Author: Dietmar Kammerer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Veröffentlichungen: "Bilder der Überwachung", Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.

“Jeder Mensch ist einmalig”: Biometrie meets Wellness

Mehr als bloß Sicherheit: Wohlfühlgarantie und Einmaligkeit. Die Firma byometric system ag, spezialisiert auf Iriserkennung, greift auf ihrer Homepage tief in die Esoterik-Jargon-Tasche, um ihr Sicherheits-High-Tech-Produkt zu verkaufen.

EINMALIGKEIT
Jeder Mensch ist einmalig. Seine Iris auch.
Wir haben gelernt, die Iris zu lesen, und haben aus ihr einen Ausweis gemacht. Fälschungssicher, unverlierbar.
Dieser Ausweis bietet Freiheit von Codes, Cards und Keys. Der Blick in eine spezielle Kamera genügt. Die Natur garantiert die Sicherheit.
Sich frei fühlen, sicher sein, sich selber finden. Jeder Mensch soll diese Chance haben. Denn jeder Mensch ist einmalig.

Das ganze wird illustriert von der Abbildung eines Mannes, der in schneeweißen (=”unschuldigen”) Klamotten im Lotussitz meditiert (mit geschlossenen Augen, übrigens). Auf seinem T-Shirt sehen wir ein grafisches Symbol, das man je nachdem als abstrakte Iris oder als Zielscheibe lesen kann. (Das wäre doch mal ein schönes Entgegenkommen sicherheitsbewußter Bürger: Wir lassen uns alle im nächsten Copyshop unsere Iris oder Retina stark vergrößert aufs T-Shirt drucken, damit wir auch über Distanz identifiziert werden können.)
Dass der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily im Vorstand der Firma sitzt, war Anlass einer Kleinen Anfrage der FDP im Bundestag (Drucksache 16/2716). Ãœber Bosch Sicherheitssysteme hat byometric einen größeren staatlichen Auftrag im Rahmen des Projekts “Automatisierte und Biometriegestützte Grenzkontrolle” erhalten.

Ergänzung (13.4.2007): Hier der Link zur Antwort der Bundesregierung auf die FDP-Anfrage.

was es früher so gab und wer heute schon viel weiter ist

Wolfgang Schäuble im Interview mit dem DeutschlandFunk:

Da gab es ja früher so etwas alberne Debatten, als wäre es eine große Verletzung von Persönlichkeitsrechten, wenn Menschen auf öffentlichen Plätzen von Videokameras beobachtet würden.

Des weiteren gibt er bekannt, dass er plant, die Daten der Mautkontrolle entgegen den aktuellen gesetzlichen Restriktionen nicht nur zur Aufklärung von schweren Straftaten, sondern präventiv auch zu deren Verhinderung einsetzen zu wollen, “wenn sie dafür geeignet sein können.” Ich dachte, die Diskussion würde gerade noch über den ersten der beiden Punkte geführt? Schäuble ist da offenbar schon viel weiter. Außerdem ist die Rede davon, dass Sprengstoff aus der Luft per Hubschrauber zu erkennen sei. Ich bitte (ernsthaft) um technikkundige Kommentare, die mir erklären, wie so etwas funktonieren kann.

Nachhilfeunterricht, Teil 2

Wie oft müssen wir in der so genannten “Sicherheitsdebatte” selbst bei kritischen Beiträgen noch lesen, es seien die unscharfen Bilder der Videokameras gewesen, mit deren Hilfe einer – oder gar beide – der Attentäter so unglaublich rasch “identifiziert” worden seien? Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, haben die “Feierabend-Attentäter” schon selbst dafür gesorgt, geschnappt zu werden:

Die Ermittler wussten früh, dass die Attentäter Verbindungen in den Libanon hatten, denn es fanden sich in den Koffern auch libanesische Telefonnummern, darunter sogar Nummern der Verwandtschaft E.H.s, dessen Vater dann abgehört wurde.

