Krise – revisited

Vor gut 5 Monaten habe ich für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zur damals beginnenen Corona-Krise einen längeren Text geschrieben, worin ich mich u.a. fragte, ob Aussagen über die Gesellschaft nach Corona nach ein paar Wochen schon wirklich seriös sind. Viele meine Soziologie-Kollegen überwarfen sich förmlich mit Ideen für die Zeit danach – und ich thematsierte das hier im Blog (worauf der lange Text letztlich beruhte).

Nun ist der Sommer rum und die Welt immer noch im Griff eines Viruses. Vielleicht ein guter Zeitpunkt um mal in den Text zu schauen und zu prüfen, was ich davon heute noch sagen würde. Nun habe ich darin wenig vorhergesagt, sondern gefordert, dass man Fragen stelle müsse, u.a. nach den Möglichkeiten mit der Krise umzugehen, wovon letztlich auch abhängt, ob man es noch eine Krise nennen kann oder sollte. Ich habe die Frage nach möglichen Resilienzfaktoren aufgebracht, von denen es einige zu geben scheint, aber niemand so genau sagen kann, warum was wo gut oder nicht so gut funktioniert.

Nun kommen bald die ersten wissenschaftlichen, im weiteren Sinne sozialwissenschaftlichen Sammelbände zum Thema heraus, was gemessen an sonstigen Produktions- und Publikationszyklen eine enorme Leistung ist. Ich selbst habe da auch mitgemacht und etwas zu Pandemischen Landschaften geschrieben (Stegbauer/Clemens, Hg. Corona-Netzwerke – Gesellschaft im Zeichen des Virus, Springer 2020). Der Vollständigkeit halber: Zwei andere interessant wirkende Titel sind bei transcript erschienen.

Zurück zur Frage nach der Bearbeitung der Krise oder was bis jetzt sichtbar wurde, was sich verändert hat und was man überhaupt über die Zukunft mutmaßen sollte, angesichts der sehr dynamischen Entwicklung, insbesondere zu Beginn der Pandemie. Ich konzentriere mich hier mal auf ein paar wesentliche Punkte, die auch im thematischen Rahme des Blogs eine Rolle spielen könnten.

Was immer passiert ist und ob Maßnahmen richtig oder falsch waren, die Wissenschaft gut oder nicht so gut gearbeitet hat – was auf jeden Fall einen wirklichen Blick wert ist, betrifft die Art und Weise wie gesellschaflich mit Risiko und Ambivalenzen umgegangen wurde und wird. Soziologisch betrachtet ergeben sich hier jede Menge Fragen und ich bin mir sicher auch sehr lohnenswerte Erkenntnisse, wenn man einen Blick auf Risikokommunikation wirft, auf die Diskurse, in denen Risiko verarbeitet, diskutiert und produktiv genutzt wird. Ich hatte u.a. geschrieben, dass Krise vor allem Ungewissheit bedeutet, da das ein Grundmerkmal von Krise sei. Es zeigt sich bei einer groben Draufsicht, dass der Umgang mit Ungewissheit sehr unterschiedlich erfolgt und in vielen Fällen diese eine fast pathologische Kraft entfaltet. Der Wunsch nach Eindeutigkeit könnte als ein Zeichen hierfür gesehen werden. Dass viele Menschen so schlecht damit umgehen können, lässt sich sehr prominent an den Corona-Leugner-Demos ablesen, aber auch an anderen Forderungen nach mehr Einheitlichkeit bei den Maßnahmen – Bund gegen Länder, wo mehr oder weniger gleiche Regeln für alle gefordert werden. Geht es dabei um Aushandlungen von Gerechtigkeit und Fairness oder zeigt sich hier die Unfähigkeit mit Ambivalenzen umzugehen? Menschen in Hamburg feiern nun doch nicht regelmäßig und täglich abwechselnd zuhause und in Bayern, Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern, weshalb unterschiedliche Regeln eigentlich vollkommen egal sein könnten. Ja, aber nicht in der Fußball-Bundesliga, höre ich hier schon mir entgegenschallen. Meinetwegen. Die Gelegenheiten sind aber durchaus entweder zu verachlässigen oder mit Sonderregelungen zu versehen, wie sonst auch.

