Rezension: Crisis Vision

Rezension: zusammen mit 

Torin Monahan: Crisis Vision. Race and the Cultural Production of Surveillance. 2022, Durham/London: Duke University Press.

von Florian Flömer, Bremen

Torin Monahan kann als einer der einflussreichsten Vertreter der nordamerikanischen Surveillance Studies angesehen werden. Nicht nur durch seine zahlreichen Veröffentlichungen und Herausgeberschaften, wie etwa den einführenden und gemeinsam mit John Gilliom verfassten Band SuperVision. An Introduction to the Surveillance Society (Chicago 2013) oder die mit David Murakami Wood zusammen herausgegebene Textsammlung Surveillance Studies. A Reader (Oxford 2018), sondern vor allem durch seine Rolle als Herausgeber der internationalen Fachzeitschrift Surveillance and Society kommt Monahan eine Schlüsselrolle im gegenwärtigen Diskurs von Überwachung und Gesellschaft zu. Sein eigener Schwerpunkt innerhalb des breiten kulturell-gesellschaftlichen Feldes der Überwachung liegt vor allem im Bereich der postkapitalistischen Arbeits- und Lebenswelt und der Schnittstelle von Überwachung und Kunst. In seinem nun erschienenen Buch Crisis Vision. Race and the Cultural Production of Surveillance verknüpft Monahan seine bereits in anderen Publikationen veröffentlichten Thesen zum kulturellen Komplex der visuellen Überwachung mit aktuellen Fragen nach den rassistischen Ideologien, die den Überwachungsregimen eingeschrieben sind, und wie sich diese vor allem in der Kunst sichtbar machen lassen.

So beginnt Monahan seine Studie mit zwei Beispielen aus der Kunst. Einem Wandgemälde des bekannten Street-Art Künstlers Banksy von 2008 und einer begehbaren Kunstinstallation aus dem Jahr 2017, die der chinesische Künstler und Aktivist Ai Weiwei zusammen mit den Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron realisierte. Beide Arbeiten, so unterschiedlich sie formal auch erscheinen, machen, als Interventionen im öffentlichen Raum, oder im Ausstellungsraum, nicht nur zentrale Aspekte der gegenwärtigen Überwachungsgesellschaft reflektier- und sichtbar, sondern sind nach Monahan auch in der Lage „to create blind spots to social inequality, racialization, and violence, to the way that liberal social order depends on and propagate exclusions, often through visibility regimes” (S. 5). Hier wird die angestrebte Stoßrichtung des Buches deutlich: über die Analyse und Kontextualisierung künstlerischer Arbeiten der sogenannten Critical Surveillance Art versucht Monahan nicht nur die üblichen Mechanismen der Überwachungsgesellschaft aufzuzeigen, sondern vor allem die sozialen Effekte der Ausschließung und der strukturellen Benachteiligung vulnerabler Gesellschaftsgruppen in den Blick zu nehmen, die innerhalb der hegemonialen Blickregie der Überwachung keine Beachtung und so auch keine gesellschaftliche Anerkennung erhalten. Prozesse der visuellen Überwachung sieht Monahan begründet in den frühen Bestrebungen der staatlichen Bürokratisierung, der Rationalisierung und somit der Kontrolle von Menschen und Gütern gleichermaßen. Diese Prozesse des „governing through visibility“, die ihren Ursprung im frühen 19. Jahrhundert haben, sind für ihn fest verbunden mit den damaligen und bis heute fortlebenden rassistischen Ideologien der white supremacy (weißen Vorherrschaft) und konkreter noch einer antiblack violence (S. 8). Beides drückt sich für Monahan in verschiedenen Formen rassifizierter Machtausübung aus, wie etwa der anhaltenden, oftmals tödlichen Polizeigewalt gegenüber Schwarzen, generellem „racial profiling“ oder „neighborhood ‚hot spot‘ policing“ – Praktiken visueller Überwachung, die so marginalisierte Bevölkerungsgruppen verstärkt in den Blick nehmen (S. 9).

