Überwachung, Pandemien und Sicherheit

Gedanken und Texte in Corona-Zeiten

© 2020 TU Wien / dwh
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Nach den ersten Wochen des Kontaktverbots und der Empfehlung besser zu Hause zu bleiben, der Sorge um Eltern und Kinder, um Freunde und andere Nahestehende, in der ich versuche so viel wie möglich an Informationen zu verarbeiten wie es geht, kann ich leider nur sagen: Es wird da draußen eher unübersichtlicher als klarer. Aber das ist vielleicht der Kern einer Krise.

Kommentare und Einschätzungen zur Krise, zur Zukunft der Gesellschaft gibt es derzeit reichlich. Aus allen klugen und wirren Ecken. Ich möchte mich hier gar nicht einreihen in das Spiel und mitspekulieren, sondern ein paar Ressourcen teilen, die sich aus meiner Sicht eher generell mit verschiedenen Aspekten der Krise auseinandersetzen, denen das tagesaktuelle Geschwirre ein wenig fehlt. Das gelingt nicht immer, aber ich hoffe zu einem Teil. Dazu gehört in diesem Blog selbstverständlich zu allererst der Aspekt der Überwachung und Kontrolle, namentlich die Diskussion zu Tracking sowie die Angst vor dem autoritären Staat, der jetzt die Krise nutzt und alles umkrempeln will. Bei letzterem bin ich ob der Analyse vorsichtig, aber eine gute Chronologie zur innneren Sicherheit liefert Cilip – zu den Tracking Apps habe ich selbst etwas gesagt, …

… und zwar hier:

Corona und Überwachung

Soziologie und Krise – fehlende Fragen?

Ich möchte hier nicht noch einmal alle Äußerungen der vielen Kollegen im Einzelnen durchgehen, die in den vergangenen Tagen an verschiedenen Stellen gemacht worden sind, das wurde bei Soziopolis sehr schön zusammengestellt (auch bei Gedankenstrich.org). Bei Durchlesen einiger dieser Beiträge und auch in der Zusammenstellung allerdings werde ich Gefühl nicht los, dass der Hang zur Prognose so verlockend ist, dass die Entwicklung von Fragen ein wenig aus dem Blick gerät. Viele der Argumente und Prognosen sind dabei auch gar nicht so neu (u.a. neue/alte Solidarität; Wiederkehr des Nationalen; Staat vs. Neoliberalismus; post-irgendwas…) – eine schöne Ausnahme ist der Kollege Sven Opitz, der nun mit seinem Thema Pandemien vorn dran ist.

Aber haben diese gemutmaßten Entwicklungen tatsächlich mit der Corona-Krise zu tun oder wirkt diese hier eher als Verstärker von Prozessen, die ohnehin abliefen? In der sog. Flüchtlings-Krise von 2015 wurden ähnliche Analysen von den gleichen Leuten vorgebracht. Mit Gil-Scott Heron gesprochen, sehen wir hier nicht die Revolution (übertragen), sondern die Ergebnisse einer Revolution, also Dinge, die jetzt nur zu Tage treten, für welche Corona nicht ursächlich ist. Allerdings zeigt sich in der Krise wo Gesellschaft anfällig sein kann, welche Ressourcen sie (und ihre Mitglieder) nutzen könn(t)en um mit entsprechend stressvollen Situationen umgehen kann. Daher wundert es mich auch nicht, dass der vor wenigen Jahren noch so gehypte Begriff der Resilienz in diesem Analyse kaum fällt oder damit weitergedacht wird. Womit also könnten wir uns beschäftigen wenn das alles vorbei ist, womit sollten wir uns jetzt beschäftigen?

Die Kriminologie sollte zumindest den Blick für die Verwerfungen, die Abweichungen und die Katastrophen der Gesellschaft haben. Bevor ich also daran denke, was Corona mit der Gesellschaft macht, fordert die Krise doch viel eher heraus zu fragen, was macht Gesellschaft eigentlich aus und was und welche Routinen und Selbstverständlichkeiten werden da gestört. Mehr Blick auf den Alltag aus der Gesellschaft wird, auf die Strukturen und ihre Ambiguitäten. Und generell finde ich die Frage wie Corona auf Gesellschaft wirkt nur halb so interessant, wie die danach, wie die Menschen und wir als Gesellschaft mit der krisenhaften Situation umgehen. Was sind also die Dinge, Aspekte und Institutionen in der Gesellschaft, die die nötige Ressourcen für eine Resilienz bereitstellen können. Und haben die gehalten? Oder was hat sie beschädigt? Was tun Menschen um mit der Gefahr, der Unsicherheit, den schon jetzt spürbaren Folgen umzugehen?

