Urbane Utopien, private Städte

Die Artikel des sehr geschätzten Kollegen Adrian Lobe, heute zumeist in der taz, sind immer wieder lesenswert und für diesen Blog fast immer auch eine Erwähnung wert. Ist ja auch kein Zufall, dass er vor ein paar Jahren den Journalistenpreis hier gewonnen hat.

Der letzte Artikel von ihm mit dem Titel “Die Superreichen proben den Auszug” regt im Zusammenhang mit Überwachung, Überwachungs/Digital-Kapitalismus sowie den Goldgräbern des digitalen Zeitalters (oder könnte man sie auch “Digital Robber Barons nennen?) zum Nachdenken an. In Überwachen und Konsumieren habe ich zur Idee einer Stadt und ihren Möglichkeiten der totalen Kontrolle des Alltags dazu ein paar Bemerkungen gemacht. Man könnte und sollte das auf jeden Fall weiterdenken und vor allem raum- und stadtsoziologisch näher betrachten.

Einen Blick in die von Adrian beschrieben Stadt kann man hier schon mal werfen.

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Die Bilder sehen alle sehr kuschelig aus, kleinstädtisch und natürlich ist technisch alles perfekt und durchgeplant. Es fragt sich, ob nicht wie schon bei der vor 30 Jahren bereits viel besprochenen, beforschten und kritisierten Stadt Celebration (eine Gated Community von Disney in Florida (Artikel dazu sind zu viele, hier zwei: Celebration, U.S.A. Living in Disney’s Brave New Town (NYT, 1999) – Celebration, Florida: How Disney’s ‘Community of Tomorrow’ Became a Total Nightmare, The Daily Beast 2019) nur ganz bestimme, sehr exklusive und an den new urbanism angelehnte Träume und Utopien hier verwirklicht werden, die ohne große demokratische Prinzipien auskommen sollen. Technik und Big Data, so manche Verlautbarung, kann das ja viel besser, insbesondere wenn es um das Gouvernment einer solchen Stadt geht.

Zu dem Thema Privatstädte findet man im Netz eine Reihe interessanter Quellen, die die Problematiken hinter diesen Ideen weiter beleuchten, z.B. hier. Privatstädte: Eine Stadt ganz ohne Staat?, SWR. Und von einem der Autor:innen (Andreas Kämper) dort stammt auch dieses Wiki zum Thema Privatstädte.

Das wiederum bringt mich zu etwas, über das ich schon länger etwas schreiben wollte, was aber in diesem Rahmen sehr gut passt: The Line, diese irre Idee der Saudis, eine 170 km lange, 200 m breite und 500 m hohe Stadt mehr oder weniger mitten in der saudischen Wüste nahe es Roten Meers. Für eine kurze Einführung ein etwas kritischer Blick bei futurezone.at (5.4.2023). Für weitere Quellen und eine ausführlichere Bewertung müsste ich mir mal mehr Quellen und Infos raussuchen. Klar ist aber, dass die Themen Überwachung, Klima, Kontrolle, Staat, Demokratie, Zukunft des urbanen Lebens, soziale Gerechtigkeit usw. hier und nicht nur bei The Line zusammenfallen.

Und deshalb ist auch Adrians Titel seines Artikels sehr passend. Die Reichen verabschieden sich aus der Gesellschaft und gründen ihre eigene. Ob das in letzter Konsequens mehr ist als nur eine Verachtung der Menschen und Gesellschaften, durch die sie zu dem geworden sind, was sie in die Lage versetzt, solche Projekte umzusetzen, sei dahingestellt. Das mögen extreme Ausprägungen von Ideen sein, die, wenn man genauer hinschaut, auch in anderen politischen Forderungen wiederfindet. Der Traum sich des Pöbels zu entledigen, und dabei mit einer besseren Welt, auch durch Umweltschutz und Klima, zu werben, ist nicht neu, ist nicht von gestern, sondern ein Phänomen von heute. Die Diskussion dauert an und bietet für die Forschung und Kommentierung zahlreiche Anschlusspunkte.