Über KI, Domestiken und das digitale Leben

Manchmal kommen mehrere Dinge zusammen, aus ganz unterschiedlichen Richtungen und ergeben dann einen Sinn, einen möglichen Zusammenhang. In diesem Fall war es die Lektüre sehr unterschiedlicher Texte am Wochenende, deren innere Zusammenhänge ich hiermal kurz beleuchten möchte. Angefangen hat es eigentlich mit der Strafe, die Facebook für seine Datenschutzverletzungen zahlen muss. Genauer mit der Berichterstattung.

Wie alle festgestellt haben, sind $5 Mrd. zwar viel Geld sind, aber nicht so richtig viel für Facebook. Die Fixierung vieler Berichte auf Datenschutz und die Verletzungen durch Facebook & Co sind mir schon lange nicht mehr genug, um zu beschreiben, warum es sich lohnt mit den Unternehmen und ihren Strategien auseinanderzusetzen. Auch wenn es ein “Aufreger” ist, was so an Daten über Personen gespeichert wird, ist es nicht der eigentliche Aspekt, der im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollte. Vielmehr geht es doch darum, welche Rolle und Bedeutung diese Unternehmen, das Digitale schlechthin im Leben von Menschen, in ihrem Alltag und für eine gesellschaftliche Existenz bereits eingenommen hat. Und inwiefern von dort aus weitergedacht wird, wie Gesellschaft sein könnte, sein müsste, oder wo man einen entsprechenden Einfluss üben sollte.

Dazu bot folgende Lektüre Anreize, das einmal zu konkretisieren.

Zunächst war da der Artikel “Wir Cyborgs” von Mark Siemons in der FAS (4.8.2019, online als Bezahlangebot). Der Autor beschreibt darin, das es eine wachsende Bereitschaft gibt, den Menschen vom Computer her zu denken. Also nicht, wie werden die Maschinen den Menschen ähnlicher (im Bereich der KI), sondern umgekehrt. Ich fragte mich, ob es nicht oft schon so ist, dass wir im Alltag damit konfrontiert sind, wie Computer (Technik ganz allgemein) Regeln vorgeben, denen wir folgen. Oft sind es Verfahrensvorschriften, die nur noch von Menschen dann ausgeführt werden – ähnlich der wiederkehrenden Szene aus Little Britain, wo die Angestellten dem Kunden immer nur mit “Computer says No” anwortet. Pierangelo Maset (2010) nennt den Prozess, der hier zu beobachten ist, Geistessterben. In dessen Mittelpunkt sieht er eine technisch-ökonomische Mentalität, die Individuen und Gesellschaft bestimmt.

“Die Gesellschaft scheint sich überhaupt zu einem komfortablen Gefängnis entwickelt zu haben, an dessen Perfektionierung wir täglich arbeiten (Maset 2010. S. 11)

Der Skandal von Facebook, der der Millarden-Strafe zugrunde liegt ist in der Tat ein Skandal. Aber nur deswegem, weil Facebook und andere den Platz in unserem Leben einnehmen, der so umfassend geworden ist, das Altervativen schwer denkbar zu sein scheinen. Etwas am Rande der Diskussion dabei steht die von Facebook vorgeschlagene eigene Währung “Libra”. Spätestens jetzt muss klars ein, dass Facebook keine Plattform des sozialen Austausches für alle ist, sondern der Machtanspruch viel umfassender ist. Die Frankfurter Rundschau hatte dazu ebenfalls am Wochenende eine sehr gute Analyse: Mit Libra stellt Facebook die ultimative Machtfrage. (FR 3.8.2019, Autor: Stephan Kaufmann)

Zurück zum ersten Gedanken: Was es bedeutet, wenn Computer das Vorbild für menschliches Verhalten sind, bzw. unser Verhalten sich an den Vorgaben von rechnerischer Logik abarbeiten muss, diese mithin zum Ideal erkoren wird, ist noch nicht vollends absehbar. Aber es dürfe die Vielfalt der Ausdrucksformen menschlichen Verhaltens, seiner Unlogiken und Widersprüche reduzieren. Gerade weil es genau diese sind, die gleichzeitig viel Schaden anrichten, aber eben auch menschliches Leben zu dem machen, was wir daran so bewundern und bewahren wollen. Und es garantiert eine wie auch immer theoretisch fundierte Autonomie menschlichen Handelns (als Ideal).

