Category: Polizei/Militär/Geheimdienst

Kameras verhindern keine Gewalt

Wie die Bundespolizei in Hamburg mitteilte, haben bereits am Sonntag drei Jugendliche, einen Mann auf dem Hamburger Hauptbahnhof niedergeschlagen und so lange auf ihn eingetreten, bis dieser zwischen S-Bahn und Bahnsteig auf die Gleise fiel. Die Beamten verhafteten die Jugendlichen. Soweit die Nachricht.

Jetzt zum Nachdenken: Wie lange dauert es bis man jemanden so zusammenschlägt, dass er in den Spalt zwischen Bahn und Steig durchfällt? Länger als ein Handtaschenraub allemal. Am Hauptbahnhof sind mehr als 100 Kameras aufgestellt (meines Wissens sogar über 150) – diese werden live beobachtet – auch um präventiv tätig zu werden. Was haben die Kameras auf dem Schirm gehabt, was die Operateure gesehen? Leider zeigt sich hier, dass Kameras nicht das halten, was von anderen versprochen wird. Dieser Vorfall dürfte als Gegenargument nicht viel wert sein, aber all denen, die bisher auf die Macht des omnipräsenten Auges vertrauten, kommen vielleicht doch Zweifel, ob die Technik für mehr Sicherheit sorgt – Abschreckung?: in diesem Fall Fehlanzeige. Ein Einzelfall? – vielleicht. Aber auch der ist für das Opfer nicht sehr tröstlich. Ein ehrlicher Umgang mit der Technik “Videoüberwachung” wäre endlich angebracht, echte Evaluationen, und eine Offentheit, die endlich sagt, wofür die Kameras tatsächlich da sind: Aufklärung, nicht Prävention, denn dafür gibt es keine stringenten Argumente und Studien.

Karten und das Verbrechen

Ist zwar schon ein paar Tage her, aber die Nachricht ist immer noch gut: In Baden-Württemberg plant der dortige Innenminister einen Videoatlas zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung. Darin enthalten: Möglichst alle vorhandenen Kameras im Ländle, gleich ob öffenntlich oder privat. Und auch nur so hat es einen Sinn, denn die öffentlichen Kameras reichen für eine mehr oder weniger lückenlose Ãœberwachung nicht aus – der Zugriff auf die vielen, vor allem bislang nicht-registrierten privaten Kameras könnte hier einen enormen Sprung nach vorn bedeuten.

Auch wenn es hierzulande noch nicht so verbreitet und bekannt ist: Kartierungen im Bereich der Kriminalistik sind der letzte Schrei und ein machtvolles Instrument – auch um Wirklichkeit zu produzieren und Wahrnehmungen zu steuern. Ganz vorn liegen dabei die Experten der Metropolitan Police in London, wo die deutsche Christine Leist “auf Verbrecherjagd” geht – eine relative unpassende Beschreibung, aber gut…. In Deutschland wird das GLADIS-System auf Basis der von ESRI hergestellten GIS-Software schon seit längerem benutzt.

Wie das Hauptstadtblog berichtet, gibt es auch in Berlin bereits Anstrengungen in diese Richtung, die an ein Projekt der EU anschließen. Für Hamburg macht sich eine Geographin in ihrer Dipom-Arbeit Gedanken zur Kriminalitätserfassung mittels Karten.

Wirklich gute Informationen gibt es beim National Institute of Justice, das für die USA Werkzeuge und Anwendungen zum mapping bereitstellt. Und noch mehr zum Thema gibt es beim Jill Dando Institute for Crime Science in Großbritannien.
Ob und wie effektiv die Karten und Verfahren tatsächlich bei der Kriminalitätsbekämpfung sind, müssen wir abwarten. Dass solche veröffentlichten Karten nicht ohne Wirkung für unser Verständnis der Wirklichkeit bleiben werden, steht schon jetzt fest. Ob sich darüber die Verantwortlichen bewusst sind, bezweifle ich. Spannend und interessant ist das ganze Thema auf jeden Fall…. und zum Ländle bleibt nur zu sagen: Was ein Schnappsidee – zumal das ganze rechtlich höchst bedenklich ist, weniger die Karten, als die ebenfalls geplante Nutzung aller Kameras durch die Polizei.

