Author: Nils Zurawski

Dr. habil. Nils Zurawski, ist Soziologe und Ethnologe und Initiator des Forschungs-Netzwerkes Surveillance-Studies. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie als freier Mediator/Moderator/Konfliktberater. Hier gibt es mehr Informationen zu seiner Arbeit: https://www.surveillance-studies.org/zurawski

Videoüberwachung trotz sinkender Kriminalität… ?

Die Hamburger Polizei ist hocherfreut: Die Kriminalitätsrate sinkt und sinkt auf den niedrigsten Stand seit 1983 – dennoch wollen die Chefs die Videoüberwachung ausbauen  – auch wenn es keine nachgewiesenen Effekte auf diese Entwicklung gibt. Immerhin sinkt die Rate schon länger als es Kameras in einigen Bereichen in Hamburg gibt. Aber davon sind der Polizeipräsident und sein Innensenator ohnehin nicht zu beeindrucken. Sie wollen Videoüberwachung, komme was da wolle. Die tatsächlichen Gründe für diese Leidenschaft sind mir bisher nicht bekannt, von den offiziellen Argumenten einmal abgesehen.

Im Bereich der Straftaten verzeichnete die Polizei für das Jahr 2006 den niedrigsten Stand seit 1983. Im Vergleich zum Vorjahr seien es 8.000 Straftaten weniger gewesen. Delikte wie Straßenraub, Wohnungseinbruch und Diebstahl rund um das Kraftfahrzeug nähmen weiterhin ab, erklärte Jantosch. Außerdem sei die Aufklärungsquote in den vergangenen drei Jahren von 43,7 auf 47 Prozent gestiegen. Im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung plädierte der Polizeipräsident für eine Ausweitung der Videoüberwachung in der Stadt. (Quelle: NDR Online)

Neue Ausgabe: Surveillance & Society

Die neueste Ausgabe von Surveillance & Society ist online: Surveillance and Criminal Justice Part 1.

Aus dem Inhalt:

  • Torin Monahan and Tyler Wall: Somatic Surveillance: Corporeal Control through Information Networks
  • Anthony Minnaar: The implementation and impact of crime prevention / crime control open street Closed-Circuit Television surveillance in South African Central Business District
  • William Bloss: Escalating U.S. Police Surveillance after 9/11: an Examination of Causes and Effects
  • Pete Fussey: An interrupted transmission? Processes of CCTV implementation and the impact of human agency
  • Amber Marks: Drug Detection Dogs and the Growth of Olfactory Surveillance: Beyond the Rule of Law?

Noch ein Special: Gefahren aus dem Internet

Tagesschau.de hat ein Special zu Datenschutz, Internet und den darin befindlichen Gefahren zusammengestellt – “Gefahren aus dem Internet” . Ob man so ein Angebot dermaßen kulturpessimistisch betiteln muss, sei dahin gestellt – aber es lohnt sich auch darein zu schauen. Passt auch prima zu dem Aufsatz von Theo Röhle zu Suchmaschienen und Marketing (sie ein paar Einträge weiter unten).

Veröffentlichung: Online-Suche und Marketing

„Think of it first as an advertising system“: Personalisierte Online-Suche
als Datenlieferant des Marketings von Theo Röhle bei “Kommunikation und Gesellschaft”. Gerade erschienen und sicherlich für die Surveillance Studies und alle Interessierten lesenswert.

Suchmaschinen gehören seit langem zu den wichtigsten Werbeträgern im Netz und es wird mittlerweile offen zugestanden, dass die gezielte Vermarktung von Werbeplätzen sich zur Kernaufgabe der Suchmaschinenbetreiber entwickelt hat. Um dem Ruf nach relevanteren Suchergebnissen nachkommen zu können, binden neue Formen der personalisierten Suche immer weitere Bereiche des Nutzerverhaltens in den Suchprozess ein, gleichzeitig schaffen die gesammelten Daten aber auch die Grundlage für eine noch engere Verzahnung ökonomischer Interessen mit dem persönlichen Nutzungskontext. Mit Bezug auf aktuelle Theoriebildung aus den „Surveillance studies“ diskutiert der Beitrag die Rolle der personalisierten Suche als Bindeglied zwischen Nutzer und Werbung.

Filmtipp: Zum Tod von Theo van Gogh

“Der Tag, als Theo van Gogh ermordet wurde2 um 22.45 Uhr in der ARD.  Das auch so ein Thema etwas mit Ãœberwachung zu tun hat, überrascht auf den ersten Blick, ergibt aber einen Sinn, wenn  man die Bemerkung in dem Artikel zum Film in der Berliner Zeitung liest:

Mit van Gogh starb der Traum von einem bunten Miteinander, auf den Amsterdam so stolz war. Versagt hat das Konzept, dass ein Mehr an Überwachung auch zu einem Mehr an Sicherheit führt. Der Film legt plausibel nahe, dass der Mord hätte verhindert werden können, wenn der niederländische Geheimdienst nur einigermaßen in der Lage gewesen wäre, seine Informationen über den Mörder und das Netzwerk, zu dem er gehörte, sinnvoll auszuwerten.

