Rezension: Der Alltag der (Un)Sicherheit

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Alexandra Schwell & Katharina Eisch-Angus (Hg.): „Der Alltag der (Un)Sicherheit. Ethnografisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Sicherheitsgesellschaft“. 2018, Berlin: Panama Verlag.

von Jana L. Schneider, Rostock

Der Sammelband „Der Alltag der (Un)Sicherheit. Ethnografisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Sicherheitsgesellschaft“ herausgegeben von Alexandra Schwell und Katharina Eisch-Angus umfasst elf Aufsätze, die sowohl auf historische sowie aktuelle Diskurse der Sicherheitsforschung Bezug nehmen und sie aus einer ethnografisch kulturwissenschaftlichen Perspektive heraus beleuchten. Es wird veranschaulicht, wie zum einen Sicherheitsgesellschaften / bzw. Diskurse sowohl historisch sowie durch aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen erschaffen und geprägt werden. Dazu zählen sowohl politische und erzieherische Maßnahmen wie die Entwicklung der Verkehrspolitik, die Kontrolle des öffentlichen (Sicherheits-)Raums, Bedeutung von Angst und Emotionen oder die Frage nach (Selbst) Sicherheit und Freiheit.

Das Buch in seiner Gänze ist geprägt von anschaulichen Beispielen und zugänglichen Konzepten aktueller Sicherheitsforschung und gesellschaftlicher Entwicklungen, die zumeist durch die Autor_innen kritisch beleuchtet und hinterfragt werden. Nach eigener Aussage soll das Buch einen Anfangspunkt setzen und „überall dort zum genauen ethonografisch-kulturanalytischen Hinschauen anregen, wo die schrillen politischen Proklamationen der Sicherheit allzu gern deren Effekte auf die Milieus des Alltags und der Erfahrungen und Gegenstrategien der Alltagsmenschen im Dunkeln“ lassen (Eisch-Angus, Schwell 2018: 31).

Der Einstieg erfolgt mit dem Aufsatz „Perspektiven auf die Erforschung von (Un-)Sicherheiten in der Alltagskultur“ der die Leser*in mitnimmt, sowohl ins Forschungsfeld der Ethnografie, sowie die Entstehungskultur des Buches.

In dem Buch werden u.a. Begrifflichkeiten wie Sicherheit, Unsicherheit, Freiheit und das Konzept der Securitization (Versicherheitlichung)1 unter den Aspekten von Imagination und Narration auf zum Teil sehr humorvolle und verständliche Weise erläutert und kritisch hinterfragt. Dies mag zurück zu führen zu sein auf die einprägsamen Beispiele, wie sie sich u.a. im Aufsatz „Germanwings oder das Ethnografieren der Sicherheit“ von Katharina Eisch-Angus, wiederfinden lassen. Hier erzeugt die Autorin eine Narration einer Sicherheitsdebatte, die sowohl auf gesellschaftlich aktuelle sowie auch persönlich-freundschaftliche Diskurse eingeht.

Etwas verwirrend erscheint eine aufkommende Diskrepanz der angewendeten Fälle bzw. Beispiele, wenn man das Buch in seiner Gesamtheit betrachtet. Wo auf der einen Seite sehr alltagsnahe Beispiele der Sicherheitsgesellschaft herangezogen werden, die die Nähe der forschenden Person zum Forschungsfeld verdeutlichen, erscheint auf der anderen Seite eine Entfernung zum Feld vorzuherrschen, die die Frage aufwirft, ob sie gewollt sei. Dies wird deutlich im Aufsatz von Niklas Barth und Antonius Schneider, in deren Beitrag der Hausarzt sich in einer Rolle von permanenter Unsicherheit bewegt und dies nicht nur als Problem, sondern als Ressource zur Bewältigung seiner Arbeit nutzen kann.

Insgesamt bietet das Buch einen spannenden Einblick in unterschiedliche Antworten auf Techniken des Ethnografierens einer Sicherheitsgesellschaft. Die Leserschaft findet interdisziplinäre Ansätze und Konzepte / Ideen, die dazu anregen, sie auf die eigene Forschung anzuwenden.

