Author: Dietmar Kammerer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Insitut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Veröffentlichungen: "Bilder der Überwachung", Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008.

Die unheimliche Ironie der Ãœberwachung

Wie Cory Doctorow, Autor von Little Brother im Weblog Boingboing meldet, machen in Brighton “unheimliche” Plakate Werbung für Videoüberwachung mit dem Slogan More CCTV means more security for you. Doctorow kommentiert das Plakat wie folgt:

These unbelievably creepy pro-spy-camera ads have gone up in the Brighton, England train-stations. It’s like they’re not even trying anymore. (Or maybe it’s a prank? Could someone really have put this up in a public place this with a straight face?)

(Für eine ausführlich Erläuterung, warum Plakate, die für Videoüberwachung werben, notwendigerweise unheimlich wirken und unter dem Verdacht stehen müssen, ein Prank, eine Fläschung in subversiver Ansicht zu sein, siehe die Seiten 246-249 in meinem Buch Bilder der Überwachung, wo ich ausführlich auf die Rezeption dieses schönen Plakates eingehe. Siehe auch hier und hier. Für ein anderes Beispiel hier.

Nachtrag: Man vergleiche das Design des Plakats mal mit diesem Cover.

Monitore bleiben unbesetzt – aus Geldmangel

Wie der Daily Mail berichtet, bleiben in Zeiten knapper kommunaler Haushaltskassen in Großbritannien viele Arbeitsplätze an den Monitoren unbesetzt: Big brother is NOT watching you:

As cash-strapped police forces and councils around the UK are forced to tighten their belts in the recession, CCTV cameras around town centres are being left unmanned as they can’t afford to pay anyone to watch out for crime as it happens.

Der Artikel berichtet von Kommunen, in denen Polizei und Stadtverwaltung sich gegenseitig die finanziellen Kosten zur Beobachtung der Kameras zuschieben wollen. Um Personal zu sparen, werden Kameras auf Autopilot gestellt. Verwertbare Aufnahmen von Straftaten weden damit zu Zufallstreffern. In manchen Kommunen schaltet die Polizei Anzeigen, um Freiwillige zu finden, die sich ohne Bezahlung vor die Monitore setzen. Die Annahme, Videoüberwachung ist eine “billige” Lösung, ist damit wohl widerlegt.

Dazu die Einschätzung von David Wood, verbreitet über die Mailingliste des Surveillance Studies Network:

It will probably not be resistance that is the biggest enemy of surveillance, but capitalism.

Videoüberwachung gegen Prostitution

Spiegel TV hat einen Beitrag über einen Straßenstrich in der tschechischen Grenzstadt Komotau/Chomutov, auf dem Videoüberwachung gegen Prostitution eingesetzt wird. Wird eine Prostituierte auf einem Monitor entdeckt, werden Beamte losgeschickt, um sie zu vertreiben. Außerdem stellt die örtliche Polizei Fotos ins Netz, auf denen die Autos der (angeblich meist deutschen) Freier zu sehen sind. Auf den Fotos sind die Kennzeichen und Gesichter der Fahrer allerdings maskiert, wohl aus Datenschutzgründen.

Embedded Art – Kunst im Namen der Sicherheit

Eine Vorschau: Im Januar 2009 wird an der Akademie der Künste Berlin die Ausstellung “Embedded Art – Kunst im Namen der Sicherheit” eröffnet. Die Website Embedded Art dazu ist schon angelegt, aber aktuell noch nicht freigeschalten. Kurator der Ausstellung ist Olaf Arndt, Autor des sehr schönen und lesenswerten Buches DEMONEN und Mitglied der Künstlergruppe Beobachter der Bediener von Maschinen.

Mit Dank an Lillevan für den Hinweis.

Generation Internet

Hinweis auf eine Neuerscheinung über “Digital Natives”: “Generation Internet” von John Palfrey und Urs Gasser. Das Buch dreht sich um die Frage: Was bedeutet das Internet für die Generation, die ein Leben ohne Computer und Vernetzung gar nicht mehr kennt?  Gelesen habe ich es noch nicht, aber laut Rezension der Süddeutschen Zeitung behandeln die Autoren ausführlich auch Fragen nach Data Mining und digitaler Identität.

IKEA goes Big Brother

Nils aus Hamburg(!) alleine zu Hause. Und wir dürfen alle zusehen. IKEA Deutschland hat für seine aktuelle Marketingkanpagne “Warte bis September” – dann nämlich wird der nächste Katalog ausgeliefert – Anleihen am bekannten RTL-Szenario genommen und eine Livewebcam in einer beinahe unmöblierten Wohnung installiert. Ein junger Mann vertreibt sich die Zeit, bügelt, ist am Telefon, hört Musik. Man hat zwei Kameraperspektiven zur Auswahl. Im Hintergrund zeigt eine Uhr die aktuelle Zeit an, ab und an läuft der Fernseher – damit man weiß, dass das, was man sieht, wirklich echt und live ist. Kommentare auch hier und hier. Das Ganze wirkt übrigens wie die Umkehrung der Idee des isrealischen Künstlers Guy Ben-Ner, der IKEA-Wohnwelten zur Gratis-Kulisse für eine Sitcom umfunktioniert hat.

Hut ab vor den Kameras!

Die Nachricht ist zwar bereits knapp einen Monat alt, aber immer noch erzählenswert: Wie der Telegraph berichtet, ist das Tragen von Schiebermützen oder flat caps in den Pubs von Yorkshire, eine lokale Tradition unter Männern jenseits der Fünfzig, polizeilich untersagt. Wiederholt sei es zu Vorfällen gekommen, bei denen ein Täter wegen der Kopfbedeckung von den Kameras nicht identifiziert werden konnte, so die Begründung.

Brave Kinder werden nicht überwacht.

Schäubleseidank! Wir dürfen beruhigt sein:

Wir tun aber die Leute nicht überwachen und ausspionieren, nur wenn’s ganz schlimme Bösewichte sind, wo man … wo die Polizei hin kommen muss. Aber so brave Kinder wie ihr überwachen wir nicht.

(Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble)

Mit bestem Dank an die Kinderreporter des ARD-Morgenmagazin, doomicile und netzpolitik.org.

Little Brother

Hinweis auf einen aktuellen Artikel im Guardian des kanadischen Sci-Fi-Autors Cory Doctorow: Surveillance: You can know too much:

Britain has never collected more data on her citizens. But what use is all that information if we can’t process it fast enough?

Ebenfalls lesenswert: Cory Doctorows neuester Roman Little Brother über eine Gruppe von Teenagern, die sich in San Francisco nach einem terroristischen Angriff vorübergehend in Haft genommen werden und nach ihrer Freilassung beginnen, sich gegen den Überwachungsstaat zu wehren. Das E-Book steht unter einer Creative Commons-Lizenz und ist kostenfrei downloadbar.