Feature: Wirtschaftsspionage

Bei DeutschlandRadio Kultur gab es einen wirklich interessanten Bericht zum Thema Wirtschaftsspionage, welches am Rande (oder eben auch durchaus zentral) mit dem Thema Überwachung zu tun hat. Der Text ist auf den Webseiten nachzulesen. Das hier ein ganzer Zweig der Wirtschaft recht ungeschützt hantiert stellt auch der Verfassungsschutz fest:

Woll: “Es gab diesen Abschlussbericht der EU zu dem Abhörsystem Echelon, der ja auch noch mal die theoretische Gefahr dargestellt hat. Man hat aber gesagt, ob es tatsächlich so gelaufen ist, das weiß man gar nicht. Was für mich als Sicherheitsmann viel wichtiger ist, ist, dass man festgestellt hat, dass die europäische Wirtschaft relativ ungeschützt ist gegen solche Angriffe. Deswegen hat das LfV Baden-Württemberg seit langem auch die technische Seite schwerpunktmäßig bedient.” (im Feature bei dradio)

Ãœberwachungsdrone für 1.000 Euro – Watching them watching us

Spiegel Online schreibt über ein Produkt, dass auf dem Chaos Computer Congress demonstriert wurde:

Mal sehen, was der Nachbar treibt

Seit brauchbare Drohnen kommerziell verkauft werden, ist Überwachung aus der Luft nicht länger ein Privileg für Militär und Polizei. Hacker auf dem Chaos Communication Congress diskutieren bereits völlig neue Einsatzfelder.

Polizeidrohne gegen Demonstrantendrohne – so stellt sich ein Teilnehmer am Chaos Communication Congress Protestaktionen in ein paar Jahren vor. Seine Vorstellung ist alles andere als absurd, denn kleine fliegende Ãœberwachungskameras dürften in den nächsten Jahren erschwinglich werden, sodass selbst kleinere Bürgerinitiativen sich damit ausrüsten könnten.

Interessanterweise in der Rubrik Spielzeug abgelegt. Die MD4-200 kostet derzeit ca. 10.000 Euro, soll aber nach Aussage der Netzaktivisten für ca. 1.000 auch in Eigenproduktion innerhalb eines Jahres hergestellt werden können.

Neues Polizeigesetz für Brandenburg

Die SPD/CDU-Koalition in Brandenburg hat gegen die Stimmen der Opposition eine umstrittene Novelle des Polizeigesetzes beschlossen, das den Einsatzkräften der Polizei weitreichende Befugnisse zur “Gefahrenabwehr” zugesteht. Kritiker sehen in diesem Gesetz eine weitere Aushöhlung der Grundrechte und melden zudem verfassungsrechtliche Bedenken an. Trotz sinkender Kriminalitätszahlen in Brandenburg verteidigt Innenminister Schönbohm die Novellierung mit dem Totschlagargument, dass alles getan werden müsse um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. So muss das “subjektive Sicherheitsgefühl” mal wieder als Steigbügelhalter für die Einführung bzw. Ausweitung von akustischer Wohnraumüberwachung, Handyortung, “vorbeugender Telefonüberwachung”, “anlassbezogener Kennzeichenfahndung”, Videoüberwachung usw. usw. herhalten. Auf der Grundlage eines nicht näher spezifizierten, geschweige denn irgendwie gemessenen Gefühls (aber wie will man “subjektive” Gefühle auch messen und objektive darstellen…) wird die Palette der Kontroll- und Ãœberwachungsmöglichkeiten ausgeweitet. Dieses perfide Spiel wird leider immer wieder von konservativen Politikern gespielt. Aber es funktioniert ja anscheinend auch immer wieder.

Mikrofone und Helmkameras

Nur kurz: Zwei aktuelle Meldungen über mögliche Erweiterungen von Videoüberwachung in Großbritannien. Erstens wird die Polizei im Londoner Stadtteil Haringey in einem Feldversuch ihre Beamten mit Mini-Kameras auf den Helmen ausrüsten, die dauerhaft aufzeichnen. Die Bilder werden auf einer Festplatte am Gürtel gespeichert. Ziel ist weniger Kriminalitätsreduktion, als die Bekämpfung antisozialen Verhaltens. “Wearable Cams” kennt man sonst nur aus Kinofilmen oder von Countersurveillance-Guru Steve Mann. Zusätzlich zu dieser Maßnahme sollen an mehreren Orten der Stadt “airport style search arches” aufgestellt werden, um Leute, die Waffen bei sich tragen, zu entdecken. Siehe auch hier.
Zum zweiten gibt es in der britischen Polizei offenbar Überlegungen, ein in den Niederlanden entwickeltes und verbreitetes System zur Stimmerkennung einzusetzen. In Kombination mit Mikrofonen könnte ein Überwachungssystem so Muster aggressiven Sprechens erkennen, ohne tatsächlich den Inhalt sämtlicher Gespräche aufzeichnen zu müssen. Datenschutzrechtliche Bedenken könnten so möglicherweise umgangen werden, allerdings hält sich die ACPO noch bedeckt und wünscht sich eine Diskussion vor einem möglichen Einsatz und trägt Bedenken vor, ob die Polizei auch über genügend Ressourcen verfügen würde, die zusätzliche Informationslast zu bewältigen. Siehe auch den Beitrag in Telepolis.

