Volker Eick & Kendra Briken (Hrsg.): Urban (In)Security. Policing the Neoliberal Crisis. Ottawa, Red Quill Books 2013
von Nils Zurawski, Hamburg
Dieses Buch ist eine Analyse und eine Anklage gleichermaßen. Die geäußerte Kritik, die der Titel im Ansatz erahnen lässt, ist scharf und deutlich – aber vor allem zeitgemäß angesichts von aktuellen Entwicklungen in den westlichen Demokratien und anderen Orts. Im Moment da ich diese Rezension schreibe, berichten die Medien von der Polizei in Ferguson und anderen amerikanischen Orten, die sich quasi umsonst mit ausgemustertem Militärequipment ausstatten lassen können. Die Militarisierung der Polizei, nicht erst seit Ferguson ein Thema, rückt aber hier wieder in den Focus der Medien und hoffentlich auch der öffentlichen Diskussion. In der Aufsatzsammlung von Volker Eick und Kendra Briken spielen solche Entwicklungen auch eine Rolle – hier aber werden einmal systematisch die Ursachen, Erscheinungsformen und Konsequenzen dieser Politik und der häufig nur notdürftig versteckten Motive und Ziele diskutiert, aufgezeigt und in einen bzw. mehrere analytische Rahmen bzw. Zusammenhänge gesetzt.
Im Einzelnen: Die Sammlung ist das Ergebnis einer Konferenz, die bereits 2010 stattgefunden hat, angereichert um weitere Artikel, die extra für diese Publikation geschrieben worden sind. Insgesamt vereint das Buch 14 Artikel und jeweils drei kurze Einführungen zu den einzelnen Sektionen. Diese Sektionen sind die Analyserahmen, mit denen die Herausgeber die Aufsätze strukturieren– es sind: the urban setting; the urban industry; sowie the urban battleground. Der Fokus auf der Stadt, dem Urbanen, liegt darin begründet, dass Städte zu den Brutkästen von Kommerzialisierung und Kommodifikation, Privatisierung und der Vermarktung von Orten, Räumen und Lokalitäten geworden sind. Hier würden die „innovativen“ Experimente neuer Polizeipraktiken und Strategien der sozialen Kontrolle ausprobiert werden. Der Rahmen ist somit auch ohne eine weitere Einteilung gegeben: Es geht um den praktische existierenden Neoliberalismus, wie er im 21 Jahrhundert zu voller Blüte gekommen ist und wie er sich in den Polizeistrategien gegen die Bürger wendet.
Policing the urban setting beschreibt in vier Beiträgen, wie das städtische Umfeld unter dem Neoliberalismus geformt wird, wie eine geforderte Flexibilität auf das Urbane und seine Bürger wird, was es bedeutet, wenn man ein „Recht auf Stadt“ einfordert und wie das Urbane unter diesen Bedingungen geordnet wird. Der für mich wichtigste (wenn man das so sagen kann) Artikel des Bandes findet sich hier. My Brother‘s Keeper? Generating Community, Ordering the Urban von Andrew Wallace. Wallace beschreibt wie mit der Figur und Konzept der Community Ordnung generiert und Polizeiarbeit betreibt. Dieses ist eine längst überfällige Kritik an dem Konzept der Community, welches vor allem aus den anglo-amerikanischen Ländern auch nach Deutschland (und andere europäische Ländern) schwappt und in der Regel eine positive Konnotation mit sich trägt. Hier zeigt Wallace wie mit dieser vermeintlichen positiven Besetzung ein Politik der Ausgrenzung und Kontrolle des Abweichenden betrieben wird, zumeist mit dem Ziel des Managements städtischer Bevölkerung und einer entrepreneurial city (auch wenn er es nicht so nennt). Sein Beispiel ist England und die Politik von New Labour unter Tony Blair – dem wenn man so will rechtmäßigem Erben Margaret Thatchers in einer besonders bevormundenden Art.
In Policing as urban industry wird in den vier Aufsätzen gezeigt wie sich die Polizei ausweitet, d.h. wie sich die Sicherheitsindustrie auf Kosten von Bürgern und öffentlichen Kassen ausbreitet. Volker Eick zeigt diese Entwicklung für Deutschland, während Gaham, Harley & Swell ähnliches für Australien berichten, Wakefield für England und Ferus-Comelo die Perspektive mit einer Analyse der Situation Indiens bereichert. Es ist, so wird deutlich, ein wahrhaftig globales Phänomen, weshalb auch das klare Programm des Bandes, nämlich die globalen neoliberalen Verhältnisse zu vergegenwärtigen und kritische zu analysieren, einen Sinn ergibt.
Policing the Urban Battleground hat mit den Bildern aus Ferguson einen aktuellen Bezug bekommen – aber auch in Missouri zeigt sich nur, was die Autoren der vier Beiträge als bereits seit längerem anhaltende Entwicklung identifizieren. Kennzeichnend ist dafür u.a. dass in den Städten zunehmen nicht gegen die Armut, sondern gegen die Armen gekämpft wird. Es hat sich ein new military urbanism entwickelt, wie der ebenfalls zitierte Stephen Graham bereits festgestellt hat. Im abschließenden Kapitel reflektieren die Herausgeber dann noch einmal die Kernaussagen der Beiträge und versuchen eine Perspektive für zukünftige Forschung und Analyse zu entwerfen. Dabei wird auch der gegenwärtig so häufig gebrauchte Begriff der „Sicherheit / security“ kritisiert, der hier als ein Überbegriff für verschiedene Formen des Regierens verstanden wird. Es wird hier auch der Begriff des pacifying bzw. der pacification zur Beschreibung einer Versicherheitlichung vorgeschlagen, den ich für eine sehr brauchbare Ergänzung der Debatte halte.
Die Forderung bei allen Prozessen zunächst den sozio-ökonomischen Bedingungen zu folgen, wird nochmal hervorgehoben. Das ist allerdings am Ende des Bandes auch klar geworden. Dass es sich hierbei um eine radikale Betrachtung handelt, deren sprachlicher Duktus in der Fülle nicht immer einfach ist, auch weil es in der Radikalität der Analyse kaum eine Abwechslung gibt, kann als Manko gesehen werden. Der Band ist ausschnitthaft am besten zu lesen, in einem ist es doch mitunter anstrengend. Lässt man sich jedoch darauf ein, dann bietet sich hier eine Sichtweise, die anhand von reichlich empirischem und phänomenologischen Material entfaltet wird und gute Argumente für auch weniger radikal gestaltete Analysen bietet, welche davon durchaus profitieren könnten.