Author: Dietmar Kammerer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Veröffentlichungen: "Bilder der Überwachung", Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.

Britische DNA Datenbank fehlerhaft

Großbritannien hat laut Eigenwerbung die wohl umfangreichste DNA-Datenbank der Welt. Seit Gesetzesänderungen 2001 und 2004 kann dort von jedem, den die Polizei als Verdächtigen festhält, ein DNA-Profil hinterlegt und auf unbegrenzte Dauer gespeichert werden – selbst wenn sich der Festgenommene als unschuldig erweisen sollte. So sind mittlerweile mehr als 5 Prozent der Bevölkerung dort verzeichnet, in knapp 4 Millionen Einträgen. Oder so in etwa. Denn wie die Tageszeitung Independent nun berichtet (siehe auch heise.de), sind rund eine halbe Million Einträge davon doppelt, weil sie von nachlässigen Beamten unter falsch geschriebenen oder nicht existenten Namen abgelegt worden sind. Demnach sind rund ein Siebtel der Einträge Kopien.

BKA: Gesichtserkennung im Offenen funktioniert nicht

Automatisierte Gesichtserkennung unter offenen Bedingungen, in Echtzeit und aus Menschenmengen heraus, wird es auch in nächster Zukunft wohl nicht geben. Das jedenfalls sind die Konsequenzen, die die Ergebnisse des Feldversuchs “Foto-Fahndung” nahelegen, der vergangenen Oktober im Mainzer Hauptbahnhof vom BKA durchgeführt wurde. Dessen Ergebnisse wurden jetzt mit einiger Verspätung (geplant war Februar) auf einer Pressekonferenz in Wiesbaden vorgestellt. Detlef Borchers war für heise.de vor Ort. Das schlechte Abschneiden der “intelligenten” Kameras überrascht nicht (siehe auch hier und hier) und scheint vor allem auf die wechselnden Lichtverhältnisse zurückzuführen sein. Jetzt setzt man alle Hoffnungen auf 3D-Technologien, allerdings wird’s dann natürlich heikel mit dem Referenzdatensatz: Ein 3D-Scan sämtlicher Bundesbürger? Oder nur der hier lebenden Ausländer, deren Fingerabdrücke man ja auch schon zentral erfassen darf?

ARTE Themenabend

Heute abend ab 20.40 Uhr läuft auf Arte ein Themenabend mit dem originellen Titel: Wir werden alle überwacht, mit den Kapiteln “Kontrolle total”, “widerstand.com” und “Big Brother City”. Außerdem kann man online an einem Ãœberwachungs-Quiz teilnehmen. Mittlerweile bastelt ja jeder Sender an einem Dossier zur Ãœberwachungsgesellschaft: so die Tagesschau, der ARD: Ratgeber, das ZDF.

Face Recognition Vendor Test 2006

Die Ergebnisse des Face Recognition Vendor Test (FRVT) 2006 sind veröffentlicht. Überprüft wurde die Leistungsfähigkeit von Gesichts- und Iriserkennung, sowie erstmals die Erkennung anhand von 3-D-Modellen. Aus dem Abstract:

This report describes the large-scale experimental results from the Face Recognition Vendor Test (FRVT) 2006 and the Iris Challenge Evaluation (ICE) 2006. The FRVT 2006 looks at recognition from high-resolution still images and three-dimensional (3D) face images, and measures performance for still images taken under controlled and uncontrolled illumination. The ICE 2006 reports iris recognition performance from left and right iris images.

Anscheinend, so eines der Ergebnisse, sind Maschinen inzwischen “more accurate” als Menschen auf diesem Feld. Wer Zeit und Muße hat, sich durch ein sehr technisches Dokument zu kämpfen, sollte diese Behauptungen mal auf ihre Plausibilität überprüfen.

Big Blimp is watching you

In Caracas schwebt neuerdings ein Ãœberwachungs-Zeppelin über der Stadt. Unbemannt, polizeiferngelenkt und mit diverser Ausspäh-Technik versehen, soll es – außerhalb der Reichweite von Verbrecherkugeln, wie betont wird – die Ordnungskräfte bei ihrem Kampf gegen Straßenkriminalität unterstützen. Auch am New Yorker Himmel wurden solche Flug-Späh-Geräte schon gesehen, ebenso beim Athener Ãœberwachungs-Großexperiment “Olympiade 2004”. Zwei weitere heliumgetriebene Fluggeräte hat Caracas beim koreanischen Hersteller HanGIS bereits geordert. Und wenn sich die Kriminellen dann wundersamerweise immer noch auf die Straßen trauen: Da oben ist noch jede Menge Platz! Kein Problem, hundert silbrige Luftschiffe kreisen zu lassen. Finanziert werden könnte das Projekt, indem man die Zeppeline in bewährter Weise als Werbeflächen einsetzt. Welcome to Blade Runner.

