Rezension: Sport und Kriminalität

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Eine Doppelrezension, passend zu den Spielen in Rio, aber nicht nur da …

  • Nic Groombridge: Sports Criminology. A critical criminology of sports and games. 2016, Bristol, Policy Press.
  • Roger Pielke: The Edge. The War Against Cheating and Corruption in the Cutthroat World of Elite Sports. 2016, Berkeley, Roaring Forties Press.

von Nils Zurawski, Hamburg


Während ich an meinem Schreibtisch sitze und diese Rezension schreibe, läuft im Hintergrund die Berichterstattung zu den Olympischen Spielen in Rio. Das ist mehr als nur ein Zufall, zumal Pielkes Buch erst Mitte September 2016 erscheinen wird.

Olympia bietet aus mehr als nur einem Grund die passende Rahmung für diese beiden Bücher, die sich mit Sport, den vielfältigen Abweichungen im Sport sowie möglichen Lösungen (Pielke) bzw. soziologisch-kriminologischen Lesarten und Theorieansätzen (Groombridge) befassen. Beide Bücher beschäftigen sich auf ähnliche, dann doch aber sehr unterschiedliche Weise mit dem Thema Sport und Kriminalität, sie sind deshalb gut vergleichbar, ergänzen sich und ragen beide in besonderer Weise aus der gängigen Literatur zum Thema heraus.

Bei Pielke ist es die analytische Schärfe, gepaart mit einem enormen Wissen zum Thema, was für den Sport-unkundigen Leser bisweilen zu anekdotenhaft erscheinen kann, mit denen er abseits gängiger, häufig moralisierender Ansätze den Sport und seine immanenten Probleme seziert; bei Groombridge ist es eher das intellektuelle Abenteuer, welches er unternimmt, um zu prüfen, ob sich so etwas wie eine kritische Kriminologie des Sportes überhaupt lohnt und was dann jenseits von Doping oder Wettbetrug seine Objekte, die Fragestellungen oder theoretischen Rahmungen sein können. Während sich Pielke vor allem auf die Welt des Elitesports konzentriert, bemüht sich Groombridge um eine grundlegendere Perspektive, in der es um Sport als solchen und die Möglichkeiten der Abweichung geht, um das den Sport konstituierende Wesen sowie die theoretischen Ansätze verschiedener Kriminologien in Bezug auf Sport. Für eine bessere Übersicht folgen hier unvollständige Zusammenfassungen und Hervorhebungen beider Bücher:

Roger Pielke und „the edge“ im Sport

Pielkes Buch beginnt mit Erzählungen von dem „Bisschen“ (the edge), das den Unterschied ausmacht. So kennt jeder Tiger Woods, den wohl berühmtesten Golfer unserer Zeit und einen der erfolgreichsten Sportler der Welt. Wer aber kennt Heath Slocum, ein Golfer, der in 18 Jahren nur 1,6 Schläge pro Runde schlechter als Woods war.   Der faktische Unterschied ist gering, doch das Kapital, das sich daraus schlagen lässt enorm. Es ist dieser Unterschied, der alles entscheiden kann und der eben auch dazu einlädt, so Pielke, diesem „Bisschen“ nachzuhelfen, durch Betrug, Doping, Korruption. Neben sehr vielen anschaulichen Sport-Geschichten, vornehmlich aus amerikanischen Sportarten und dem hierzulande eher unbekannten, aber in den USA Millionen schweren College-Sport, sind vor allem seine grundlegenden Betrachtungen zum Thema Spiel-Regeln, Gesetze des Sportes und die Möglichkeiten diese zu übertreten lesenswert, für Kriminologen insbesondere, aber auch für alle anderen. Diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Perspektive ist aufschlussreich, will man den Regelbruch nicht nur mit dem Blick auf die Moral bewerten, denn die Verletzung von Regeln im Sport kann sowohl vereinbarte Gesetze betreffen, als auch weithin anerkannte Normen, die aber keinen Verstoß gegen erstere darstellen. Gerade dieser Unterschied ist auch für Kriminologen und Soziologen hochinteressant (das Thema wird auch von Groombridge aufgenommen) Im Anschluss daran diskutiert er, was eigentlich Betrug im Sport bedeutet und wie auch mit den Grauzonen am besten umzugehen ist. Seine Ausführungen zu den Grenzen der Regeln (S. 62f) sind lesenswert und Stoff für ein weiteres Nachdenken zum Thema.

Insgesamt geht es Pielke vor allem darum zu zeigen, dass vieles im Sport nicht so einfach zu bewerten ist, wie es scheint – vor allem nicht der Betrug oder die reine Seele des Sportes. Vielmehr, so zeigt er, ist der Sport selbst eine riesige Grauzone, die mit vermeintlich absoluten Regeln hantiert, die aber so nicht einzuhalten sind. Sein Beispiel zur Rolle und dem möglichen Versagen der Wissenschaft im Anti-Doping-Kampf verweist auf ein interessantes Thema. Es geht dabei um die Konstruktion wissenschaftlicher Fakten, die den Sanktionen der Verbände zugrunde liegen, aber eben nicht immer objektive sind. Das Kapitel ist daher nicht ganz un-ironisch mit „Lance Armstrong Gets the Last Laugh“ übertitelt. Ähnliches gilt auch für den Abschnitt zu Technologie und dem menschlichen Körper, eine Verbindung, die in ganz eigener Weise die nebulösen, aber immer wieder hochgehaltenen Werte des Sportes vor neue Herausforderungen stellen.