Im Hinblick auf den Staat würde ich mir in der Tat den Umgang mit der Ausnahme anschauen, wie haben verschiedene Regierungen das gemanagt, wie verhielt sich die Polizei, welche ohnehin vorhandenen autoritären Strukturen und Verhaltensweisen brechen oder brachen sich hier Bahn. Welchen Bedeutungswandel hat Sicherheit in der Krise erfahren, nun gekoppelt an Gesundheit, Sozialität und welche disruptiven hat das auf Gesellschaften. Ich bin mir nicht sicher, ob man hier einen Vergleich ziehen kann, aber ein Blick auf die verheerenden Auswirkungen, die AIDS in Afrika und auf dortige Gesellschaften hat, lohnt in diesem Zusammenhang vielleicht.

Anstatt also einer Kaffeesatzleserei zur Gesellschaft nach Corona fröhnen, würde ich mir vermehrt gute Fragen für die weitere Beschäftigung damit wünschen.

Info- und Lesestoff

In den letzten paar Wochen habe ich eine ganze Reihe von interessanten Infos, Quellen und Literatur zu Corona, aber auch zu Pandemien oder Sicherheit gefunden, gesammelt und werde sie hier mehr oder weniger kommentiert zur Verfügung stellen. Es ist enorm schwer sich selbst ein Bild zu machen, Wissen zu generieren, zumal sich auch die Virologen und Epidemologen nicht immer einig sind. Ob hier auch die plötzliche mediale Aufmerksamkeit charakterliche Schwächen hervorbringen, ist eine andere Frage, die ich hier nicht klären kann.

Wer Wissenschaftlern beim Diskutieren und Denken zuschauen will, der kann das bei L.I.S.A. tun, wo u.a. Jürgen Zimmerer von der Uni Hamburg mit anderen “Corona, geisteswissenschaftlich betrachtet”.

Grundsätzlich und mit Blick auf die Verfassung gibt es scharfe Analysen im Verfassungsblog sowie eine Übersicht der Rechtsakte, die im Zusammenhang mti Corona erlassen wurden im LexCorona-Wiki. Und in diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick in den Grundgesetz-Podcast von Detektor.fm

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Unter dem Titel The Politics of COVID-19 hat Evgeny Morozov in seinem Syllabus-Projekt fast schon zuviele Quellen und Texte zusammengesammelt. Einen Bericht darüber gibt es im Correspondent.

Das Magazin Politico hat eine Art Übersicht der Zukunftseinschätzungen 34 amerikanischer Wissenschaftler, Denker und Intellektueller gemacht. Schaut selbst ob da neue Erkenntnisse dabei sind. Coronavirus Will Change the World Permanently. Here’s How.

Etwas anders der Blick von David Grossmann in seinem Corona-Tagebuch bei der FAZ, insbesondere mit einem Blick auf den Israel/Palästina-Konflikt.

Dann gibt es wahrscheinlich eine ganze Reihe von Podcasts, die sich mit dem Thema beschäftigen, aber wahrscheinlich keinen mit dem Titel PlaguePod Live, der auf den Seiten des Verlags Urbanomic erscheint.

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Hörenswert ist auch der Podcast Sicherheitshalber, der seinen Fokus nun nicht überraschend auch auf die Corona-Krise ausgeweitet hat und wo auch über Resilienz gesprochen wird.

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Und dann gibt es ein Gespräch mit Mike Davis, dem Soziologen, dessen Werk sich rund um Katastrophen, Pandemien und die Welt aus der Sicht der Disruptionen dreht, als Text hier: Mike Davis on Coronavirus: “In a Plague Year” in Jacobin 14.3.2020. (auf Deutsch hier)

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The Dig, 20.3.2020

Und wenn wir schon bei der Apocalypse sind, dann sind Science-Fiction-Autoren immer eine gute Adresse. Hier ist ein interessanter Text über William Gibson und sein Werk in Bezug zur Apocalypse. Corona kommt in dem Text nicht vor, aber so viel Fantasie haben bestimmt alle. William Gibson on the apocalypse: “it’s been happening for at least 100 years”, New Statesman 26.2.2020

Mein persönlicher Tipp hierzu wäre noch, die Zeit zu nutzen und JG Ballard zu lesen oder gerade jetzt zu entdecken.

Und zu guter Letzt noch ein paar vermischte Sachen. Ein Artikel aus Science zu Fledermäusen und Viren von 2013, mit dem so beänstigenden Titel: Bats May Be Carrying the Next SARS Pandemic; ein Text über The Prememory of the Pandemic in der Dublin Review of Books.; und noch etwas zu den Olympischen Spielen und Corona von Jules Boycoff: The 2020 Games Are Postponed, but Should the Olympics Even Happen at All Anymore?, The Nation 24.3.2020.

Ich selbst hoffe noch ein paar mehr Gespräche in den Berichten aus Panoptopia zum Thema Corona, Pandemien und Sicherheit/Überwachung in den nächsten Wochen führen zu können.