrfach als Terrorsympathisanten bezeichnet wurden ist nicht neu, aber immer noch infam und obszön. Irgendwas scheint sie ja doch zu stören, auch wenn sie ansonsten die meiste wissenschaftliche Kritik eher ignorieren oder lächerlich machen. Jetzt aber wurde ein Schritt zu weit gegangen. Ich hoffe sie verlieren wie im Falle der Journalisten ebenso deutlich und der Richter macht sich schlau, welche Fremdworte so üblich sind in der Wissenschaft (Anarchie wäre wahrscheinlich auch so ein Reizwort) schaun mer mal wie der KaiserFranz sagt, wer oder was so als nächstes dem Sicherheitswahn und der paranoiden Angst der Ermittlungsbehörden zum Opfer fallen wird.

China rüstet auf

China baut das technisch avancierteste Ãœberwachungssystem auf titelt der Heise Newticker.

In der 12,4 Millionen Metropole Shenzen und Umgebung soll noch in diesem Monat damit begonnen werden, mindestens 20.000 Überwachungskameras mit Gesichts- und Verhaltenserkennung zu installieren. Automatisch sollen so Verdächtige und verdächtiges Verhalten erkannt werden. Die Polizei soll über das System auch Zugriff auf bereits vorhandene private und staatliche Überwachungskameras erhalten, von denen es um die 180.000 geben soll.

Und dazu noch ein paar Chips und Ausweise – China macht ernst und setzt letztlich nur konsequent um, was eine Diktatur so alles kann. Nimmt man noch die Diskussion um Doping und die Ãœberwachung der Journalisten und Kontrolleure können wir uns alle auf Super-Spiele im nächsten Jahr freuen.

Videoüberwachung wird abgebaut!!!

Selten, aber es passiert wohl doch: Kameras zur Videoüberwachung werden abgebaut oder zumindest abgeschaltet – so offenbar geschehen in Brandenburg. Dazu gibt es auch einen ausführlichen Artikel in der Märkischen Oderzeitung.

Nun, fünf Jahre später, hat das Ministerium entschieden, die Videoüberwachung zu beenden. Ausschlaggebend war die Einschätzung der Gefahrenlage durch den Schutzbereich Barnim. “Die Kriminalität ist im Bereich des Bahnhofs eindeutig zurückgegangen”, sagt Hans-Jürgen Willuda, Leiter des Schutzbereichs Barnim. “Der Vorplatz ist kein Kriminalitätsschwerpunkt mehr.” (…..)
Wurden vor drei Jahren am Vorplatz noch 131 Straftaten registriert, waren es im vorigen Jahr 71, darunter jedoch keine besonders schwere Straftat, wie der Polizeidirektor betont. Bei rund der Hälfte der Delikte handelte es sich um Fahrraddiebstähle. Wie das Innenministerium sieht auch der Leiter des Schutzbereichs die Videoüberwachung als Erfolg. (…..) Eine Verdrängung von Straftaten auf andere Bereiche habe aber trotzdem nicht stattgefunden, so Willuda. “Die Zahlen sind dort nicht gestiegen.”
Der Rückgang der Straftaten rund um den Bahnhof sei jedoch nicht nur auf die Kameras zurückzuführen, sondern auf die gesamte Polizeiarbeit, sagt der Polizeidirektor.
Die Kameras sollen vor allem präventiv wirken und abschrecken.

Sollten die Kameras tatsächlich den gewünschten Effekt gebracht haben..?! Warum dann jetzt abbauen – dann müssten doch in Zukunft die Raddiebstähle wieder steigen – wobei Fahrraddiebstahl ein sehr eindeutiges Vergehen ist, bei dem Kameras vielleicht tatsächlich minidernd wirken können – bleibt die Frage, tut es Not, dafür Kameras aufzustellen und warum nun doch nicht dauerhaft? Mehr Fragen als Antworten nehme ich an.

Bürger wollen Videoüberwachung – ?!?