Abgesehen von den Zeitungen des Wochenendes las ich dann, wie schon vor ein paar Tagen vermerkt, JG Ballards Roman High-Rise und fand darin folgende Beschreibung der Gegenwart der Romanfiguren. Das Original des Romans erschien 1975 – und vielleicht geht es nicht nur mir so, dass sich darin Aspekte unserer Gegenwart 2019 widerspiegeln. Das Hochhaus als Sinnbild für die Conditio Digitalis, in der wir leben?

Diese Menschen waren die Ersten, die eine neue Art von Leben im späten zwanzigsten Jahrhundert meisterten. Sie gediehen bei rascher Fluktuation der Bekanntschaften, dem Mangel an Verbundenheit mit anderen und der totalen Autarkie eines Lebens, das sie, da es keine Bedürfnisse mit sich brachte, nie enttäuschte.
Andererseits mochten Sie ihre wahren Bedürfnisse später herausstellen. Je öder und reizloser das Leben im Hochhaus wurde, desto größere Möglichkeiten bot es. Eben durch seine Effizienz übernahm das Hochhaus die Aufgabe, das soziale Gefüge, das sie alle stützte, zu bewahren. Es beseitigte erstmals die Notwendigkeit ihnen die Freiheit, von der Norm abweichende und abwegige Regungen zu erkunden. Genau in diesen Bereichen würden sich die wichtigsten und interessantesten Erscheinungen ihres Lebens zutragen. Im Gehäuse des Hochhauses geborgen und sicher wie Passagiere an Bord eines mittels Autopilot gesteuerten Verkehrsflugzeuges, hatten sie die Freiheit, sich auf jede beliebige Weise zu benehmen, die dunkelsten Ecken, die sie finden konnten, zu erkunden. In vieler Hinsicht war das Hochhaus ein Musterbeispiel für all das, was die Technologie getan hatte, um die Manifestation einer wahrhaft “freien” Psychopathologie zu ermöglichen. (JG Ballard: High-Rise, S. 48. Zürich-Berlin 2016, diaphanes)

Konsum und die Entfremdung von der Gesellschaft sind prägende Themen in Ballards Werken. Und die Verbindung von KI als gesellschaftlicher Utopie und Heilslehre, dem Konsum als lebens- und gesellschaftbestimmende Form sowie der Frage nach der Macht – auch Ballard streift auch immer wieder Fragen nach Klasse und Herrschaft – sind eher enger als unwichtiger geworden. Und somit ist das von Siemons aufworfene Problem in wiefern Computer dem Denken von Menschen als Modell dienen, nicht zu weit hergeholt. Und die Klassenfrage stellt sich sowieso immer, u.U. aber gegenwärtig anders als bisher, z.B. in Form von Konsummodellen, die über die Simulationen von möglichen Habitus Bourdieuscher Art, neue bewusstseinsverändernd wirken. Ballard kann auch dazu ein beängstigend aktuelles Zitat beizusteuern.

Im Kontrast dazu waren die Dienstboten, die sie im Apartmentgebäude hatte, ein unsichtbares Heer von Thermostaten und Feuchtigkeitssensoren, comptergesteuerten Schalt-und Regelsystemen der Fahrstühle, die alle ihre Rolle in einer weit komplizierteren und abstrakteren Variante der Herr-Knecht-Beziehung spielten (Ballard High-Rise, S. 102f).

Abschließend möchte ich noch ein paar Gedanken zu eben diesem Herr-Knecht-Verhältnis aufführen. Anders vielleicht als Ballard es meinte, aber dafür bezogen auf die Gegenwart, auf die uns umgebenden Systeme von KI und die digitale Durchdringung des Alltages und den Umgang mit der Technologie. Ich beantworte nicht die Frage nach den Folgen der von Mark Siemons gestellten Frage, was passiert, wenn Computer zum Maßstab menschlichen Handelns werden, hoffe aber andere Fragen aufzuwerfen und die Dimensionen zu skizzieren.

