Rezension: Social Media as Surveillance

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Daniel Trottier: Social Media as Surveillance. Rethinking Visibility in a Converging World. 2013 Farnham: Ashgate

von Katrin M. Kämpf, Paderborn

Kürzlich veröffentlichte die Internet-Plattform Buzzfeed einen Artikel mit dem ebenso apokalyptischen wie treffenden Titel “You Can View Your Facebook Search History And It Is The Worst Page On The Internet. Your worst nightmare come to life. Prepare for shame.”[1] Facebook speichert, ohne seine UserInnen besonders explizit darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, sämtliche Suchanfragen, die dort eingegeben werden – aktuell allerdings ‘nur’ für die jeweiligen UserInnen und die Plattform selbst sichtbar.

Der kurze Artikel, der primär auf die individuelle Peinlichkeit der lückenlosen Dokumentation vergangener Obsessionen, Interessen, Neugierden und Hoffnungen eingeht, steht exemplarisch für das innerhalb der letzten Jahre gewachsene Bewusstsein und der Unsicherheiten ob der Überwachungskapazitäten von sozialen Medien wie Facebook. In den Medien stehen in der Regel allerdings primär entweder individualistische Sorgen ob möglicher Privacy Leaks – das berühmt-berüchtigte “Partyfoto”, das der Chef zu Gesicht bekommt oder die peinlich berührende öffentlich sichtbare Liebeserklärung auf der Facebook-Wall – und die Sorge ob der Überwachung durch Geheimdienste und Großkonzerne im Fokus. In den Surveillance Studies hingegen wird längst breit diskutiert, dass gegenwärtige Überwachungspraktiken nicht ausschließlich unter Datenschutz- oder Privatsphärenaspekten betrachtet werden können und keineswegs allein top-down, sondern auch interaktiv, partizipativ, spielerisch, bottom-up oder freundlich und freundschaftlich funktionieren können (s. exemplarisch Mathiesen 1997, Lyon 2001, Haggerty and Ericson 2000, Bauman and Lyon 2013, Koskela 2006, Andrejevic 2011, Millington 2012, Leistert & Röhle 2011). Eine detaillierte Monografie, welche die alltäglichen Überwachungspraktiken im Rahmen von sozialen Medien ins Visier nimmt, stellte bislang allerdings ein Forschungsdesiderat dar.

Hier setzt nun der kanadische Soziologe Daniel Trottier mit seiner Studie “Social Media as Surveillance. Rethinking Visibility in a Converging World” an und liest soziale Medien, insbesondere Facebook, als hierarchisch wie auch lateral und diffus funktionierende Überwachungstechnologien, die sowohl zum institutionellen und zum Peer-to-Peer-Informationsaustausch wie auch als Datenressource des Knowing Capitalism von Firmen oder staatlichen Behörden genutzt werden können. Gerahmt von einer ausführlichen theoretischen Einführung und einem Resümee mit Vorschlägen für weiterführende Forschungsprojekte bietet Trottiers Grundlagenwerk ethnografische Interviews mit verschiedenen Facebooknutzergruppen, welche die Plattform, privat, institutionell oder im Rahmen polizeilicher oder anderer investigativer Arbeit nutzen.

Wohnen und leben auf Facebook

Eine neue Perspektive auf Facebook liefert er insbesondere im 2. Kapitel, in dem er die Plattform als “dwelling”, also als Behausung oder Wohnraum analysiert, durch und in dem die UserInnen leben, der aber zeitgleich auch ein Interface für die Beziehungen zwischen Individuen wie auch zwischen Individuen, Firmen und Institutionen darstellt (60). Auf Facebook werden für Trottier nicht nur neue Formen von Sozialität praktiziert, es ist auch ein Ort (immaterieller) Arbeit und Ausbeutung in einer Surveillance-Ökonomie, an dem kollektiv Identitäten konstruiert werden. In den letzten Jahren sei mit der Verbreitung sozialer Medien, respektive mit dem Anwachsen von Facebook, Alltags-Sozialität zunehmend in verschiedene, sich teilweise gegenseitig verstärkende Informations- und Überwachungsökonomien eingebettet worden. Auf Facebook findet somit nicht allein eine demokratische Peer-to-Peer-Überwachung im Rahmen kollaborativer Datenproduktion statt,  von den Zugriffsmöglichkeiten auf diese Daten profitieren – neben Firmen und staatlichen Institutionen – vor allem auch die Besitzer der Plattform. Die im Wohnraum Facebook produzierten Datenmengen bieten ihnen einen sehr privilegierten Blick auf die Sozialität der UserInnen, wie Trottier mit Bezug auf Lev Manovich feststellt (57): Soziale Bindungen werden sichtbar, messbar und durchsuchbar, das alltägliche Leben zu einer “Enclosure”, aus der Daten abgeschöpft und mit ihnen gehandelt werden kann (57, 162).

