Author: Eric Töpfer

Eric Töpfer ist Politikwissenschaftler und arbeitet seit 2001 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin, wo er u.a. das vergleichende EU-Forschungsprojekt URBANEYE koordinierte. Seine Forschungsinteressen sind (Informations-)Technik und Gesellschaft, Überwachungs- und Polizeistudien, Friedens- und Konfliktforschung, Wandel von Staatlichkeit und sozialer Kontrolle. Er ist Advisory Editor des Online-Magazins "Surveillance & Society".

Geheimdienste und sicherheitsindustrieller Komplex

Das eine Heft schon seit einiger Zeit mit ausgewählten Beiträgen online, das andere frisch im Netz: Nr. 93 von “Bürgerrechte & Polizei/CILIP” widmet sich dem Thema bundesdeutsche Geheimdienste und das aktuelle Heft Nr. 94 schaut auf den sicherheitsindustriellen Komplex. In der Summe finden sich Texte zur Entwicklung der (west-)deutschen Dienste, der Frage, wie man eigentlich “Verfassungsfeind” wird, der Karriere von Drohnen zwischen Militär und Innerer Sicherheit und ein Portrait des “Homeland Security”-Technologie-Anbieters Unisys – sowie in der kompletten Print-Ausgabe einiges mehr zum Thema Ãœberwachung.

Von den Tücken kriminalistischer Wunderwaffen

Viele werden sicherlich schon vom “Phantom von Heilbronn” gehört haben, einer Unbekannten, die verdächtigt wird, 2007 eine Polizistin in der gleichnamigen Stadt getötet zu haben. Nachdem im Laufe der letzten Jahre an mehr als 40 Tatorten anderer Straftaten DNA-Spuren der unbekannten Frau aufgetaucht waren, ging die Polizei davon aus, dass es sich um eine Serientäterin handelt. Zudem musste der Fall auch immer wieder dafür herhalten, Rufe der Kriminalisten-Lobby nach einer Ausweitung der strafprozessualen Vollmachten zur Erhebung und Speicherung von DNA-Profilen in der BKA-Datenbank zu rechtfertigen. Nun könnte sich die jahrelange Gespensterjagd allerdings als Farce herausstellen.

Wie Spiegel Online berichtete, prüfen die Ermittler inzwischen, ob vielleicht die zur Sicherung der Tatortspuren eingesetzen Wattestäbchen fremdverunreinigt waren. Skeptisch wurde man, als überraschenderweise bei der erkennungsdienstlichen Untersuchung der verbrannten Leiche eines 2002 verschwundenen Asylbewerbers die gleichen DNA-Spuren auftauchten.

Aber eine “Wunderwaffe” bleibt eine Wunderwaffe – gilt es doch nur sie richtig zu bedienen. Um Möglichkeit von Falschanalysen wegen Verunreinigungen auszuschließen, schlug ein Sprecher des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in den Stuttgarter Nachrichten umgehend vor:

Die Hersteller sollten den Packungen DNA-Merkmale der beteiligten Mitarbeiter als Code beilegen. Damit könnte diese Spur gleich ausgeschlossen werden.

Mal sehen was die Betroffenen davon halten. In der Schweiz zumindest verweigern sich Polizisten, die ja ebenfalls Verursacher von Fremdverunreinigung sein könnten, bisher standhaft einer Erfassung.

Das die Tendenz zur Ausweitung der Ãœberwachung immer auch ihre Ausnahmen kennt, zeigt sich auch an der jüngst vom Europäischen Parlament abgesegneten Aufnahme und Speicherung biometrischer Merkmale in Visa und das korrespondierende Visa-Informationssystem (VIS). Zwar sollen sogar selbst Kinder ab 12 Jahren erfasst werden, Staatsoberhäupter und Angehörige von Königshäusern sind allerdings ausgenommen. Wie hieß es doch so schön in Orwells “Farm der Tiere”: “Some animals are more equal …”

Neue Sicherheitsarchitektur – Europäische Großbaustelle

Die aktuelle Ausgabe von “Bürgerrechte & Polizei/CILIP” beschäftigt sich mit der “neuen Sicherheitsarchitektur” – diesmal der europäischen. Mit dabei sind Analysen zu den Planungen für das nächste Fünf-Jahres-Programm der europäischen Innen- und Justizpolitik, Europol, dem EU-Halali zur Piratenhatz unter dem klingenden Namen “Atalanta” am Horn von Afrika, dem wachsenden grenzüberschreitenden polizeilichen Datenaustausch und der transatlantischen “Sicherheit”-Kooperation. Einige Texte aus dem Heft sind auch online sowie seit kurzem auch weitere Texte zurückliegender Hefte.