Wenn die Diener zu Herren werden

Digitale Helfer putzen unsere Wohnungen, bereiten das Essen vor, wählen uns Bücher, Musik oder Geschenke aus und schauen, das wir genügend Schlaf bekommen oder ob wir auf unsere Gesundheit achten. Je intelligenter unsere Umwelt gestaltet wird, desto mehr interagiert sie auch mit uns. Die Geräte, mit denen wir uns umgeben, wollen immer etwas von uns – sie schlagen Alarm, machen sich bemerkbar, fordern auf etwas zu tun oder lassen. Gleichzeitig erteilen wir Befehle oder äußern Wünsche, die dann auch prompt ausgeführt werden. Wenn alles glatt läuft. Unsere Umwelt lebt – und damit meine ich nicht die Gärten und Wälder im Frühling – sondern unsere technische Umwelt. Doch warum tun wir das und welche Begleiterscheinungen bringt die Entwicklung möglicherweise mit sich?

Das Warum ist, so meine ich, recht einfach zu beantworten. Die Technik erlaubt uns die Illusion einer Dienerschaft, die sich dank der Digitalisierung jetzt jeder leisten kann. Der Wunsch die Niederungen und Mühen des Alltages zu delegieren, ist so alt wie die Menschheit. 100 Jahre nachdem das Dienstpersonal aus den meisten Haushalten verschwand, taucht es in Form von elektronischen Gimmicks im Zuge der Digitalisierung des Alltags wieder auf.

Dass nun ausgerechnet neue, digitale Technologien dabei helfen sollen, die Lasten der schon vorhandenen leichter zu ertragen, erscheint mir eher ein Trugschluss zu sein. Wir fahren nicht länger Auto, wir lassen fahren. Wir kümmern und nicht ums Haus, das macht ein Algorithmus, wir wählen kein Geschenk zu Weihnachten, sondern lassen uns etwas vorschlagen. Doch die unbegrenzten Optionen sind nur eine Illusion und werden sehr bald schon zu Zwängen, denen kaum zu entkommen ist. Aus den digitalen Domestiken werden unsere Erzieher und Bevormunder.

Die Algorithmen und künstlichen Intelligenzen, die hinter den diesem Angebot von Dienstboten stehen, führen eine Art Eigenleben. Zwar bedienen wir die Geräte, managen damit die Haushaltselektronik, sind ständig dabei eine Auswahl zu treffen um den Alltag und auch uns selbst zu optimieren. Tatsächlich optimieren sich die Algorithmen vor allem selbst. Wir delegieren zwar, aber im Zweifel nimmt die Technik uns auch Entscheidungen ab. Das ist toll und bestimmt praktisch, aber im Endeffekt reagieren wir damit auf jedes Ping, auf jeden Signalton der Geräte, geben neue Informationen ein, justieren unsere Auswahl, lassen uns belehren eine Eingabe anders zu machen, führen Handlungen entsprechend aus oder entscheiden uns entsprechend. So kontrollieren Fitnessuhren unsere Bewegungen und Schlaf, das Auto unser Fahrverhalten, Alexa und Co unsere Gewohnheiten, Einkäufe und möglichen Laster. Der Grund: die von ihnen angebotene Hilfe und Unterstützung sei doch so „praktisch“, macht unseren Alltag effizient und leichter. Die Folge: Nicht wir bestimmen, sondern eigentlich sie.

Und während wir noch glauben, dass immer noch eine Option besteht, sind diese Optionen längst zu einem Zwang geworden. Die freie Wahl ist Vergangenheit, allerdings ohne, dass uns etwas fehlen würde. Die Auswahl ist getroffen, bevor wir das Menu öffnen – was uns entgehen könnte, bekommen wir nicht mehr mit. Das kann durchaus entlasten und die Komplexität eines Alltags reduzieren, der ohnehin schon kompliziert genug ist.

Letztlich aber ist es eine sehr sanfte Form der Kontrolle. Wir werden erzogen, gelenkt, überwacht. Eine schöne neue Welt, ohne den Ärger und die schwierigen Fragen. Ein Zwang, der von den Zwängen des Auswählens befreit. Wäre das nicht schön?! Wenn Freiheit nur die Freiheit der Auswahl aus einem überbordenen Konsumangebot ist, dann könnte es tatsächlich egal sein. Wenn Freiheit mehr sein soll als eine vorformatierte Wohlfühlwelt, dann müssen wir uns mit dieser neuen Welt kritisch auseinandersetzen. Jede Technik stellt Ansprüche, aber es sollte reflektiert und informiert damit umgegangen werden.