Insgesamt hat Pielke ein faktenreiches, manchmal für den europäischen Leser zu US-amerikanisch fokussiertes Buch geschrieben, das wichtige Fragen stellt, wenn es auch zumeist auf journalistische Weise beschreibt und eine Analyse in eher begrenztem Maße präsentiert. Was es vor allem als Ergebnis leistet, sind eine Reihe von Prinzipien für eine „Sports Governance for the Twenty-First Century“.

Nic Groombridge und Sport als Abweichung

Groombridges Buch ist ähnlich in seiner Nüchternheit, hat jedoch einen anderen Fokus. Ihm geht es vor allem darum zu diskutieren, ob es sich lohnt, eine Kriminologie des Sports zu formulieren. Insofern ist das recht kurze Werk (158 Seiten) auch eine Einführung in die Soziologie des abweichenden Verhaltens im Sport und gibt eine exzellente Übersicht über den aktuellen Forschungsstand – mit der Einschränkung, dass dieser anglo-amerikanisch verortet ist. Allerdings ist mir aus der deutschsprachigen Kriminologie und auch aus der Sportsoziologie nichts Vergleichbares bekannt. In fast klassischer Weise erkundet Groombridge inwiefern sich die verschiedenen Schulen der Kriminologie – Mainstream, klassisch auf der einen und kritisch auf der anderen – für eine Sportkriminologie eignen (Kapitel 4 und 5). Zuvor beschreibt er in den Kapiteln 2 und 3 die Grundlagen für seine Diskussion: zum einen die kriminologische (bisweilen auch kriminelle) Geschichte des Sports; zum andern nutzt er prominente Fälle von Korruption und Betrug im Sport als Fallstudien, um die vielfältigen Dimensionen sowohl des Betruges selbst als auch der Ansatzpunkte einer Sportkriminologie darzulegen.

Eine Kriminologie, die ohne den Aspekt der sozialen Kontrolle auskäme, wäre nicht wirklich vollständig und so widmet Groombridge sich in Kapitel 6 diesem Aspekt, insbesondere was die Formen der Bestrafung und der Gerechtigkeit im und um den Sport herum angeht. Für einen mit dem Thema in irgendeiner Weise verbundenem Leser werden hier die oft problematischen Formen des Straf-und Sanktionswesens kompakt zusammengefasst; für Neulinge auf dem Gebiet gibt es eine sehr schöne Einführung. Groombridge zeigt (ähnlich wie Pielke) die Widersprüche diesbezüglich im Sport auf, bettet das jedoch (anders als Pielke) in theoretische Überlegungen zur Strafrechtssoziologie und zu Strafe im Allgemeinen ein. In diesem Sinn sieht er eine Sportkriminologie als einen Weg diese Widersprüche, welche eben nicht nur auf den Sport beschränkt sind, hervorzuheben und als solche in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft als Ganzes zu diskutieren (vgl.. S. 120).

Abschließend gibt es noch ein sehr interessantes Kapitel (7) zum Thema Prävention durch Sport, welches die fast als Allgemeingut angenommene Annahme, dass Sport gegen Gewalt hilft und Jugendliche auf den Weg der Tugend zurückbringen kann, demontiert, ohne mögliche positive Wirkungen solcher Programme in Abrede zu stellen. Aber man sollte, so Groombridge, genauer hinsehen, denn die Zusammenhänge sind komplizierter als es scheint. Zum Abschluss reflektiert er über die Zukunft einer ‚Sports Criminology’ und ob es sich lohnt, intellektuelle Anstrengungen in ein solches Projekt zu investieren. Es geht ihm eben nicht nur darum zu zeigen, dass im Sport abweichendes Verhalten einen Platz hat, sondern Sport als soziale Konstruktion ernst zu nehmen und die darin transportierten Elemente für eine Untersuchung zu nutzen oder über sie andere Aspekte, z.B. Maskulinität oder Sexualität, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten (S. 155f), die mit Sport im Zusammenhang stehen, aber nicht notwendigerweise als Sport gesehen werden.

Fazit

Angesicht des massiven öffentlichen Interesses, den der Sport in Bezug auf das ihn begleitende abweichende Verhalten momentan hat, sind die Bücher sowohl für ein größeres Publikum (Pielke) als auch eine wissenschaftliche Leserschaft (beide) interessante und hervorragende Ergänzungen. Sie bringen neue Argumente in die Diskussion ein, erzählen interessante Sportgeschichten und machen deutlich, dass Sport keine gesellschaftliche Sonderzone ist, wie das der Sport in seiner organisierten Form oft annimmt, sondern ein Teil des Sozialen, der einen intensiven Blick wert ist. Ich würde mich freuen, wenn beide Publikationen auch dazu beitragen, dass die darin gemachte Kritik und bisweilen provozierenden Thesen die Diskussionen des Mainstream, der zumeist moralisch aufgeladen ist, mit neuen Argumenten und Perspektiven zu versehen.

Eine Kriminologie des Sportes oder zumindest ein Schwerpunkt zu Sport und Kriminalität lohnt sich auf jeden Fall und würde auch der Sportsoziologie neue Impulse geben können.

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