Sicher nach Hause kommen – der Wunsch eines jeden von uns, auch wenn wir nicht immer daran zuerst denken, wenn wir unterwegs sind. Für jene, die sich besonders viel Sorgen machen, gibt es (selbstverständlich) eine App, die dabei hilft: Wayguard. Der Werbespruch dazu:
“Allein unterwegs? Der WayGuard gibt dir auf dem Weg ein gutes Gefühl!”
Das Angebot ist ein Service der Versicherung Axa in Zusammenarbeit mit Polizei NRW. Überwachung? Ja, aber nichts um sich aufzuregen. Selbstgewählt, und man nutzt das GPS des Handys, nur schaut jetzt jemand dabei zu. Soweit so gut, ein Teil unseres Alltags im Konsum der Überwachung. Abgesehen von möglichem Missbrauch, ist das keine Aufreger.
Und um den Service als solchen geht es mir auch gar nicht, sondern um eine interessante Begegnung, die ich auf einer Konferenz hatte, wo ich von diesem Service erfuhr und darüber in einen Streit mit dem Publikum meines Vortrages geriet.
Ich war im Juni auf einer Tagung an der HBK Braunschweig, Titel: privacy by design. Überwachung, das Selbst, Kontrolle, wo ich den Abschlussvortrag gehalten habe. Abgesehen von dem Chaos dorthin zukommen (es war der Tag mit dem Unwetter und ich mit dem Zug aus Essen unterwegs), schienen ich und das Publikum ein wenig aneinander zu geraten. Auslöser war meine Bemerkung, dass Deutschland ein generell sicheres Land sei, was die Möglichkeit betrifft sich in der Öffentlichkeit zu bewegen. Das gefiel einigen der Studierenden überhaupt nicht. Ich versucht mit dem Vortrag Überwachung theoretisch jenseits des Panopticons zu rahmen, stieß aber bei vielen Begriffen auf aus meiner Warte eher zu kurz geratenen Gegenargumenten, u.a. der Begriff des Konsums nach z.B. Bauman. Gegenargumente waren vor allem irgendwas mit postkolonial, queer theory etc.. Ich schätze diese Ansätze, aber sie sollten dann mehr als nur Worthülsen in einem sich selbstgefallenen Diskurs sein, denn so wurden sie hier benutzt.
Nun zu Wayguard. Meine Bemerkung, dass Deutschland sicher sei, wurde gekontert mit dem Argument, dass bestimmte Gruppen hoch gefährdet sein und deshalb Apps wie Wayguard benutzen könnten / müssten, um sich abends zu bewegen in den unsicheren Gebieten, wo so viele Gruppen sich aufhielten, die für bestimmt markierte Gruppen eine Gefahr darstellen würden …. Wow! dachte ich, labelling at its best. Die soziale Konstruktion von Raum und Unsicherheit als unhinterfragtes Argument, von Leuten, die mir gerade zu verstehen gegeben haben, dass sie auf Theorien setzen, die eben nicht essentialistisch sind, sondern die Welt als soziales Konstrukt verstehen. Was aber den Raum, die Gefahr und die Menschen anging, wurde hier fröhlich gelabelt, Räume, Gefahren und die gefährlichen Gruppen wurden essentialisiert, ohne einen Gedanken an das eigne Konstrukt in dem Argument. Und plötzlich war Wayguard etwas total Gutes, ein Segen, angesichts der Unsicherheiten in der Welt da draußen.
Warum ist das interessant? Weil es zeigt, dass die Konstruktionen von Unsicherheit nicht dann einfach aufhören, wenn man sich theoretisch anders verorten möchte. Die Atmosphäre der Konferenz kehrte sich bei Wayguard plötzlich um. War man vorher voll gegen Algorithmen, gegen den bösen Staat/die Unternehmen, die uns messen, auspionieren, kategorisieren – fand man nichts dabei eine App gegen das identifizierte vermeintlich Böse gegen einen Selbst zu nutzen.
Ich mag solche Widersprüche, insbesondere dann wenn diese einen hohen, fast überheblichen moralischen Anspruch ins Wanken bringen. Schade, dass ich, meine Vortrag und Teile des Publikums nicht zusammenfinden konnten, aber zu der Arbeit mit Begriffen und Konzepten gehört eben auch sie zu Ende zu denken (immer schwierig) und sich auf gedankliche Abenteuer einzulassen.
Ich habe einiges gelernt!