Kunstwerke wie die Arbeiten Banksys und Ai Weiweis bezeichnet Monahan als Critical Surveillance Art, weil sie in der Lage sind „to tackle issues of domination, oppression and inequality“ – und dies durch die Reflexion und Aneignung von verschiedenen Überwachungsszenarien und -technologien. Zudem arbeiten sie so an einer „critical spectatorship“, die es BetrachterInnen vor allem in situativen und performativen Settings ermöglicht mit Überwachungstechnologien und -dispositiven zu interagieren. In seiner Darstellung der critical surveillance art bezieht sich Monahan auf verschiedene Kunst- und Medienwissenschaftler, die in der Vergangenheit vermehrt zum sich immer stärker überscheidenden Feld von Kunst und Überwachung geforscht und publiziert haben. Vor allem Andrea Mubi Brighenti hat mit dem Begriff der Artveillance bereits ab 2010 ein ähnliches Konzept entwickelt. Monahans Untersuchung von künstlerischen Strategien der Surveillance Art ist im Vergleich zu diesem stärker noch an den soziopolitischen und gesellschaftlichen Aspekten der Überwachung orientiert und liefert gerade mit dem titelgebenden Begriff der crisis vision eine wichtige Kontextverschiebung hin zu Fragen der Sichtbarkeit und Kontrolle in gesellschaftlichen Krisensituationen.

Crisis vision ist für Monahan ein vielschichtiger Begriff, der die Modalitäten gegenwärtiger Sichtbarkeitsregime innerhalb von vielen gesellschaftlichen Krisen verortet und der eminent von deren Klima der Angst und kollektiver Verunsicherung lebt. Als Krise definiert Monahan dabei einen vorübergehenden Ausnahmezustand, der eine Unterbrechung der normalen Verhältnisse meint und die Installierung von Notfallmaßnahmen und -gesetzen hervorruft. Hierzu zählt auch das Abwägen kritischer Entscheidungen nicht mehr nach etablierten moralischen Kriterien, sondern nach rein faktischen im Sinne der Triage. Dabei ist crisis vision zuallererst ein destruktiver Begriff von Sichtbarkeit, der bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten verstärkt und die Markierung vulnerabler Minderheiten wie Geflüchtete oder nicht registrierter MigrantInnen als „Others“ begünstigt und so ihren von sich aus prekären Status noch weiter zuspitzt (S. 12). So beruht crisis vison auf einem permanenten „continuum of threat“, das einer hegemonialen, per se rassistischen Gesellschaftsform Aufschub leistet, die durchgängig auf Bedrohungszenarien und -kulissen begründet ist und eher danach trachtet, bestehende Machtpositionen weißer, männlicher und heterosexueller Akteure zu stärken, als Minderheiten zu integrieren und zu entstigmatisieren. Crisis vision ist als „racialized vision“ (S. 12) Teil der gegenwärtigen, auf Transparenz abzielenden visuellen Ökonomie. Künstlerische Interventionen der critical surveillance art sind für Monahan vor allem an Opazität interessiert – nicht verstanden als direkten Gegenbegriff zum Transparenzparadigma der Überwachung, sondern als Terrain der proaktiven Verunsicherung und der Ambiguität. Opazität ist ein Nebenprodukt der crisis vision und hat als solches Teil an seinen Mechanismen und Strukturen – dennoch kann es als widerständiges Konzept innerhalb künstlerischer Interventionen auftreten und so ihre eminent diskriminierenden und rassistischen Ideologien aufdecken und brechen.

Die Rahmungen der künstlerischen Kritik denen Monahan im Buch nachgeht, sind anhand der Begriffe „Avoidance“, „Transparency“, „Complicity“, „Violence“ und „Disruption“ gegliedert.
Avoidance schließt zunächst an den Begriff der Opazität an und meint bei Monahan verschiedene künstlerische Strategien der Maskierung aber auch in der Mode, die eine Identifizierung durch Überwachungskameras unterlaufen sollen. Diese Formen der „countersurvaillance camourflage“ (S. 38) verstehen sich als Interventionen, die dem auf Erkennbarkeit abzielenden Transparenzparadigma opake und so undurchsichtige Oberflächen entgegenhalten und so ein Beharren auf dem „right to hide“ proklamieren. Im Kapitel Transparency nimmt sich Monahan der Frage des Archivs an und versammelt Werke, die sich darum bemühen, die intransparenten Mechanismen staatlicher Archive aber auch Datenbanken großer Tech-Konzerne als klassische Machtinstitutionen gegen den Strich zu lesen. Crisis vision beziehe einen Großteil ihres Machtanspruches von eben jenen undurchsichtigen Institutionen, die selbst im Verborgenen arbeiten, auf der anderen Seite aber massiv Transparenz und Sichtbarkeit einfordern.
Unter Complicity versteht Monahan einen künstlerischen Ansatz, der auf die Ambiguität der Überwachung abzielt und eine Verunsicherung der festen Rollen von Beobachter und Beobachteten beabsichtigt. Hierdurch sollen die ethischen Aspekte der Verantwortung gestärkt werden. Insbesondere künstlerische Arbeiten, die partizipative Angebote machen und BetrachterInnen an den Mechanismen der Überwachung teilhaben lassen fungieren als Katalysatoren einer kritischen Reflexion von Machtverhältnissen innerhalb der crisis vision.

