Wirklichkeitstechnologien der Kontrolle

Unter dem Titel Tech-Konzerne formatieren die Wirklichkeit (19.12.2018, SZ Online) hat der von mir sehr geschätzte Journalist Adrian Lobe sich Gedanken zur Entwicklung der Zukunft unter den Bedingungen digitalter Technologien gemacht, vor allem wenn diese durch quasi monopolhafte Unternehmen vertreten bzw in unsere Welt gebracht (und entsprechend kontrolliert) werden.

Eine seiner Thesen dabei ist, dass

während Maschinen immer mehr wie Menschen reden, [kommuniziert] der Mensch zunehmend in Maschinencode kommuninziert.

Zu den ohnehin schon guten Gedanken, noch ein paar weitere von mir, inspriert durch den Artikel.

Die Idee, dass Wirklichkeit “formatiert” wird, ist tatsächlich nicht neu. Religionen und noch konsequenter die von den verschiedenen Kirchen und Konfessionen darauf basierenden Versionen praktizieren dass seit geraumer Zeit. Der Kapitalismus, oder besser kapitalistische Unternehmen hatten schon immer ein besonderes Interesse daran, dass bestimmte Standards gelten, die sie am besten selbst bestimmen und somit kontrollieren können – und damit den Konsumenten, gleichsam den Bürger als politisches Wesen noch mit. Je mehr Staat und der (im Prinzip freie Markt) zusammengehen, desto effektiver wird die Kontrolle über die durch Standards und Produkte gemachten Formatierungen. Wenn das aber alles nicht so neu ist, was ist daran so berichtenswert?

Die kurze Antwort heißt: Digitalisierung oder passender: “Smartphonisierung”. Dazu gehören auch Geräte wie Alexa und Co, die allein auf Standard-Befehle reagieren und eine, wenn auch enorm große, aber insgesamt beschränkte Variabilität besitzen. Wie was wann als was verstanden werden kann, haben diese Technologien im Zweifel vorher schon entschieden. Nicht jede Art der Kommunikation muss hier anschlussfähig sein, und sei es nur als gezeigte Ablehnung, wie sie in der menschlichen Kommunikation zumindest als ausgedrückte Unverständlichkeit vorkommen kann. Was Welt überhaupt ist, wird durch die allgegenwärtige Technologie bestimmt.

Da Smartphones (und die anderen Gadgets) hauptsächlich Optionalmachinen sind, also Geräte über die Auswahlen von Dienstleistungen und Waren gemacht werden sollen, die als Kommunikation daherkommen, aber viele Merkmale einer solchen entbehren, ist die Formatierung von Welt hierüber so einfach. Was nicht zur Auswahl steht, existiert nicht. Zunächst nicht in der digitalen Welt, eventuell dann auch nicht in einer wie auch immer wahrgenommen Wirklichkeit, dem “richtigen Leben”, da draußen oder wie auch immer die Welt heißt, in der das Digitale zum primären Referenzpunkt und zur dominaten Vermittlungsart sozialer Beziehungen wird. Lobe stellt dazu sehr treffend fest:

Indem Tech-Konzerne sprachliche Codes determinieren, implementieren sie Sprachregelungen und schränken durch technische Voreinstellungen den diskursiven Raum ein. In Diktaturen konnten Dissidenten die Zensur noch mit subversiven Wortspielen und Witzen umgehen. In der künstlichen Umgebungsintelligenz kann man schon gar keine Systemkritik mehr formulieren, weil jede Spracheingabe a priori systemkonform ist.

Ob und wie das weiterhin unsere sozialen Beziehungen beeinflusst, was das für Kontrolle, Macht und auch politische Herrschaft und Hegemonien bedeutet muss in im Detail noch erforscht werden. Als eine These in Bezug auf Technologien möchte ich aber hier folgendes formulieren:

Das Wissen über Technik wird durch die Verbreitung digitaler Technologien nicht größer. Technik-Wissen, auch verstanden als emanzipatorisches Wissen der Aneignung und damit Selbstgestaltung von Welt, wird durch die Art der Verbreitung als Konsumtechnik über die Wisch-Automaten der Optionsmaschinen eingeschränkt bleiben. Auch wenn es so aussieht, als wenn die “junge Generation” den heutigen Lehrern und Eltern die Welt erklären muss und damit auch die Technik selbst (etwas, dass ich in Bezug auf die “neuen” Medien schon vor 20 Jahren als Argument gehört habe, und so also nicht ganz stimmen kann, sondern eher eine Art tradiertes ewig neues Argument darstellen muss) – so wäre meine Arbeitshypothese, dass die Art der Technologien eben nicht über die sehr passive Nutzung hinaus geht, darüber können auch Einträge in den sozialen Netzwerken nicht hinwegtäuschen, die wie Lobe zeigt, bereits Teil der kontollieren, formatierten Wirklichkeit sind. Bei den Kirchen kamen die Formatierungen der Wirklichkeit vor allem dann an Grenzen, als die Gläubigen begannen selbst zu lesen, gepaart mit der Kulturtechnik der Reflexion und des Diskurses – die vorgebenene Formatierung war nicht länger aufrecht zu erhalten, Dissens entstand, Neues ergabe sich (etwas einfach, aber für hier soll es als Argument ausreichend sein). Bezogen auf ein Technik-Wissen bedeutet das zu untersuchen, was digitales Alphabetentum können muss – mehr zumindest als zu wissen, wie ich twittere.

Eine Erforschung zu Technik-Wissen, Technik-Können und Technik-Verstehen ist daher wichtig, vor allem vor dem Hintergrund der Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten digitaler Technologien.

Ich denke über eine Umsetzung nach und suche mal nach Arbeiten zu dem Thema.