Veranstaltung zur Verschärfung europäischer Innenpolitik

Unter schwedischer EU-Präsidentschaft soll 2009 ein neues Rahmenprogramm für polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen Union beschlossen werden. Hierfür hat die sogenannte Future Group hat im Sommer eine Wunschliste vorgelegt, die vor allem im Bereich Migration sowie der Nutzung gespeicherter Daten (“Daten-Tsunami”) weitreichende Verschärfungen fordert.
Am kommenden Montag geben in Berlin Ben Hayes von Statewatch, Hanne Jobst von Gipfelsoli und Peer Stolle vom Republikanischen Anwälte und Anwältinnenverein einen Überblick über neue Institutionen, Gesetze und Vereinbarungen sowie technische Entwicklungen auf EU-Ebene und diskutieren ihre politischen und gesellschaftlichen Folgen.

Ort und Zeit:
Montag, 27. Oktober, 20.00 Uhr
KATO, im U-Bhf Schlesisches Tor, 10997 Berlin

Gentests zur Migrationskontrolle

… sind das Thema einer Veranstaltung des Gen-ethischen Netzwerkes am 18. November in Berlin. In der Ankündigung der Veranstalter heißt es:

DNA-Tests sind zum Instrument staatlicher Migrantionskontrolle geworden. Deutsche Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen verlangen immer häufiger DNA-Tests, um ein Verwandtschaftsverhältnis nachzuweisen, sei es für ein Visum zum Familiennachzug, sei es für einen deutschen Pass. Das Gendiagnostik-Gesetz, das derzeit im Bundestag beraten wird, schränkt diesen Zugriff auf höchst sensible Daten nicht ein, sondern legalisiert ihn. In Frankreich gab es Ende letzten Jahres eine große Protestkampagne gegen DNA-Tests als Teil der neuen Ausländergesetzgebung unter Präsident Sarkozy. Die ReferentInnen informieren über den Stand der Dinge in Deutschland und Frankreich.

Es referieren:

  • Marei Pelzer, Juristin von Pro Asyl – Frankfurt a. M.
  • Bernard Schmid, Journalist und Jurist der antirassistischen MRAP –  Paris

Ort und Zeit:
Dienstag, 18. November 2008, 19.30 Uhr
Kreuzberg Museum, Adalbertstr. 95A, 10999 Berlin

Postmoderne Perspektiven: Hamburger Symposium zu den Kontrollgesellschaften

Vom 3. bis zum 8. November findet an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg das internationale Symposium “Virtualität und Kontrolle” statt (direkter Link zur Veranstaltung). Mit akademischen Vorträgen und szenischen Lesungen im Nachasyl des Hamburger Thalia Theaters will das Symposium den Fragen nachgehen, wie sich sich Fluchtlinien, Techniken und Stratageme denken lassen, die den Techniken der Kontrolle und Selbstkontrolle entgehen – politisch, ökonomisch, kulturell und künstlerisch?

Zur Zukunft der polizeilichen Videoüberwachung in Hamburg

Die Ãœberraschung war groß. CDU und Bündnisgrüne haben in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition besiegelt. Einig war man sich, dass die polizeiliche Videoüberwachung – Hamburg ist mit 17 Kameras auf der Reeperbahn und am Hansaplatz bundesweit Spitze – fortgeführt werden soll. Hierzu der Koalitionsvertrag etwas kryptisch:

An der Videoüberwachung im öffentlichen Raum an Kriminalitätsschwerpunkten wird unter besonderen Rahmenbedingungen grundsätzlich festgehalten. Zur bevorstehenden Evaluierung der praktischen Umsetzung der Videoüberwachung werden insbesondere die Empfehlungen des Datenschutzbeauftragten im schweizerischen Kanton Zürich – wie beispielsweise die Prüfung von Alternativen oder die Möglichkeiten eines nur temporären Einsatzes – als Kriterien herangezogen. Bis Ergebnisse vorliegen, wird auf die Ausweitung der Videoüberwachung an neuen Standorten verzichtet.