Also, das viele Sammeln unserer Daten und  das Ausspähens von uns Bürgern scheint immer noch nicht zu reichen, um präventiv Taten wie den Mord an Theo van Gogh zu verhindern. Was sollen also immer neue Maßnahmen, wenn die es auch die alten nicht bringen…?

Werbung, Konsum und Ãœberwachung

Unter dem Titel “Orwell im Netz” hat die Zeit einen interessanten Artikel zu den Kollateral-Schäden des Online-Marketing veröffentlicht. Allen voran betreibt Google das “geheime” Marketing, wie die Zeit es nennt, mit großem Elan. Das das uns Nutzer durchaus betrifft und nicht nur ein zu vernachlässigender Effekt der schönen neuen Online- und Konsumwelt ist, wird dort sehr schön beschrieben (und ist auch so neu nicht):

Wohin die Sammelwut personenbezogener Daten führt, beschreibt das Internet-Portal Yahoo ganz unverhohlen auf seiner Webseite. An einem Tag generiere Yahoo mit 16 Terabyte weltweit mehr Nutzerdaten als der weltgrößte Einzelhandelskonzern Walmart in einem ganzen Jahr, protzt der Internetdienstleister. Datenspezialisten leiten daraus Verhaltensmuster ab, qualifizieren Benutzergruppen und entwickeln komplexe Modelle für Entscheidungsprozesse vor dem Kauf. Das Ziel: Die Anzeigen soll genau dann eingeblendet werden, wenn die Kaufabsicht feststeht und der Interessent dabei ist, eine Entscheidung für eines der Angebote zu treffen.

Ãœberwachung im Gewahrsam beim G8

Auch wenn alles glimpflich ablief und die Bewertung des ganzen an dieser Stelle einmal anderen überlassen will – was die Unterbringung und Ãœberwachung der Festgenommenen angeht, scheint Konsequenzen zu haben. Zumindest hat der Republikanische Anwältinnen- und Anwaltsverein (RAV) schon mal Strafanzeige wegen Käfighaltung eingereicht.

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(Photo: bei tagesschau.de durch RAV übermittelt)

Das sieht den Bildern aus dem Polizeigewahrsam in Frankfurt verdammt ähnlich – siehe die Einträge zur Ausstellung Gewahrsam. Räume der Ãœberwachung. Diese Käfige haben weniger mit Bentham zu tun, als dass sie der puren Verwahrung und der direkten Kontrolle dienen, wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum.

Dazu meint Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung:

Diese Käfighaltung manifestiert: Das Recht der inneren Sicherheit in Deutschland ist gekennzeichnet vom Verlust der Maßstäbe und von der Veralltäglichung der Maßlosigkeit.

Mehr zum G8-Gipfel auch im Gipfelblog.

Nachtrag zu den fliegenden Kameras

Ein Bericht aus The Register über Liverpool police get mini-Black Helicopter sowie eine Ausgabe von Police Aviation News mit noch mehr Material zum Thema der fliegenden Augen in England und sonstwo. Das Kino war schneller, aber wurde dann doch eingeholt.

The era of Robocop – and perhaps of the surveillance society – came a step nearer today with the announcement that Merseyside plods have started trialling a flying police robot.
The scally sky-patrolman, unlike military kill-bots such as the US Reaper, isn’t intended for any active role. It is purely an observation platform, mounting CCTV with a range of imaging options. (The Register)

Satelliten-Ãœberwachung gegen Genozid

Überwachung für eine gute Sache? Offensichtlich lässt sich moderne Satellitentechnologie nicht nur für das Ausspionieren von Menschen nutzen, sondern ebenso, um andere Menschen zu schützen.

Heute wird Amnesty International unter der Adresse www.eyesondarfur.org eine Webseite starten, auf der die aktuellsten Luftaufnahmen aus der Region zu sehen sein werden. Die Organisation rief Internetnutzer weltweit dazu auf, ein Auge auf die Vorgänge in der Konfliktregion zu haben. (Spiegel Online 6.7.2007)

Das Internet als kollektives Kontrollinstrument – eine gute Idee in einer oft tatenlos zusehenden Welt, in der Darfur nur dann ein Thema ist, wenn es wieder über alle Maßen aus dem Ruder läuft. Ob es tatsächlich etwas bringt, die Verantwortlichen so unter Druck zu setzen und ob es helfen wird auf der anderen Seite mehr echte Hilfe für echte Lösungen zu erreichen bleibt dahin gestellt. Was alles möglich ist und auf welchen Gebieten diese Art der Ãœberwachung noch stattfinden wird, wird sich zeigen – erste Beispiele gibt es aber bereits, wie zum Beispiel bei der Kontrolle von Migrationsbewegungen in Afrika oder zur Ãœberwachung des Drogenanbaus. Die Grenze von “guter” und auspionierener Ãœberwachung wird immer wackeliger, ganz abgesehen davon, welche Interpretationen aus diesen Bildern und Karten gezogen werden können.

Siehe auch: Computerwache, Telepolis, 6.6.2007: