Category: Kommentar

Videoüberwachung in Hamburger Kaffeeläden

Nicht nur dass man sich beim Bestellen eines Kaffees durch groteske Größenbezeichnungen und die wirrsten Geschmacksrichtungen wählen muss – nein, dabei wird (wurde?) man auch noch gefilmt. Balzac-Coffee in Hamburg hat offenbar die Kunden und die Angestellten zur Sicherheit (wessen?) dabei mit Videokameras überwacht. So wie es sich für einen trendy-Betrieb, der auch eine Filiale mitten im Uni-Viertel betreibt ja offensichtlich gehört. Das passt natürlich schön zu den Geschichten um Lidl und andere, die letzthin ins Gerede gekommen sind.

Die ZEIT hat dazu ein kleines Dossier verfasst – dass es nur Lidl war, die seine Mitarbeiter auf die eine oder andere Art überwachen ließ und lässt, wäre dann doch recht naiv.
Das Hamburger Abendblatt hat daher aus gegebenem Anlass mal ein wenig rumgefragt und knapp zwei Jahre nach den ersten öffentlichen Kameras in der Hansestadt eine Bestandsaufnahme gemacht – “Datenschützer warnen vor Video-Wildwuchs“. Kameras nicht nur auf der Reeperbahn und dem Hansaplatz, sondern auch in den Schwimmhallen, in Geschäften, der U-Bahn uns wer weiß sonst noch wo. Im Schnitt so der Artikel ist der Hamburger 5 Mal am Tag im Visier der Kamera. In London waren es vor wenigen Jahren bereits 14mal am Tag – ein Rekord, den man nicht einholen sollte. In dem Artikel kommt auch der Hamburge Datenschützer zu Wort:

Doch dass alle privaten Videoüberwacher sich streng an die Vorgaben halten, mag Datenschützer Lubomierski nicht glauben. Nur wenn sich mehr Bürger gegen die allgegenwärtige Videoüberwachung wehren, werde es ein Umdenken geben. Lubomierski: “In der U-Bahn ist die Videokamera gut für das Sicherheitsgefühl – in jedem kleinen Laden oder Lokal muss es nicht sein.”

Ob das so pauschal richtig ist, wage ich zu bezweifeln – da lassen die Ergebnisse unserer Untersuchung auch andere Schlüsse zu. Generell tut dieser Artikel, was alle tun: Videoüberwachung wird auf das Vorhandensein einer Kamera reduziert und nicht als komplexes System aus Technik, sozialem und räumlichem Kontext sowie Intention gesehen. Schade eigentlich, aber das ist wohl schwer zu vermitteln.

Was die anderen Ländern so machen

Die Financial Times Deutschland listet passend zur Urteilssprechung des Verfassungsgerichtes mal schön auf, wie die anderen Länder so mit den Überwachungsmaßnahmen umgehen, was in Frankreich oder Skandinavien so Usus ist und zitiert Jörg Ziercke, den Chef des Bundeskriminalamtes zu den Zuständen im Vereinten Königreich.

Das Ausmaß der Videoüberwachung entspräche allerdings nicht Zierckes “Vorstellung von einem demokratischen Rechtsstaat”, hatte der BKA-Chef einmal dem Wochenmagazin “Stern” gesagt.

Zum Urteil empfehle ich die einschlägigen Quellen – Zeit tagesschau.deSpiegel

Dass Schäuble trotzdem so tut las wäre nichts gewesen und die Onlinedurchsuchungen jetzt doch durchsetzen will – wie vieles andere auch, überrascht nicht. Bleibt die Frage, worum es eigentlich wirklich geht? Um eine Demonstration staatlicher Macht? Um die Paranoia eines einzelnen Mannes (die allerdings auch Otto Schily bereits teilte)? Oder um die Erzeugung von Angst, mit der sich bekanntlich besser regieren lässt? Ich finde das schon lange jedes Maß in der allgemeinen Diskussion um Sicherheit, Terrorismus und die entsprechenden Gegenmaßnahmen verloren gegangen sind.

Kameras in Kabul

Als wenn es nichts nötiger gäbe in Kabul – Video surveillance coming to Kabul.

The U.S. Government is contemplating a massive video surveillance project for the country of Afghanistan that would establish surveillance over all major thoroughfares in Kabul, the capital city, as well as all U.S. and multinational camps, traffic circles and Afghan ministry compounds.

Andererseits ist das innerhalb der Sicherheitsstrategie der USA nur konsequent. Ob Sicherheit nicht auch anders zu erreichen wäre und die Kameras nur das verhindern sollen, was in anderen Ursachen, u.a. in der Präsenz der alliierten Truppen, begründet liegt, wäre mal eine Diskussion wert. Aber über Sicherheit lässt sich mit dem Sekurokraten nur schlecht diskutieren – die Logik ist in sich so geschlossen, das alles andere nicht wirklich gehört wird. Nun also die Segnungen moderner Kameratechnik auch in Kabul. Eine echte Ãœberwachung, externe Augen für die Truppen – denn ich denke nicht, dass es dabei um Prävention, Abschreckung oder anderes geht. So gesehen folgt es der militärischen Logik. Nun denn.

Annalist und die wandernde Maus

Die Auswirkungen von Misstrauen, Verfolgung und nicht selbst verantworteter Paranoia lassen sich auf dem annalist-Blog nachlesen, wo Anna, die Partnerin von Andrij Holm ihr Leben unter Ãœberwachung reflektiert und für uns transparent macht. Dass man sich dann auch über wandernde Computermäuse wundert, ist wohl nicht sehr überraschend. Ein grotesker Ausblick auf das was eine Gesellschaft erwarten könnte, die mehr und mehr auf dem Misstrauen dem anderen gegenüber aufgebaut ist – Misstrauen, das gesäht wird und durchaus Früchte tragen kann. Ãœber die Kosten müssen sich die Urheber ja auch keine Gedanken mehr machen.

Und es ist das derzeit beste Beispiel für eine Gegen-Überwachung, wenn sie auch an der Überwachung als solche nichts ändern wird. Nur Öffentlichkeit scheut niemand so sehr wie die Schlapphüte und die clandestinen Dienste.

Europa und die Illegalen

Ein Blog-Eintrag von Jochen Bittner bei der Zeit zu den immer konkreteren Plänen, Europa zu einer Festung gegen das “Böse” zu machen – die Illegalen, bei denen man nicht weiß woher und warum sie hierher wollen. Nicht nur Zäune, sondern auch die Segnungen der biometrischen Revolution sollen dabei helfen alle zu erfassen, die nicht hierhergehören – die die es ohnehin tun werden natürlich auch erfasst, das ist aber ein anderer Eintrag.

Zusätzliche Informationen dazu bei der ZEIT von Kai Biermann und bei Spiegel.de.

Interessant ist, das der Artikel bei der ZEIT unter “Deutschland” eingeordnet worden ist, beim Spiegel in der Rubrik “Ausland”. Es muss eine Kategorie geben, sicher – aber darüber nachdenken lohnt sich schon, was es denn mit uns zu tun hat oder doch eher mit den vielen illegalen Ausländern…

Nur mal nebenbei….

Ein alter Araber lebt seit mehr als 40 Jahren in Essen. Er würde gerne in seinem Garten Kartoffeln pflanzen, aber er ist allein, alt und schwach. Deshalb schreibt er eine E-Mail an seinen Sohn, der in Paris studiert.

“Lieber Ahmed, ich bin sehr traurig weil ich in meinem Garten keine Kartoffeln pflanzen kann. Ich bin sicher, wenn du hier wärst, könntest Du mir helfen und den Garten umgraben. Dein Vater.” Prompt erhält der alte Mann eine E-Mail: “Lieber Vater, bitte rühre auf keinen Fall irgendetwas im Garten an. Dort habe ich nämlich ‘die Sache’ versteckt. Dein Sohn Ahmed.”

Keine sechs Stunden später umstellen Bundeswehr, Polizei und der Verfassungsschutz das Haus des alten Mannes. Sie nehmen den Garten Scholle für Scholle auseinander, suchen jeden Millimeter ab, finden aber nichts. Enttäuscht ziehen sie wieder ab. Am selben Tag erhält der alte Mann wieder eine E-Mail von seinem Sohn: “Lieber Vater, ich nehme an, dass der Garten jetzt komplett umgegraben ist und du Kartoffeln pflanzen kannst. Mehr konnte ich nicht für dich tun. In Liebe, Ahmed.”

Gentests per Google?

Deutschlandradio Kultur hatte heute ein längeres Gespräch mit einem Mediziner zu Nutzen und Gefahren von billigen Gentests, wo die Geschäftsidee wohl er ist

einen privaten Gentest mit der Suchmaschine Google zu verbinden, sagte Gassen. Er warnte davor, dass betreffende Unternehmen die Daten an die Pharmaindustrie weitergeben könnten (Genforscher Hans-Günter Gassen)

Das würde die Transparenz von Menschen und die Möglichkeiten der Ãœberwachung neue Wendungen geben, wenn nicht eine neue Dimension. Konsequent zu Ende gedacht, wäre erscheint eine halbwegs verschlüsselte Gesundheitskarte als ein harmloses Kinderspielzeug. Ob es tatsächlich eine “traumhafte Geschäftsidee ist” wie Gassen voller naturwisschenschaftlicher Forscherbegeisterung meint, bleibt abzuwarten. Mein Genom auf dem Internet würde mir so ziemlich jede noch vorhandene Privatspäre nehmen, die mir noch geblieben ist. Zusammen mit anderen Datenbanken, Spuren usw. ist das eine albtraumhafte Vorstellung.

Weiß jemand mehr darüber?

Kameras erzeugen Realität (?)

Das NDR Medienmagazin Zapp hatte bereits in der letzten Woche einen Beitrag zur Rolle von Bildern im Nachrichtengeschäft – das ist so neu nicht. Dennoch, hat mich ein dort angesprochener Aspekt zum Nachdenken gebracht, auch über die Rolle, die Videokameras im öffentlichen (oder auch weniger öffentlichem) Raum in Zukunft auch haben können, nämlich die Produktion von Realität. Ohne die Kamera bilder hätte es wohl keine solche Debatte über Jugendkriminalität und Jugendstrafvollzug gegeben – für die Diskussion über Kameras wird allerdings jeder Vorwand zum Anlass genommen, um sie wieder neu zu beleben.

Videokameras könnten also in zumehmenden Maße bestimmen, was wichtig ist und was “nicht” passiert. Das ist mehr als nur die Ãœberwachung öffentlicher Räume. Kameras werden zum Instrument der Wirklichkeitsproduktion, mit uns als Schauspielern. Und die Politik nutzt sie für alle Arten von Debatten, nur nicht für die eigentlich nötige – um Fragen an das Instrument selbst und seine Wirkmächtigkeit zu stellen. Damit sind Kameras nicht nur Ãœberwachungsinstrument, sondern auch Mittel des Ausschlusses von Diskussionen und letztlich Personen. Wer wahrgenommen werden will, muss sich öffentlich und sichtbar äußern – am besten vor einer der vielen Kameras. Öffentlicher Raum war einmal anders gedacht.

Zwei Analysen zu Ãœberwachung

Nicht zuletzt durch die U-Bahn-Überfälle, das Vorratsdatenspeicherungsgesetz und andere Maßnahmen erfreuen sich das Thema Überwachung und Datenschutz vermehrter journalistischer Betrachtung. Es ist ein Dauerthema mit stetig wachsendem Interesse seit dem 11. September. Hier noch mal zwei Artikel, die nicht allzu Neues zusammenfassen und eine Einordnung versuchen, die aber gut geschrieben sind und in ihrer Wirkung auf die allgemeine Diskussion wohl doch von den Verantwortlichen ungehört bleiben.

Hans Leyendecker Die Kinder des großen Bruders bei dradio.de

Katharina Iskandar Überwachung immer und überall bei der FAZ

Gewalt, Jugendliche und Videoüberwachung

Der Ãœberfall von München kurz vor dem Jahreswechsel hat eine Debatte in Gang gebracht (Heise.de), die sich eigentlich keiner so richtig wünschen konnte – nur Roland Koch setzte noch einen drauf und machte daraus eine Generaldebatte über den Zustand des Jugendstrafrechtes und ließ seinen Wahlkampf so richtig heißlaufen.