Im Kapitel Violence geht Monahan auf die enge Verbindung von Sichtbarkeit und Gewalt ein und zeigt auf, wie sehr Überwachung als diskriminierende Praxis von ökonomischen Kräften wie von kulturellen Vorurteilen durchzogen ist, die eine Enthumanisierung von vulnerablen Bevölkerungsschichten begünstigt. Die Arbeiten, die hier versammelt sind, verstehen sich oftmals als quasi-dokumentarische Beweisführungen, die staatliche Formen auch der physischen Gewalt, etwa von PolizistInnen aufdecken und den Opfern eine Art Rehabilitation zuzusprechen versuchen.
Im letzten Kapitel Disruption untersucht Monahan Formen des künstlerischen Widerstands gegen die rassistischen Strukturen der crisis vision und bezieht sich hierbei explizit auf TheoretikerInnen der Black Studies die sich kritisch mit dem Erbe der Sklaverei und der daraus resultierenden Unterdrückung der Schwarzen Bevölkerung der USA auseinandersetzen. Hierbei betont er vor allem gemeinschaftliche künstlerische Performances, die auf der Zurückweisung des Opferstatus beruhen und so Handlungsmacht für jene einfordern, die unter der strukturellen Gewalt der crisis vision leiden. Dabei werden besonders Kunstwerke Schwarzer KünstlerInnen verhandelt, die die anhaltende rassistische Polizeigewalt in Amerika thematisieren und die das disruptive Potenzial einer „dark sousvaillance“ (S. 120) nutzen. Aufgezeigt wird hier, wie sehr Überwachungsmechanismen in Amerika geprägt sind von strukturellen Rassismen und Ideologien der white supremacy.

In seiner Zusammenfassung charakterisiert Monahan Überwachung als Waffe aber auch als Ventil der crisis vision, der es im Kern um die Aufrechterhaltung und Verschärfung einer bestehenden Gesellschaftsordnung gehe – mitsamt seinen ökonomischen, politischen und kulturellen Imperativen. Die Kunst wird von Monahan dabei als ein Experimentierfeld verhandelt, innerhalb dessen verschieden gelagerten Rahmungen Formen des Widerstands möglich sind. Dabei ist Monahan zugute zu halten, dass er nicht in eine allumfängliche Utopie der Kunst verfällt, die als Allheilmittel zu jedweder gesellschaftlichen Problemlage auftritt. Vielmehr betont er, dass Kunstwerke als Teil eben jenes Systems fungieren können, das sie zu kritisieren vorgeben und genau jene Stereotypisierungen, gegen die sie angehen wollen, nicht selten selbst reproduzieren. Monahan hat dies selbst bereits in früheren Publikationen als „the cultural production of surveillance“ beschrieben. Es ist also ein großer Vorteil der vorliegenden Publikation nicht in eine verallgemeinernde Rhetorik der kritischen Kunst einzustimmen, sondern differenziert und hintergründig die Möglichkeiten und Grenzen der Kunst zu untersuchen. Weiterhin ist die Fokussierung der Studie auf Überwachungsmechanismen unter gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Krisen eine enorme Bereicherung des Diskurses. Zwar wurden gerade im Zusammenhang mit algorithmischen Erkennungstechnologien immer wieder auf die rassistischen Fundierungen der Überwachung hingewiesen, doch gelingt es Monahans Buch diese mittlerweile bekannten Einwände anhand künstlerischer Arbeiten aus einem breiten medialen Diskursfeld zu kanalisieren und innerhalb der crisis vision nachvollziehbar und anschlussfähig zu konzeptualisieren. Vor allem seine deutliche Parteinahme für die Anliegen der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung BlackLivesMatter und die Rezeption Schwarzer TheoretikerInnen im Feld der surveillance studies ist als längst überfällige intersektionale Positionierung gut zu heißen. Darüber hinaus gibt Monahan einen überraschend vielschichtigen Einblick in die aktuelle Kunstproduktion der Surveillance Art, der im globalen Kunstkontext immer mehr an Bedeutung zukommt. So gelingt es der Studie auch zu zeigen, wie sehr sich die Felder von Kunst- und Sozialwissenschaften ergänzen können und wie unter dem Label der crisis vision Fragen des politischen und künstlerischen Widerstands gegen die repressiven Mechanismen der Überwachung gemeinsam verhandelt werden können.