Pandemie und Raum

Gedanken und Texte

Die Bilder unten zeigen meinen lokalen Supermarkt im Kassenbereich. Auf dem Foto sieht es gar nicht so beeindruckend aus, aber vor Ort hatte ich dort, und auch in anderen Geschäften, den Eindruck, ich befinde mich im Sicherheitsbereich eines Flughafens. Es mag am Material gelegen haben, oder an der ungewohnten Gesamtoptik – klar ist aber, dass die Corona-Pandemie, oder genauer die verfügten Maßnahmen und was wir daraus machen, Raum und die Nutzung sowie die Gestaltung des Raums verändern. Ob nachhaltig bleibt abzuwarten (siehe auch den Text zu den Einkaufsorten hier).

Grund genug aber um über ein paar Aspekte von Raum in der Pandemie nachzudenken und eine Reihe von Quellen und interessanten Ressourcen im Kontext dazu hier zu versammeln. Hier in den Blog passt auch das Thema, weil Raum ein wichtiges Element für als auch der Überwachung ist. Nicht zuletzt die Tracing-Apps machen das deutlich, aber auch andere Aspekte der Pandemie.

Ein paar Aspekte hinsichtlich Raum in der Krise sind sehr offensichtlich. Es ist eine Pandemie, spannt sich also quer über den Globus mit ähnlichen, aber doch lokal sehr unterschiedlichen Auswirkungen. Die meist verbreiteten Maßnahmen gegen die Ausbreitung betreffen eine neue Regulierung des Raumes – vor allem den zwischen den Menschen, was wiederum so neuen Zonierungen und räumlichen Anordnungen führt, wie die gezeigten im Supermarkt und anderswo. Aber auch der öffentliche Raum wird dadurch verändert, neue Möglichkeiten der Mobiliät ergeben sich, neue Nutzungen von Stadtraum werden sichtbar, z.B. PopUp Bikelanes.

Und durch die Tracking-Apps gerät der Raum einmal mehr in den Mittelpunkt, auch wenn die meisten Diskussionen hier in Richtung Datenschutz gehen – da es sich um eine Lokalisations- und Verbindung/Netzwerk-Aufspür/Nachverfolgungssoftware handelt, ist der Raum selbstverständlich zentral hier. Und ganz grundsätzlich ist eine Pandemie immer räumlich zu sehen, da es ja um eine Ausbreitung einer Krankheit geht, die eben nicht lokal festzuhalten ist, sondern die mit den Menschen und quer zu Ökosystemen und Grenzen sich ausbreitet.

Im Blog des SFB Re-Konfiguration von Räumen, stellen Martina Löw und Hubert Knoblauch fest, dass …

… was immer gerade geschieht, hat so dramatisch mit Raum und Refiguration zu tun, dass wir zumindest um diese Diagnose nicht herumkommen. Wir beobachten eine globale Epidemie, die sich auf den Spuren der Menschen von China aus über den gesamten Erdball zieht und dabei tragische Verdichtungen produziert, wie etwa in Norditalien/Bergamo, Heinsberg oder Madrid; zugleich beobachten wir eine ebenso dramatische und ungewöhnliche, wir sollten sagen, seit langem ungewohnte Reaktion der (meisten) Staaten, nämlich eine Schließung der Grenzen und die ‚Heim‘holung der ‚eigenen‘ Bevölkerung. 

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Ich würde sagen, dass die Ausbreitungswege gerade nicht re-konfiguriert sind, sondern den globalen Verbindungen des Kapitalismus, der Produktions- und Lieferketten folgen. Eine Re-Konfiguraton dann allenfalls in dem, was transportiert wird. Dieser Artikel thematisiert zumindest das Just-in-time-Prinzip des globalen Handels und der Produktion und die Ausbreitung von Corona: How “Just-in-Time” Capitalism Spread COVID-19.

Vieles andere allerdings wird sehr wohl re-konfiguriet, wo runter ich vor allem einen Bedeutungs- und Funktionswandel verstehen würde, der weitreichende symbolische, praktische, aber auch (mikro-)politische Konsequenzen haben kann. Der Blog bietet eine Reihe von interessanten Denkanstößen dazu.

Das Citylab hat verschiedene gute Artikel zum Thema Raum. Besonders interessant fand ich diesen eher historischen hier, zur Geschichte der Infektionen und dem Aussehen amerikanischer Badezimmer (How Infectious Disease Defined the American Bathroom), etwas dass sich bestimmt auch bei uns wiederfinden lässt. Einen ähnlichen Bericht gibt es bei npr auch zum Hören.

Ein ebenfalls vom Citylab initiiertes Projekt hat die Leser animiert eigene Karten vom Leben in Quarantäne zu malen, zeichnen. Hier sind die Ergebnisse zu sehen. Your Maps of Life Under Lockdown.

Die Bezüge zum Raum sind sehr vielfältig, allen voran selbstverständlich die Tracking-Apps, dazu gibt es inzwischen so viele Quellen und Texte, dass ich die hier gar nicht aufführen kann. Ein interessanter Beitrag hierzu kommt von dem Kollegen Rob Kitchin und seinem Programmable City-Projekt aus Irland, auch weil das gesamte Projekt einen Besuch wert ist: Will Corona tracker Ireland work?. Wahrscheinlich haben Epidemien und Pandemien immer Spuren in Städten und Räumen hinterlassen, weshalb sich eine historische Beschäftigung mit dem Thema auf jeden Fall lohnt (New Pathogen, Old Politics, Bosten Review 3.4.2020). Man sollte sich nur mal die Straßennamen von Städten anschauen, ich bin mir sicher da finden sich immer wieder Hinweise auf vergangene Ereignisse, wie Narben im Raum gewissermaßen.

Ein wenig um die Ecke gedacht sind Analysen zu Ängsten, vor allem wenn sie eine Krankheit mit einer Gegend oder den dort lebenden Menschen verbindet. Der “chinesische Virus” wie nicht nur Trump ihn nennt, ist dabei ein Beispiel. Ich habe von einem Kollegen in Tansania gehört, dass man dort zu Beginn der Ausbreitung das Virus mit Europäern in Verbindung brachte, was vielleicht nicht falsch war, aber eigentlich gar nichts weiter aussagt, weder über die Krankheit, noch über Europäer. Hier ein Text über

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Made in China-Journal, 17.2.2020.

Damit belasse ich es hier bei der Aufführung von Texten und den paar Gedanken. Ich finde der Aspekt Raum ist zu wenig berücksichtigt in den Analysen der Pandemie, obwohl der Begriff die raumgreifende Qualität direkt nennt. Der Raum zwischen den Menschen, der Raum, in dem sie sich bewegen, der Stadtraum und dessen krankheitsabwehrende Sicherung, der Raum der Pandemie, die Ökosysteme, die eben nicht nur unsere Bühne sind, sondern wir ein Teil des ganzen Systems – sie müssen mehr Beachtung finden. Es scheint als wäre der Virus ein Eindringling in unsere Welt – man könnte aus ökologischer Sicht diese Perspektive auch umdrehen und fragen, was wir im Raum des Virus machen? Grundsätzlich müssen wir uns das Ökosytem teilen, die Frage ist wie und ob wir uns dabei als Teil oder bloßer Nutzer verstanden haben. Davon könnte auch ein weiterer Umgang mit der Krise abhängen und neue Strategien für kommende Risiken.