Es geht also im Kern darum wie eine Gesellschaft bzw. ihre Mitglieder Sicherheit gern gestaltet haben möchte und inwieweit sie bereit ist dafür Ambivalenzen zu tolerieren und wo damit Schluss ist. Nun hat Corona nicht die wirren Ideen der Corona-Leugner und andere auf diesem Gebiet eher tiefenbegabter erzeugt, sondern nur eine nächste Möglichkeit gegeben ihrer tiefen Verunsicherung ein Grund oder Auslassventil zu geben.

Das muss nicht immer auf einem solchen Schwachsinnsniveau passieren, sondern ist auch im Normalbetrieb ein Thema. So hat der Mathematiker Gerd Antes in der taz darüber nachgedacht, warum in der Debatte um Corona-Maßnahmen mehr Wissenslücken als Wissen entstanden ist. Er hält die Politik für überfordert, und sieht Forscher derweil eine Lagerbildung pflegen. Es gibt gute Überlegungen in dem Artikel, aber auch eine Tendenz, die zeigt wie schwer auch in diesem Gebiet Unsicherheiten zu ertragen sind. Ein wenig kann man dem Artikel auch das Credo der Neunmalklugen anhören, die hinterher immer alles vorher besser gewusst haben. Nun ist es wichtig Schlüsse zu ziehen aus dem Vergangenen um neue Fehler zu vermeiden. Manches aber lässt sich nur im Nachhinein sagen … und wir müssen damit leben, dass wir nur aus der Distanz alles anders hätten machen können sollen…

Was es alles bedeuten würde immer vorbereitet zu sein, werde ich demnächst mal in einem anderen Essay klären. Denn gerade das berührt die Themen Sicherheit, Überwachung und den Umgang mit dem vorhandene Wissen und der eigenen Rolle in der Welt wie kaum ein anderer.

Der zweite Punkt, der mir aufgefallen ist, betrifft das danach und das davor. Das Davor wird immer toller und mystischer, je länger das Davor zurück liegt. Man möchte wieder zurück um “normalen” Alltag, andere wollen die Folgen der Pandemie vermessen, wieder andere sehen mit in der Pandemie eine grundlegende Veränderunge der Welt vor sich gehen. Ich frage mich, wie das Davor denn ausgesehen hat, dass nun so hart und unwiderbringlich getroffen wurde? Es erscheint mir, als war das Davor ein gleichmäßiger Lauf der Dinge, in dem sozialer Wandel nicht oder kaum stattgefunden hat. Als hätte es keine einschneidenen gesellschaftlichen Ereignisse gegeben, die die Welt für viele in eine Davor und Danach eingeteilt hätte. Das Internet (als Synomym für Digitalisierung), 9/11, Überwachungskapitalismus, Terror in Europa, Fukushima, der Krieg in Syrien und seine Folgen… es ließen sich eine Reihe von Ereignissen und dynamischen Prozessen aufzeigen, die Welt verändert haben. Die Verklärung des Davor in eine heile Welt, die man gern zurück hätte, ohne zu sehen, dass das Danach, was immer das sein könnte, auch attraktiv, ja besser sei könnte, ist gefährlich und gebiert gerade den Schwachsinn, die Verschwörungserzählungen, die sich medial in die erste Reihe stellen – selbst wenn sie von der breiten Masse nur mit Kopfschütteln betrachtet werden sollten.

Es ist bei allen kritischen Nachfragen für mich nachvollziehbar woher die Angst vor der Ungewissheit rührt, da Corona die Gesellschaft in ihrem Kern, nämlich der Sozialität selbst trifft. Das erklärt aber nur zum Teil die heftigen Reaktionen, die im Grunde genommen nicht auf Corona zurückgehen, sondern hier nur eine günstige Gelegenheit und genügend Unsicherheit vorfinden, um sich ans Licht der Welt zu bringen. Womit wir bei Themen wären wie Globalisierung, gesellschaftlicher Solidarität, Wunsch nach starken Autoritäten, Unübersichtlichkeit der Welt in Zeiten des Internet (wobei es genau dieses ist, was die größten Feinde der Gesellschaft und die absurdesten Verschwörungsspinner zu allererst nutzen), Verlust von Orientierung. Woran diese liegen mag, würde hier die Überlegungen sprengen, das hebe ich mir für ein mögliches anderes Mal auf.