Category: Kommentar

Terror, Überwachung, Wissenschaft

Eine Terroranschlag in Europa, in Paris – und gesagt ist eigentlich schon alles. Alles, wirklich? Mein erster Reflex war sofort zu schreiben, aber außer auf Twitter, wo ich noch recht neu bin, fiel mir nichts ein. Dabei gäbe es durchaus einiges zu sagen zu dem Anschlag, zu Überwachung und zur Rolle der Wissenschaft.

In diesem Blog wird seit fast 10 Jahren über und zu Überwachung berichtet, kommentiert, analysiert und auch immer wieder kritisiert. Dabei haben wir den Staat als einen big player im immer Blick. Geheimdienste, neueste Maßnahmen der Speicherung und Erfassung unseres Lebens sind uns Erwähnund Kritik wert. Mein erster Reflex nach den Anschlägen war zu fragen, ob wir das auch weiterhin machen können, oder ob es nicht ganz andere Fragen zu klären gäbe. Nach ein paar Tagen muss ich feststellen: Nein! Und ja, andere Fragen sind auch zu klären, besonders wenn wir beim Thema Überwachung und Kontrolle bleiben wollen.

Kontrolle durch absurde Zensur…?

Über das amerikanische Uni-System lässt sich vieles sagen, in Bezug zu dem, was als political correctness bezeichnet wird, ebenso einiges. Hierzulande dienen die oft absurd anmutenden Geschichten oft dem Amusement – als solches sollten Sie aber nicht falsch verstanden werden. Die Kontrolle über den Diskurs ist auch eine Form der Überwachung von Abweichung und ihrer Kontrolle.

Nun haben zwei Autoren in der Septemberausgabe des Atlantic einen sehr lesenwerten Artikel über die Ausmaße und Auswirkungen dieser Diskurskontrolle an amerikanischen Uni geschrieben – und damit wohl selbst wieder gegen die Regeln der microaggressions verstoßen. (Ich habe den Bereicht beim Deutschlandfunk gehört, kann ihn aber nicht wiederfinden)

The Coddling of the American Mind. In the name of emotional well-being, college students are increasingly demanding protection from words and ideas they don’t like. Here’s why that’s disastrous for education—and mental health. (The Atlantic, 9/2015)

Das soll kein Amerika-Bashing sein, noch von einem hohen Ross herunter, sondern ein Hinweis, auch darauf, dass der freie Diskurs nicht eingeschränkt werden darf. Dabei soll es nicht darum gehen, was man “noch mal sagen müssen darf” (und dem Unsinn, der sich daran bisweilen anschließt), sondern darum wie mit Sprech-Verboten und der feinen Linie zwischen correctness und incorrectness umzugehen ist, wann es kontrollierend und absurd wird und das auch im Sinne des Blog-Themas hier diskutiert werden muss.

20 Jahre: California Ideology – und immer noch wichtig!

Anlässlich des Jubiläums der California Ideology von Richard Barbrock und Andy Cameron gibt es eine Neuausgabe frei im Netz. Die einleitenden Wort von Geert Lovink sind dabei nicht zu tief gestapelt:

Richard Barbrook and Andy Cameron’s The Californian Ideology,
originally published in 1995 by Mute magazine and the nettime
mailinglist, is the iconic text of the first wave of Net criticism. The
internet might have fundamentally changed in the last two decades, but
their demolition of the neoliberal orthodoxies of Silicon Valley remains
shocking and provocative.

Na, mag mancher denken, das war doch gestern, 1990er, und was hat das mit Überwachung zu tun – nun:

Solidarität mit Netzpolitik…

Was? Ich dachte ich höre nicht richtig heute morgen. Landesverrat von netzpolitik.org! (bei netzpolitik.org, auch bei tagesschau.de) Der Generalbundesanwalt ist sich nicht zu schade dafür. Dissent und journalistische Arbeit wird hier mit dem ganz großen Besteck verfolgt. Irre, angesichts der NSA-Affäre und der recht schlechten Figur der Bundesregierung dabei.

Der ewige Verdacht, das Wittern von Verschwörungen überall und der völlig unsouveräne Umgang mit Dissens – hier zeigt sich einmal mehr was im Innersten die Geheimdienste ausmacht und mit ihnen die Strafverfolgungsbehören. Angesichts der eigenen Leistung bei der größten Spionageaffäre, wäre etwas mehr Feingefühl und Zurückhaltung angezeigt – zumal wohl nichts erzählt wurde, was seit Snowden die Spatzen nicht von den Dächern der Republik pfeifen. Deshalb: Solidarität für Netzpolitik.org und für eine freie journalistische Berichterstattung, auch mit Whistleblowern und geheimen Quellen.