Insgesamt kommt in der Studie ein etwas weiterer Blickwinkel, der gerade die Interviews stärker in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge einbettet, leider etwas zu kurz. Trottier merkt lediglich an, soziale Medien verbreiteten sich immer stärker in “social life, institutions, culture” (156). Wobei hier zu fragen wäre, ob wir nicht längst in einer Techno-Security-Kultur leben (Weber & Kämpf 2014) und Social Media Surveillance eher einen Auswuchs oder integralen Bestandteil dieser zwar restriktiven, aber eben auch angenehme Affekte produzierenden und von Sicherheitsbedürfnissen durchdrungenen Kultur ist – und nicht allein umgekehrt. Die mit dem Surveillance-Studies-Network ausgezeichnete Studie mag für Surveillance-ForscherInnen nicht all zu viele Überraschungen bergen, ihr Verdienst ist es jedoch, auf empirischer Basis festgehalten zu haben, dass es bei Facebook um weit komplexere Problematiken geht als die, das anfangs beschriebene, beständig anwachsende Archiv vergangener Leidenschaften, Sozialitäten und Obsessionen geschaffen zu haben, das für verschiedene AkteurInnen abrufbar, durchsuchbar und kommerzialisierbar ist. Sondern auch um eine immer breitere Durchdringung unseres Alltags mit verschiedenen, vernetzten und sich gegenseitig verstärkenden Surveillance-Praktiken, denen sich zu entziehen zunehmend unmöglich wird und die für UserInnen immer schwerer zu durchschauen sind. Der Ansatz, soziale Medien als Wohnräume zu lesen, dürfte auch für zukünftige Studien eine produktive Analyseperspektive bieten.

Literatur:

Andrejevic, Mark. 2011. “The Work That Affective Economics Does.” Cultural Studies 25, no. 4–5: 604–620

Haggerty, Kevin D. and Richard V. Ericson. 2000. „The surveillant assemblage.” British Journal of Sociology 51/4: 605–622

Koskela, Hille. 2006. “‘The Other Side of Surveillance: Webcams, Power and Agency.’” In Theorizing Surveillance: The Panopticon and Beyond, edited by David Lyon, 163–181. Cullompton: Willan Publishing.

Leistert, Oliver  und Theo Röhle (Hg.). 2011. “Generation Facebook.Über das Leben im Social Net.” Bielefeld: transcript

Lyon, David, and Zygmunt Bauman. 2013. Liquid Surveillance: a Conversation. Cambridge, UK; Malden, MA: Polity

Lyon, David. 2001. Surveillance Society: Monitoring Everyday Life. Issues in Society. Bu- ckingham/UK; Philadelphia: Open University Press

Mathiesen, T. 1997. “The Viewer Society: Michel Foucault’s Panopticon Revisited.” Theo- retical Criminology 1(2): 215–234

Millington, Brad. 2012. “Amusing Ourselves to Life: Fitness Consumerism and the Birth of Bio-Games.” Journal of Sport & Social Issues : 1–18

Weber, Jutta & Katrin M. Kämpf. “Never Being Alone Again? Entertwining Serious and Playful Surveillance.” Surveillance & So­ciety [forthcoming 2014]


  • [1] Warzel, Charlie. “You Can View Your Facebook Search History And It Is The Worst Page On The Internet. Your worst nightmare come to life. Prepare for shame.” 28.02.2014. http://www.buzzfeed.com/charliewarzel/you-can-now-view-your-facebook-search-history-and-it-is-the [03.03.2014]

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