Die Presse aus Österreich schreibt in einem Artikel, dass eine Studie aus Hamburg zu dem Schluss gekommen ist, dass 68% der Bürger Videoüberwachung wünschen. Da ich keine andere Studie mit ähnlichen Zahlen aus Hamburg kenne, vermute ich, dass es unsere eigene ist.

Nun hat der Kollege, der in dem Artikel zitiert wird, die Studie nicht richtig gelesen oder wurde falsch wiedergegeben. Richtig ist, dass 67 % unserer Befragten Videoüberwachhung gut finden (30% allerdings nur uneingeschränkt gut), aber die Einschränkungen, die wir machen und die Bedeutung dieser Aussagen für den spezifischhen Ort der Erhebung sowie alle anderen Probleme, die sich aus solchen Äußerungen ergeben, lassen er oder die Zeitung unter den Tisch fallen. Selbst wenn die Bürger die Kameras begrüßen, erhöht das noch nicht ihre Sicherheit. Der Widerspruch ist elementar in der Untersuchung und wohl generell im Verhalten und in den Einstellungen der Leute zu Videoüberwachung und Sicherheit.

Statistiken bringen nichts als Verdruss… ich wusste es vorher… ;-)

CCTV: Frankreich eifert England nach

Das ist durchaus mal was Neues – Die Franzosen sind neidisch auf die Engländer und wollen auch so einen tollen überwachten Staat haben wie die, vor allem mit den vielen tollen Kameras. Das kann nur an Zar Cosy liegen, der da jetzt mal so richtig aufräumt und Frankreich fit für die Zukunft macht. Hauptsache ihm fliegen in nächster Zeit nicht wieder Banlieues um die Ohren… aber dann kann er ja ganz toll seine Kameras einsetzen…

Kartographien der Macht

Sind zwar schon ein wenig älter, aber dennoch zeitlos gut – ein paar Blogeinträge von Rainer Rilling zum Thema Kartographie und Macht. In fünf Einträgen skizziert er die Bedeutung von alten und neuen Karten von Mercator bis worldmapper.org.

Dabei widmet er die Einträge den Aspekten Mapping, Staat, Wirtschaft und Countermapping. Der fünfte Eintrag gibt dann einen kleinen Überblick über ein bisschen Literatur. Und da Kartographie ein wesentlicher Bestandteil von Überwachung ist oder auch ihr notwendiger Gegenpart, sind diese Einträge hier ganz interessant und ein guter Beitrag für die Forschung von Überwachung und Kontrolle.

Als Aufsatz gibt es das ganze auch noch. Kartographien der Macht von Rainer Rilling

Puccini und das omnipräsente Auge

133,0.jpg(Foto: gefunden bei dradio.de)

Das soll keine Opernkritik sein, dazu verstehe ich davon zu wenig, aber beeindruckend ist das riesige Auge auf dem Bühnenbild der Tosca-Inszenierung in Bregenz schon. Der Ãœberwachungsstaat, das Thema Ãœberwachung, Beobachtung, verkörpert im überlebensgroßen Auge, hält Einzug in die klassische Musik – oder andersherum: Es zeigt wie alt das Thema eigentlich ist, jenseits von Kameras, biometrischen Pässen und dem Online-Trojaner (auch das ein Rückgriff auf die Geschichten der Antike).

Der Maler Cavaradossi ist ein Augenmensch, die Sängerin Tosca beobachtet, ebenso der Polizeichef Scarpia, der sich in die Primadonna verguckt hat und gleichzeitig seinem blutigen Folterwerk nachgeht.
Deshalb sehen wir, das gab es auch schon auf normalen Bühnen, statt der römischen Kirche San Andrea delle Valle nur ein fünfzig Meter breites und zwanzig Meter hohes Auge der Marchesa Attavanti, die Cavaradossi von einer Hebebühne aus als Magdalena malt. Big Sister schaut zu, doch keiner durchschaut sie, der Überwachungsstaat ist anwesend und doch wird hier Revolte versucht. (Die Welt, 20. Juli 2007, hier auch eine sehr schöne Bildergalerie)