Werbung als Überwachung

Überwachung als Konsum – darüber habe ich hier und an anderen Stellen bereits geschrieben. Sascha Lobo hat in seiner aktuellen Kolumne dazu ein paar nette Einlassungen gemacht, ausgehend von Bruce Schneier, der feststellte, dass Überwachung das Business Modell des Internet ist.

Die Argumente sind alle mehr oder weniger bekannt, oft eher technisch, und dass Werbung Teil der kapitalistischen Einlullungsmaschine sind ist auch schon gesagt worden – persönliche Daten im Tausch für Annehmlichkeiten, Service usw. Doch so kommen die Argumente auch zu einem großen Publikum, und das ist dann doch erfreulich.

Die schließende These von Lobo – “Wenn Überwachung als Geschäftsmodell des Internet akzeptiert wird, fällt die Ablehnung der Überwachung als Machtmodell viel schwerer” – ist es wert weiter diskutiert zu werden. Es steckt dahinter auch ein wenig die Enttäuschung, dass wir uns nicht mehr wehren. Die Frage ist aber, ob das so stimmt oder der Umgang mit Überwachung je nach Kontext doch differenzierter ist. Und letztlich hat Macht immer etwas mit Überwachung bzw. Kontrolle zu tun, uumgekehrt mag aber das Verhältnis komplizierter sein.

Panopticon Inn

Jail 01

Bild: http://www.miaojiaxin.com/pageviewer.html

Nicht mehr ganz neu, aber dennoch eine Bemerkung oder zwei wert: Das One-Dollar-Hotel in New York, genauer in Brooklyn. Dort kann man in NYC für 1 $ übernachten, was für diese Stadt ein irrer Preis ist. Dazu muss man sich allerdings eine zeitlang überwachen und bei Facebook beobachten lassen.

Bei NDR Info/N-Joy (eine Impression auch hier) kann man in einer Reportage nachhören, was den Künstler Miao Jiaxin dazu bewegt, so ein Angebot zu machen. Interessant sind seine Einlassungen durchaus – denn letztlich formuliert er nur Benthams Ideen von innerer Einkehr, des Bei-sich-seins, von-der-Welt-entfernt-zu-sein neu. Das ist durchaus interessant.

Dass diese Art der Überwachung, die Kunst, Konsum und die Hotelpreise in NYC ausnutzt anschlussfähig ist, zeigen die Besucherzahlen. 1$ ist ein Schnäppchen, für das man in einem Kunstprojekt gern mal mitmacht und sich überwachen lässt. Wäre das nicht auch ein echtes Modell für die Zukunft – Konsum durch Überwachung, oder sind wir da längst und hier wird dieser Zusammenhang nur auf wunderbare und eher klaustrophobische Weise deutlich.

Verfassungsschutz als Fan-Forscher

In der sehr guten Reihe Sport Inside beim WDR lief am 22.9. ein Beitrag, der darüber berichtete, wie der Verfassungsschutz als Wissenschaftler getarnt sich unter Fußball-Fans mischt. Abgesehen von der Frage, was der Vfs bei Fußball-Fans sucht, ist diese Art von Vorgehen ein Katastrophe für die Wissenschaft, deren Arbeit in prekären Bereichen damit erschwert wird, möglicherweise aufgebautes Vertrauen verliert oder erst gar nicht knüpfen kann. Eine emanzipierte Wissenschaft muss frei von Polizei und Geheimdiensten sein, insbesondere von verdeckt arbeitenden. Das heißt nicht, keinen Dialog suchen, mit der Polizei zu arbeiten, über sie oder mit ihnen – aber die Grenzen müssen klar sein und auch die Art der Zusammenarbeit. In diesem Film trifft die Art der Überwachung ins Mark wissenschaftlichen Selbstverständnisses –  zumindest was mich selbst angeht und ich hoffe auch darüber hinaus.

Enger Kontakt, ein Film von Fred Kowasch und Ralf Meutgens (22.9.2014, WDR)

GCHQ: Welche Umfrage darf es sein

(c) Greenwald

 

So langsam erschüttert eigentlich nichts mehr, was die Snowden-Enthüllungen angeht – auch nicht was die Dienste sich so einfallen lassen. Der britische GCHQ versucht es zur Abwechslung mal mit der Beeinflussung von Umfragen und falschen Infos.