Ãœberwachung klassisch

Eigentlich eine erschreckende Geschichte – dann aber wieder auch wieder nicht. Der Abhörskandal in Italien (tagesschau.de, siehe auch: Spiegel Online, 21.9.2006) zeigt die Verflechtungen zwischen privaten und staatlichen Stellen, der sich nicht auf diesen Fall und diesen Bereich beschränken dürfte. Hier ging es noch um eine klassische Ãœberwachung bestimmter Personen, mit allen Mitteln moderner Technik – eine Kontrolle nicht möglich. Kontrolle staatlicher Stellen und aller anderen, die im Auftrag des Staates deren Aufgaben wahrnehmen muss bei allen Maßnahmen gewährleistet sein – nicht nur durch die Datenschützer. Die Vermischung von privaten und staatlichen Zuständigkeiten (FAZ, 21.9.2006), bei den Ordnungsdiensten, Datenverarbeitung und vielleicht auch bald bei der Videoüberwachung ist unschön und birgt jede Menge Gefahren- vor allem aber Ärgernispotential in sich. Italien ist da ein nur ein Beispiel, viellleicht auch gerade weil es Italien war…. oder doch nicht?!

Ausgerechnet der langjährige Sicherheitsbeauftragte des Telefonkonzerns, Giuliano Tavaroli, gilt als zentrale Figur des Skandals. Gemeinsam mit dem Privatdetektiv Emanuele Cipriani, dem ehemaligen Vize des italienischen Geheimdienstes SISMI, Marco Mancini, soll der leitende Telekomangestellte Telefone angezapft, Bankgeheimnisse geknackt und E-Mails heimlich mitgelesen haben. Geholfen haben dabei wahrscheinlich mehr als ein Dutzend korrupter Carabinieri und Finanzpolizisten – auch sie wurden heute verhaftet. (aus: tagesschau.de)

Und Italien steht doch nicht allein und nackt vor der Welt – in den USA (wo auch sonst) gibt es solche Thriller offensichtlich nicht nur in Hollywood, sondern auch bei Hewlett Packhard (Spiegel Online, 20.9.2006).

was es früher so gab und wer heute schon viel weiter ist

Wolfgang Schäuble im Interview mit dem DeutschlandFunk:

Da gab es ja früher so etwas alberne Debatten, als wäre es eine große Verletzung von Persönlichkeitsrechten, wenn Menschen auf öffentlichen Plätzen von Videokameras beobachtet würden.

Des weiteren gibt er bekannt, dass er plant, die Daten der Mautkontrolle entgegen den aktuellen gesetzlichen Restriktionen nicht nur zur Aufklärung von schweren Straftaten, sondern präventiv auch zu deren Verhinderung einsetzen zu wollen, “wenn sie dafür geeignet sein können.” Ich dachte, die Diskussion würde gerade noch über den ersten der beiden Punkte geführt? Schäuble ist da offenbar schon viel weiter. Außerdem ist die Rede davon, dass Sprengstoff aus der Luft per Hubschrauber zu erkennen sei. Ich bitte (ernsthaft) um technikkundige Kommentare, die mir erklären, wie so etwas funktonieren kann.

“Policing Crowds – Privatizing Security” : Tagung zu neoliberaler Sicherheitspolitik

Parallel zur Sicherheits- und Sponsoren-WM findet am 24./25. Juni 2006 in den Räumen der NGBK in der Oranienstraße 25, 10999 Berlin-Kreuzberg die internationale Tagung “POLICING CROWDS – PRIVATIZING SECURITY: Neoliberal Policing in the long 1990s – and Beyond” statt. Die Tagungsbeiträge werden sich mit den Zusammenhängen von Sport und Sicherheit im Neoliberalismus, der Kommodifizierung von Sicherheit, der Expansion der Ãœberwachung und der Zukunft sozialer Bewegungen nach 9/11 beschäftigen.

Tagungssprache ist Englisch. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.policing-crowds.org.