So und ähnlich lesen sich auch andere Kritiken z..B. bei der Zeit, dem ZDF (mit Video) oder dem ORF. Für die Fensehübertragung im österreichischen Fernsehen wurden u.a. auch 7 Ãœberwachungskameras eingesetzt, die die CCTV-Ästhetik des modernen Ãœberwachungsstaates (oder was inzwischen zu dessen Ikone geworden ist) sehr schön umsetzen. Teilweise wurde wohl sogar ein viergeteilter Bildschirm gezeigt – mehr Kontrollraum geht nicht. Und wieder ist das Auge als Sinnbild benutzt worden – und es ist wohl auch eines der stärksten Bilder.

Wer Lust auf ein wenig mehr dazu hat, hier noch zwei Lesetipps:

Thomas Kleinspehn: Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit. Hamburg 1989.
Martin Henatsch: Kunst im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit. In: Nils Zurawski (Hg). Surveillance Studies, Verlag Barbara Budrich, Opladen 2007.

Videoreportage zu Ãœberwachung bei Zeit.de

Stephan und Christoph Hartmann haben für die Zeit Online eine Videoreportage zu Thema Überwachung gedreht. Titel: Die sichere Stadt. Wie tragen Festungsbau und Überwachungskameras zu unserer Sicherheit bei.

Es ist wohl der erste Teil einer Reihe zu dem Thema. Ich bin gespannt… (ja, auch weil ich ebenfalls darin vorkomme.. . ;-) )

Die innere Sicherheit ist bedroht – durch wen?

Ich habe es wohl übersehen, aber bereits zu Monatsbeginn äußerte sich Ludwig Stiegler sehr positiv zur Videoüberwachung. Das ist nicht überraschend – denn auch die SPD will das Instrument zur Terrorismussbekämpfung und gegen die Kriminalität. Wenn man die Äußerungen einmal genau liest, fällt einem vor allem auf, wie ahnungslos und willkürlich hier nach den Kameras gerufen wird. Bei Reuters wird er zitiert, dass die Kameras das Sicherheitsgefühl der Bürger verbessere – woher weiß der Mann das?

Und im Spiegel kommt eines meiner schönsten Beispiele von Ahnungslosigkeit zum Tragen, wenn er sagt: “Videoüberwachung wirke abschreckend und könne bei der Aufklärung helfen”. Ja was denn nun – präventiv, dann gibt es nichts aufzuklären, oder aufklären, dann wenn das Kind bereits im Brunnen liegt. Da auch nicht mehr zwischen Terrorismus und Kriminalität unterschieden wird, nicht zwischen Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen, nicht zwischen Menschen und Gebäuden, ist es nicht verwunderlich, dass es hier zu Äußerungen bar jeder Ahnung und empirischer Grundlage kommt.

Wie absurd die Debatte inzwischen geworden ist, in der niemand mehr zu halten ist und nach Schäubles hysteischen Attacken nur noch nachlegen kann, um auch mal was zu sagen, zeigen zwei Artikel bei der Zeit von Kai Biermann – “der Polizist als Hellseher” und “Schäuble 2.0”. Besonders im ersten Artikel wird beleuchtet, wie sich die Ãœberwachung immer mehr über eine Prävention hinaus nach vorn verlagert – Die Kontrolle vor dem Fall, die Simulation von Kontrolle, damit auch ja nicht etwas eintritt, was nur in den Szenarien der Sicherheitspolitiker und anderer existiert. Insgesamt reden alle durcheinander, anscheindend oft ahnunglos und häufig widersprüchlich.

Ach ja – bei dem Reuters-Artikel ist noch interessant, wie sich der BITKOM zur angespannten Lage äußert, nämlich mit der Werbung ihrer intelligenten Videokamerasysteme – ich dachte das Experiment wäre in Mainz gerade vom BKA vorerst zu den Akten gelegt worden, wie auch die Biometrie insgesamt ein wenig fehleranfällig zu sein scheint , siehe auch Biometrische Paranoia des Kollegen Dietmar Kammerer bei der taz.