Nachhilfeunterricht

O.k., jetzt ist es also raus, dass “Person 2” alias Youssef E. nicht etwa von seinen Wohnheim-Kollegen auf den vom BKA veröffentlichten Bildern erkannt und angezeigt worden ist, sondern in Panik geriet, seine Verwandtschaft im Libanon anrief und prompt in eine Abhörfalle des libanesischen Geheimdienstes geriet, der die Familie wohl schon seit längerem heimlich observierte. Es wäre auch verwunderlich gewesen, wenn ihn irgendjemand auf den unscharfen Bildern hätte eindeutig identifizieren können. Das konnte nur er selbst, und seine Reaktion hat ihn verraten. Das lässt doch hoffen: Vor Terror-Dilettanten, die weder Bomben bauen können noch die Nerven bewahren, wenn das Auge des Gesetzes anfängt zu blinzeln, bewahren uns die Kameras schon ganz großartig. Und was ist mit echten, professionellen Fanatikern? Oder Selbstmordattentätern? Leute, die den Zug zur Hauptverkehrszeit nehmen, wenn die Bahnsteige (und die Waggons) voll und unübersichtlich sind?

Gesichtserkennung in der dritten Dimension

Mit 12 Millionen Euro fördert die EU seit April 2006 das Projekt 3D Face, das die Leistungsfähigkeit von Gesichtserkennungssystemen erheblich verbessern soll. Ziel ist ein Upgrade der biometrischen Merkmalsdaten in den neuen europäischen Reisepässen. Zweidimensionale Gesichsterkennung ist stark fehleranfällig, vor allem gegen Lichteinfall oder die Neigung des Kopfes. Unter der Leitung des französischen Sagem Défense Sécurité arbeitet ein Konsortium von 12 Unternehmen zusammen, von deutscher Seite ist unter anderem das Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD beteiligt.

Kommt die zentrale biometrische Datenbank?

Auf einer Tagung zum Thema “Biometrie und Datenschutz” hat Hans-Peter Uhl, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, bekannt gegeben, er halte eine zentrale Speicherung biometrischer Daten aus Ausweisdokumenten für “nützlich”, wie heise.de berichtet. Weiterhin wird der Mann wie folgt zitiert: “Als Sicherheitspolitiker hat man Interesse an möglichst vielen Daten und Datenabgleich, da man damit Sicherheit produzieren kann.” Sicherheit kann jetzt also schon ‘produziert’ werden? So wie man Tomaten, Autos oder Kernseife am Fließband herstellen kann? Und das Rohmaterial dazu sind die Daten? Uhl, der für Datenschutzfragen gerne noch “sensibilisiert” werden würde, zeigte sich im Verlauf der weiteren Diskussion reichlich unsensibel. Auf den kritischen Einwand der innenpolitischen Sprecherin der Grünen im Bundestag, Silke Stokar, sie fühle sich unwohl, wenn sie auf Reisen gehe in Staaten, die keine Schutzgarantien für die eingelesenen biometrischen Daten abgeben, entgegnete Uhl: “Dann bleiben Sie halt zu Hause.”

Die englische Polizei: hat besseres zu tun

Die schönsten Aufnahmen nützen wenig, wenn die Polizei keine Zeit hat, sie auszuwerten, wie ein interessanter Artikel im Telegraph zeigt. Dem Bericht zufolge beschweren sich Laden- und Geschäftsinhaber zunehmend über den Unwillen der Polizei, Aufnahmen aus ihren hauseigenen Überwachungsanlagen zu sichten, nachdem in die Geschäfte eingebrochen wurde.

Ein Sprecher der Londoner Polizei wird wie folgt zitiert: “If there is no clear indication that there is a good picture of the subject or incident on the CCTV camera, we have to consider the amount of hours that would be taken up by officers, and if it is the best use of their time.”

Eine Umfrage der Zeitung ergab, dass neun von 52 befragten Polizeiwachen “nicht notwendigerweise” auf Bänder zurückgreifen würden, wenn ein nächtlicher Einbruch stattgefunden hat.