Hierzu zählen zum einen die Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) von Bruno Latour, welche sich sowohl bei Eisch-Angus und Schwell in der Einleitung wiederfinden lässt, ebenso wie in dem Aufsatz „Angst und das Andere“ von Alexandra Schwells. Hier wird die Notwendigkeit der Beleuchtung von Emotionen und ihren Eindrücken hervorgehoben und zwar in einem Verständnis, wie Sara Ahmed sie in ihren Affektstudien prägt. Der Aufsatz versucht sich den Emotionen aus kulturanthropologischer Sicht zu nähern und verfolgt das Ziel, den Nexus zwischen Sicherheit und Angst aus einer intersektionalen Ebene heraus zu betrachten. Schwell schreibt, dass es ein Ziel der kritischen Sicherheitsforschung sei, zu hinterfragen, wie aus einem beliebigen Thema ein Sicherheitsthema werden kann und verdeutlicht dies mit Hilfe des Konzeptes der Securitization. Spannend ist hierbei, in welcher Form die Autorin dazu anregt, aktuelle gesellschaftliche Entwicklung aus einer Perspektive eines kritischen Sicherheitsdiskurses zu hinterfragen und welche Perspektive einzelne Akteure auf die Entstehung von Sicherheitsdebatten einnehmen können.

Ein interessanter Aspekt, der sich auch in dem von Nils Zurawski verfassten Aufsatz zum europäischen Sicherheitsraum wiederfinden lässt. Die Frage nach der Versicherheitlichung von Räumen wird hier anhand von zwei Beispiele (Hamburger Gefahrengebiet und Europa als Sicherheitsgebiet) veranschaulicht und beantwortet. Eine interessante Perspektive, die dazu einlädt, sie auf aktuelle andere aktuelle Sicherheitsdebatten anzuwenden. Zurawski erläutert Begriffe wie Freiheit und Sicherheit aus einer territorialen Begriffsdefinition heraus und begreift sowohl Freiheit wie auch Sicherheit als an territoriale Grenzen gebundene Gegebenheiten. Erst durch die Imagination, was auf der anderen Seite der Grenze sein mag, kommen Begrifflichkeiten wie Sicherheit oder auch Freiheit ins Spiel, da beides durch den Grenzübertritt bedroht sein kann. Somit erscheint Sicherheit und Freiheit erst durch die Grenze als Wahrnehmbares Konstrukt zu existieren. Schlüssig schließt sich die These an, dass die Überwachung von Freiheit immer die falsche Antwort zu sein scheint und aktuelle Sicherheitsgesellschaften die Freiheit scheinbar missachten.

Mit diesen Worten wird auch die politische Ebene verdeutlicht, die sich an mehren Stellen im Buch wiederfinden lässt, wie im Artikel von Christoph Paret. So scheint das Buch eine Schnittstelle kritischer Sicherheitsforschung und politischer Agitation zu bieten. Auf gekonnte Weise wird sich der Sicherheitsgesellschaft sowohl aus historischer Perspektive genähert, die bis ins 19. Jahrhundert zurück zu verfolgen ist, wie in dem Beitrag von Stefan Groth und seiner Analyse von Sicherheits- und Kontrollmechanismen in der Industriegesellschaft; bis hin zum Streben von Geflüchteten im Mittelmeer und einer Analyse aktueller Abschottungspolitik der EU und der Militarisierung von Grenzen im Aufsatz von Maria Schwertl.

Auch wenn mir in einzelnen Aufsätzen die konkrete Zielstellung und Methodik der Ethnografie im Verborgenen blieb, erscheint das Werk in seiner Gesamtheit seinen eingangs formulierten eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Die wird Leserschaft dazu implizit aufgefordert, Geschehnisse in aktuelle Bezüge der Sicherheitsdiskurse zu setzen oder aktuelle Sicherheitsdiskurse kritisch zu hinterfragen. Besonders anregend ist die Nachvollziehbarkeit, wie ein Themenfeld, ein Ereignis oder gar eine Person zu einer Bedrohung bzw. zu einer Projektionsfläche von Angst – und Sicherheitsdiskursen werden kann.

1 Dh. etwas Wertgeschätztes wird als existentiell bedroht wahrgenommen