Wir haben es schon immer geahnt, dem Internet kann man nicht trauen… und weil das Bild dazu so gut war, wollte ich es euch nicht vorenthalten.

Hacking Online Polls and Other Ways British Spies Seek to Control the Internet

Ein Jahr Snowden

Ein Jahr seitdem Edward Snowden uns allen enthüllte was die NSA so treibt. Viel ist geschrieben, kommentiert und gemutmaßt worden seitdem. “Was macht das mit einer Gesellschaft?” war eine der häufigen Fragen. Was genau weiß keiner, und was mit jedem Einzelnen ist auch schwer zu sagen. Warum tun wir nicht mehr? Tun wir genug, um uns zu schützen? Ist das der große Bruder? Viele Fragen, die ich hier unbeantwortet sehten lassen will. Aber eine kleine Schau von Ein-Jahr-danach-Stücken will ich doch hier aufführen.

BR 2 gibt einen kurzen Rückblick: Edward Snowden enthüllt die NSA-Aktivitäten und hat das Thema zum Tagesthema erhoben: Ist Snowden ein Held oder ein Verräter?

Die Kriminalität der Zukunft

Die zu kennen ist zu ihrer Verhinderung bestimmt wichtig. Wie aber schon häufiger berichtet haben Predictive Policing und andere Strategien so ihre Tücken.

Nun berichtet Marc Goodman, ein ehemaliger Polizist, bei einem TED talk, wieso die technologische Entwicklung eine Gefahr darstellt, denn auch die Bösen können sie nutzen. Mehr oder weniger unreflektiert breitet er hier ein Szenario aus, deren Argumentation mitreißend, aber letztlich lückenhaft bleibt. So hätten die Narcos in Mexiko eigene Handy-Netze – Verbrecher mit Technologie und das droht uns bald überall. Sieht man sich das spezielle Problem in Mexiko näher an, so sieht man, dass es sich hier um einen Staat im Staat handelt – und der alte Staat wohl auch bis zum Hals mit dem anderen in Personen verquickt ist, aber das ist alles nicht so wichtig hier.

Insgesamt trifft auch für diesen TED talk die Kritik zu, die ein Kolumnist des New Statesman bereits 2012 so schön formuliert hat:

In the cult of TED, everything is awesome and inspirational, and ideas aren’t supposed to be challenged, says Martin Robbins.

Kleine Presseschau: Überwachung

Eigentlich geht es nur um 2 Publikationen, von denen eine zeigt, dass das Schlagwort Überwachung auch ein Verkaufsargument sein kann. Die erste ist das Manier de Voir 133 der französischen Le Monde Diplomatique vom Feb/Mar 2014 mit dem schönen Titel: Souriez vous êtes surveillés. (Lächle, Du wirst überwacht). Darin sind jede Menge Artikel versammelt, die in der LMD zum Thema in den letzten Jahren veröffentlicht wurden, u.a. auch der lesenswerte Beitrag von Giorogio Agamben, der auch in der LMD auf Deutsch erschien: Die Geburt des Sicherheitsstaats.

Also nicht alles neu, aber eine schöne Sammlung. Vieles davon ist auf Deutsch erschienen, einfach mal im Archiv bei der LMD (taz.de) stöbern.

Ganz anders das Heft Globalisierung im Schatten der Überwachung. Und ich gebe zu es war der Titel, der mich am Bahnhof zum Kauf animiert hat. Allerdings hat das Heft fast nichts mit Überwachung zu tun, eher mit der Diskussion um das EU-US Freihandelsabkommen. Es geht um das Internet, Handel, Demokratie und wurde von der Initiative collaboratory gemacht – mit Unterstützung der Bertelsmann Stiftung. Noch ist mir nicht ganz klar, was die Stoßrichtung des Heftes und der Initiative ist, denn freies Internet, Demokratie, Transparenz sowie eine Portion Globalisierungskritik u.a. sind durchaus gute Themen. Ich vermute allerdings eher es geht um freien Handel, weniger Regulierung und um Lobbypolitik, aber genau kann ich es nicht erkennen. Ein Blick auf die Partner lässt zumindest Fragen nach Überwachung und Abhängigkeiten offen (Google, Fraunhofer, aber auch Wikimedia u.a.).  Mit Überwachung im Sinne kritischer Forschung hat das alles nichts zu tun. Aber als Verkaufsargument hat es gezogen.