Inzwischen gibt es aber angesichts der medienwirksamen Bilder wenigsten ein paar reflektierende Beiträge, die die vorschnellen Schlüsse ein wenig in Relation setzen (Zeit.de). Die Forumsbeiträge bei Telepolis auf meine Artikel zum “Erfolgsmodell Videoüberwachung” sprechen allerdings auch eine deutliche Sprache, wenn man sie als Vox populi interpretieren möchte (ob ich mich als “linker Kanacke” bezeichnen lassen muss, sei einmal dahingestellt).

Die Welt weiß von sinkenden Gewalttaten in den meisten Großstädten, ob allerdings die ebenfalls aufgeführte Videoüberwachung dazu beigetragen haben mag, ist nicht aufgeführt und darf ohne genaue Analyse weiterhin bezweifelt werden.

Tagesschau.de fragt wenigsten, ob jugendliche Gewalttäter tatsächlich zunehmen

Es ist also eine neue Debatte entstanden – eine die Jugendgewalt, das Jugendstrafrecht und (präventive) Ãœberwachung zusammenbringt. Ich hoffe sie über die populistische Schreierei sinnvoll weitergeführt und nicht zum Anlass genommen ein weiteres gesellschaftliches Feld für die verstärkte Ãœberwachung zu besetzen.

DNA, Datenbanken und mögliche Fehler

Zum Thema DNA-Datenbanken und deren Fehler sind hier drei Links zu Artikeln aus England (Telegraph) bzw. vom EDRI-Gram-Newsletter.

Innocents fear DNA database errors (26.11.2007)

Outrage at 500,000 DNA database mistakes (27.08.2007)

EDRI-gram : UK Home Office plans to fingerprint children starting 11
(14.03.2007)

Besonders der letzte ist interessant, da die Briten allen Ernstes planen alle Kinder ab 11 mit Fingerabdrücken zu erfassen und somit dann fast von der Wiege/der Schule bis in den Tod, die Bürger zentral zu speichern und möglicherweise zu kontrollieren. Ich bin schockiert und beeindruckt. Ich hoffe das wird bei uns noch länger aus sich warten – obwohl auch hier solche Pläne bestimmt in der Schublade liegen, es nur sich keiner traut das rauszuholen. Bei all den Fehlern und das über Jahre ist auch spannend, was dabei so rauskommt, wenn die Fehler zum Ausgangspunkt für neue Fehler werden – Daten-Stille-Post sozusagen – wer bin ich dann wohl wenn ich dreißig bin und die Abdrücke bereits seit 19 Jahren ein Eigenleben führen. Wir werden es erleben.

Überwachung, Wissen und Datenüberfluss

Es werden immer mehr Daten von uns und unserem alltagsweltlichen Aktivitäten erfasst und vor alle gespeichert. Der Schweizer Tagesanzeiger hat sich dem Thema gewidmet und zusammengerechnet, wieviele Daten da eigentlich so anfallen. Das Fazit steht dort bereits im Aufmacher zum Artikel:

Die Menge aller auf der Welt vorhandenen Informationen ist grösser als die Kapazität von sämtlichen Speichern. Es wird immer schwieriger, dieses angehäufte Wissen zu nutzen.

Ob das beruhigend ist, weiß ich nicht zu sagen – immerhin macht sich dabei das Gefühl breit, dass ein Zuviel an Daten auch zu unserem Schutze sein kann, oder es eben zu noch abstruseren Verwechslungen und Fehlzuschreibungen durch die Unklarheit von Klassifikationen und die Suchparameter kommen kann. Das Wissen über die Erde, die Menschen und unsere Umwelt mag so groß sein wie noch nie – aber ebenso groß ist dessen Unübersichtlichkeit und damit die Desorientierung von uns selbst. Ãœberwachung und Kontrolle hat also somit Sinn, um wenigstens etwas Orientierung und Ãœbersichtlichkeit zu schaffen. Vielleicht haben die Sekurokraten deshalb so ein großes Bedürfnis nach immer neuen Maßnahmen, da sie wissen, dass sie eigentlich noch mehr wissen könnten – und doch nur hinterherhängen. Letztlich ist das ein zutiefst menschlisches Dilemma, deren Lösung nicht in immer mehr präventiver Risikominimierung, noch in zusätzlichen repressiven Maßnahmen liegen kann.