Europarat veröffentlicht Studie zu Videoüberwachung

Wie schon auf heise.de ausführlich gemeldet, hat die Europäische Kommission für “Demokratie durch Recht” des Europarates jetzt eine Studie über die Vereinbarkeit von Bespitzelungstechniken wie CCTV mit geltendem nationalem und internationalem Recht vorgelegt. Die “Venice Commission” empfiehlt darin unter anderem, dass Videoüberwachung immer deutlich gekennzeichnet werden muss, sowie die Einrichtung von spezifischen, unabhängigen Datenschutz-Institutionen, “in order to ensure compliance with the legal conditions under domestic law giving effect to the international principles and requirements with regard to the protection of individuals and of personal data.”

Ãœberwachungsbilder

Die Website von Nino Leitner, Regisseur der hier bereits mehrfach erwähnten Doku Every Step You Take, aktuell auf dem Filmfestival Diagonale 2007in Graz zu sehen, verzeichnet einige Links auf weitere Filme, Dokus, Kunstprojekte, die allesamt im Netz eingesehen werden können, sehr schön sind und deshalb hier nochmal gelistet werden:

Suspect Nation (45minütige Dokumentation von Channel 4)

Faceless (Spielfilm von Manu Luksch, gedreht nach dem “CCTV Manifesto”, ebenfalls auf der Diagonale 2007)

Stop the Big Brother State (sehr lustiger Animationsfilm von David Scharf)

SZ, BVG, Evaluationen

Nur zur Dokumentation: Die Süddeutsche Zeitung hat ein Pro und Contra zu Videoüberwachung veranstaltet. Ein Interview mit dem in München für die Kameras zuständigen Kriminalhauptkommissar Stefan Schraut ergänzt den Bericht. Anlass ist natürlich die Entführung und Ermordung des neunjährigen Jungen aus Leipzig, der zusammen mit seinem mutmaßlichen Mörder von einer Kamera in einer Straßenbahn aufgenommen wurde. Die Parallelen zum britischen James Bulger-Fall sind natürlich überdeutlich: Videoüberwachung fängt die Mörder unserer Kinder, so der Tenor. Das bestätigt mal wieder das Muster, dass die Opfer besonders erschreckender Verbrechen für die Lobbyisten der Ãœberwachung herhalten müssen. In seinem hier im Weblog schon mehrfach erwähnten Artikel “A generation is all they need” (im Netz inzwischen leider kostenpflichtig) hat Kevin Haggerty ja genau das vorausgesagt.

Mikrofone und Helmkameras

Nur kurz: Zwei aktuelle Meldungen über mögliche Erweiterungen von Videoüberwachung in Großbritannien. Erstens wird die Polizei im Londoner Stadtteil Haringey in einem Feldversuch ihre Beamten mit Mini-Kameras auf den Helmen ausrüsten, die dauerhaft aufzeichnen. Die Bilder werden auf einer Festplatte am Gürtel gespeichert. Ziel ist weniger Kriminalitätsreduktion, als die Bekämpfung antisozialen Verhaltens. “Wearable Cams” kennt man sonst nur aus Kinofilmen oder von Countersurveillance-Guru Steve Mann. Zusätzlich zu dieser Maßnahme sollen an mehreren Orten der Stadt “airport style search arches” aufgestellt werden, um Leute, die Waffen bei sich tragen, zu entdecken. Siehe auch hier.
Zum zweiten gibt es in der britischen Polizei offenbar Überlegungen, ein in den Niederlanden entwickeltes und verbreitetes System zur Stimmerkennung einzusetzen. In Kombination mit Mikrofonen könnte ein Überwachungssystem so Muster aggressiven Sprechens erkennen, ohne tatsächlich den Inhalt sämtlicher Gespräche aufzeichnen zu müssen. Datenschutzrechtliche Bedenken könnten so möglicherweise umgangen werden, allerdings hält sich die ACPO noch bedeckt und wünscht sich eine Diskussion vor einem möglichen Einsatz und trägt Bedenken vor, ob die Polizei auch über genügend Ressourcen verfügen würde, die zusätzliche Informationslast zu bewältigen. Siehe auch den Beitrag in Telepolis.

Film: Alltag Ãœberwachung

Auf dem Weblog Onlinejournalimus.de findet man den Flash-Trailer einer 45 minütigen Dokumentation der Videojournalisten Roman Mischel und Fiete Stegers zum Thema Alltag Überwachung. Zu Wort kommen darin u.a. Thilo Weichert, Rena Tangens, sowie Vertreter der Innenministerien von Bund und Ländern. Einen Sendeplatz für die Dokumentation suchen die beiden Journalisten noch, von hier aus sei ihnen viel Erfolg dafür gewünscht.