Gedanken zu Tracing-Apps, Volksgesundheit und biologistischen Vergleichen
Es sind viele verschiedene Aspekte, die von dem berührt werden, was wir derzeit als Corona-Krise irgendwie in seiner Totalität zu fassen versuchen. Über Raum habe ich schon etwas geschrieben. Über den Körper aber findet man auch einen Zugang um die Situation oder einige Aspekte der Situation zu betrachten. Das betrifft insbesondere den Aspekt der Überwachung des Viruses, so muss man es wohl reichlich prosaisch, aber dennoch unzureichend schreiben. Denn nicht der Virus wird überwacht, sondern dessen Träger, die Menschen. Das bringt in Bezug auf die Räume bereits Probleme. Mehr noch allerdings wenn man auf die Körper schaut und eben diese als Gefahr erkennt und ebenso behandelt.
Vor allem weil sich der Körper zum einen sehr gut eignet um überwacht und kontrolliert zu werden, zum anderen weil er sich für die Verwendung in Metaphern anbietet. Der Körper als Sinnbild für das Soziale schlechthin, oftmals in biologistischen Vergleichen oder Analogien, mit der eine gesellschaftliche Ordnung einem biologischen Organismus als solchen gleichgestellt werden soll. Und auch wenn das Soziale, wie ausgeführt ein Teil komplexerer Ökologien und systemischer Zusammenhänge ist (Natur, Kultur etc.), so ist es für sich gesehen, eben nicht einfach analog zu einem Organismus, den man einfach biologisch untersucht oder betrachtet. In der Zeit gab es dazu einen lesenswerten Artikel zur historischen Situation in der Schweiz mit dem Titel: Angriff auf den Volkskörper. (Untertitel: Ob Spanische Grippe oder Maul- und Klauenseuche: Immer wenn Viren die Schweiz heimsuchten, hatte das politische Folgen. Was bedeutet das für die Corona-Pandemie? Die Zeit, 10.4.2020) Wenn dort in Pandemiezeiten von “Fremdkörpern in unserem Volksorganismus” geredet wurde, dann ist schnell klar, in welche Richtung diese Biologisierung von Gesellschaft gehen kann. Dass eine solche Rhetorik auch in “normalen” Zeiten einen politischen zweifelhaften “Nutzen” haben kann, ist klar. Deshalb sollte solchem Gerede immer die Stirn geboten werden.
Nun ist der Körper nicht erst als Virenträger Objekt von Überwachung. Als Merkmalsgeber für biometrische Verfahren, eine vermessbare Entität gewissermaßen, dient er schon lange als Teil von so genannten surveillant assemblages (Ericson & Haggerty 2000) zur Überwachung (ein aktuelles und vielsagendes Beispiel unter anderes ist z.B. dieser Geschichte hier: Whole Foods: Amazon lässt Angestellte überwachen, Jacobin.de, 5.5.2020).
Im Kontext der Selbstopitmierungswelle ist er Teil eines Konsumprozesses geworden, oftmals dient er als Ausweis. Dass die Trackin-Apps zur Eindämmung des Virus auch einen Anspruch auf den Körper erheben – wobei dabei die (möglicherweise falsche) Annahme zugrunde liegt, dass Mobiltelefone auch immer dort sind, wo der vermutet infizierte Körper war oder gerade ist – ist dabei nicht verwunderlich. Hierbei ist dann auch immer viel von Biopolitik zu lesen.
Adrian Lobe hat sich in einem Artikel für die taz mit eben dieser Problematik befasst und damit auf den Aspekt Körper noch einmal dezidiert hingewiesen: Der Körper als Ausweis, taz. 26.4.2020. Das er oder die Redaktion dafür das bekannte Bild des Leviathan verwenden, ist so vielsagend, wie erwartbar:
Der Verwaltungsstaat hat (einmal abgesehen von der gerichtlich immer wieder angefochtenen Mindestkörpergröße für Polizisten) Liberalität in Bezug auf Körperlichkeit an den Tag gelegt, was sich zuletzt bei der Anerkennung eines dritten Geschlechts zeigte. Wann immer der Staat versucht, seine Bio-Macht auszuspielen, begehrten die Bürger auf – sei es beim Veggie Day oder der Impfpflicht.
Umso erstaunlicher, wie sich nun die Bürger der biopolitischen Übergriffigkeit des Staates fügen. Was ist passiert, dass Politiker unwidersprochen über „Immunitätspässe“ oder „Immunitätslizenzen“ sprechen können, so als wäre der Körper das neue legitime Ausweisdokument?
Diese Hinwendung zum Körper hat Konsequenzen. Der Immunitätsausweis ist dabei ein verständlicher Wunsch, aber angesichts der deutschen Geschichte ein Vorschlag, den man so hätte bleiben lassen sollen. Die wahrscheinlich nicht ganz richtigen, aber auf jeden Fall naheliegenden Assoziationen zur Auswahl von Menschen anhand biologischer, in diesem Falle epidemologischer Merkmale, ist fatal. Lobe folgert aus dieser Logik nicht ganz zu Unrecht, dass…
…die Logik der Corona-App des RKI ähnlich [ist]: Der Einzelne verhält sich nur solidarisch, wenn er einen Teil seines Datenkörpers, gewissermaßen in einem quasireligiösen Akt, an die Gemeinschaft gibt. Die Vermassung der Körper durch Big Data, das Gerede von der „Herdenimmunität“, die Entindividualisierung durch Atemschutzmasken, all das lässt erahnen, wie sich westliche Gesellschaften unter epidemiologischem Druck auf ein kollektivistisches Modell zubewegen, in dem die Integrität des Gesellschaftskörpers mehr zählt als das Individuum.
In Puncto Datenschutz könnte man eine Menge zum Verhältnis Individuum und Kollektiv einwenden, die Teilen der Aussage widersprechen würden. Denn die Fixierung auf das Individuum im Datenschutz, hilft der Überwachung mehr, als dass sie schützt. Wenn privat zu Hause ist, dann ist die Kontrolle eines Lockdowns sehr einfach möglich. Zu Hause ist privat, alles andere nicht. Kollektive haben keine Privatssphäre – das aber wäre zu diskutieren. Zu diesem Thema hat auch der Kollege Sami Coll mit Mikhaël Salamin einen Artikel verfasst, der sich mit der vom Corona-Virus “infizierten Überwachung” beschäftigt: Surveillance sous coronavirus: la mort définitive du consentement libre et éclairé. (Le Temps, 17.4.2020). Auch hier geht es um die Tracing-Apps und um die Schwierigkeiten bei der Unterscheidung von individuellen Rechten und kollektiver Gesundheit. Ein Verhältnis, dass momentan sehr unter Spannung steht.
Das Virus, vor allem aber wohl eher der Umgang mit der Situation, die Aufösung von Gewissheiten und der Versuch aus allem eine Not zu machen, welche in der Krise zur Tugend werden soll, kennzeichnet die derzeitige Lage. Das ist erstmal so. Umso mehr ist es notwendig, sich Gedanken zu den verschiedenen Aspekten zu machen, die berührt werden und darüber, in welcher Weise das passiert.