Was die “besonderen Rahmenbedingungen” sind, wer, wie evaluiert und warum nun trotz langjähriger Beschäftigung deutscher Datenschützer mit dem Thema und jüngerer Empfehlungen des Europarates ausgerechnet der Züricher Datenschutzbeauftrage als Kronzeuge herhalten muss … dies alles bleiben offene Fragen. Insofern dürfen wir gespannt sein, wie lange der Verzicht auf die Ausweitung anhält. Als die Grünen im Jahr 2000 zähneknirschend der Videoüberwachung in Nordrhein-Westphalen zustimmten, hieß es noch, sie seien von der SPD “erpresst” worden. Hiervon kann in Hamburg wohl keine Rede sein. Klingt eher nach einem Tauschhandel: Die Fortführung der Videoüberwachung als Zugeständnis für eine vermeintlich sozialere städtische Sicherheitspolitik. Heißt es doch einen Absatz über der Vereinbarung zur Videoüberwachung:

Im öffentlichen Raum wird es keine Verdrängung sogenannter randständiger Gruppen geben. Die bestehenden ordnungsrechtlichen Regelungen bieten eine gute Handhabe gegen Störungen im öffentlichen Raum und sollen nicht weiter ausgeweitet werden.

Angesichts der Großen Anti-Bettler-Koalition aus konservativen Leistungsmoralisten, Handelskammer, Business Improvement Districts, parternalistischer Sozialverwaltung und sozialdemokratischen Bezirkspolitikern besteht der politische Erfolg der Grünen wohl hauptsächlich darin, dass auf eine Eskalation der Anti-Armen-Politik verzichtet werden soll. Also: Business as Usual in Hamburg …

Hilfloser Datenschutz – Neuer CILIP-Themenschwerpunkt

Unter dem Titel “Hilfloser Datenschutz” ist Anfang Februar die neue Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei / CILIP erschienen. Online finden sich leider nur das kurze Editorial und die englischen Summaries. Aber allein der erste Artikel von Heiner Busch “Verrechtlichung, Individualisierung, Entpolitisierung” ist äußerst lesenswert. Seine Diagnose: Angesichts der voranschreitenden Verrechtlichung staatlicher Ãœberwachungsvollmachten reduzierten sich die Interventionsmöglichkeiten des offiziellen Datenschutzes zunehmend auf die Verfolgung von Missbrauch, während der Gebrauch von legalisierten Maßnahmen der Kritik entzogen werde. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht mit seinen Urteilen zum Großen Lauschangriff und der Telefonüberwachung deutliche Grenzen gezogen, schütze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung uneingeschränkt allerdings nur in den eigenen vier Wänden (“Schlafzimmer-Datenschutz”). Implizit wird der öffentliche Raum damit vom schützenswerten Forum demokratischer Willensbildung umdefiniert zum “gefährlichen Ort”, der im Interesse des Gemeinwohls zu überwachen sei.

Schleswig-Holsteins Datenschützer Weichert warnt vor staatlicher Willkür

Auch wenn die Mehrheit der US-Bürger bereit zu sein scheint, die Ausforschung ihrer Kommunikationsgewohnheiten im Tausch gegen fragwürdige Sicherheitsversprechen hinzunehmen (s. Florian Rötzer in Telepolis: Sicherheit geht vor Datenschutz), zeigen die Berichte über das gigantische verdeckte Ãœberwachungsprogramm der National Security Agency (s. auch Süddeutsche Zeitung: Der überwachte Amerikaner) wie sehr sich die Exekutive im “Krieg gegen den Terror” verselbständigt und demokratischer Kontrolle entzieht. Selbst vor Jahren in die Mühlen geheimdienstlicher Machtpolitik geraten, als der damalige Verfassungsschutzchef Eckhart Werthebach 1991 mit einem diffamierenden Dossier seine Bewerbung um den Job als Datenschützer Brandenburgs torpedierte, stellt Thilo Weichert, der Landesdatenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein nun in einem Beitrag im Technology Review die Frage “Wie viel Freiheit müssen wir aufgeben, um unsere Freiheiten zu schützen?” und warnt vor den Folgen exzessiver und unkontrollierter Ãœberwachung.

Thilo Weichert: Überwachung ohne Transparenz fördert staatliche Willkür, in: Technology Review 5/2006.

“Policing Crowds – Privatizing Security” : Tagung zu neoliberaler Sicherheitspolitik

Parallel zur Sicherheits- und Sponsoren-WM findet am 24./25. Juni 2006 in den Räumen der NGBK in der Oranienstraße 25, 10999 Berlin-Kreuzberg die internationale Tagung “POLICING CROWDS – PRIVATIZING SECURITY: Neoliberal Policing in the long 1990s – and Beyond” statt. Die Tagungsbeiträge werden sich mit den Zusammenhängen von Sport und Sicherheit im Neoliberalismus, der Kommodifizierung von Sicherheit, der Expansion der Ãœberwachung und der Zukunft sozialer Bewegungen nach 9/11 beschäftigen.

Tagungssprache ist Englisch. Weitere Informationen und Anmeldung unter www.policing-crowds.org.