Surveillance 2.0 – Zwischen Kontrolle und Komfort

Ich hatte ja in den vergangenen Wochen schon öfter von der Tübinger Tagung berichtet und von dem Filmfestival Tübinale, u.a. anderem findet ihr die Filme in einigen der vergangenen Posts.

Nun gibt es einen Bericht von der Tagung von den Studierenden selbst. Und daher bin ich der Bitte der Organisatoren sehr gern nachgekommen, diesen hier auf den Seiten zu veröffentliche.

Surveillance 2.0 – Zwischen Kontrolle und Komfort

Veranstalter: Studierende der Universität Tübingen
Datum, Ort: 13.05.19, Alte Aula (Tübingen)
Bericht von: Alexandra Gracev, Natalie John und Luna Selle (Universität Tübingen)

Wir leben in einem digitalen Zeitalter – doch was genau bedeutet das? Sprachassistenten wie Alexa und Suchmaschinen wie Google sind heutzutage so intelligent wie noch nie. Firmen und Institutionen gelingt es mithilfe von Algorithmen unauffällig ihre Angebote und Werbeanzeigen zielgerichteter und präziser auf uns zuzuschneiden. Auf diese Weise zeigen sie uns, was uns gefällt, oft sogar noch bevor wir selbst wissen, dass es uns gefällt. Was aber machen diese Entwicklungen mit unserer Privatsphäre? Wir präsentieren unsere Daten schließlich freiwillig auf sozialen Plattformen wie bspw. Facebook und Instagram und lassen uns bereitwillig auf Angebote und Vorschläge von Online-Shoppingseiten ein. Finden wir vielleicht deshalb Gefallen daran, weil es unser Leben vereinfacht? Oder würden wir anders handeln, wenn uns bewusst wäre, welchen Preis wir dafür bezahlen?

Die Vor- und Nachteile des Datensammelns und ihr ambivalentes Spannungsverhältnis standen am 13. Mai 2019 in Tübingen im Mittelpunkt. In sieben verschiedenen Beiträgen diskutierten die Teilnehmer*innen der wissenschaftlichen Tagung Surveillance 2.0 – Zwischen Kontrolle und Komfort das Thema Überwachung aus verschiedenen Perspektiven.

Den ersten Vortrag hielt DIETMAR KAMMERER (Universität Marburg). Mit seinem Thema Was war Surveillance 1.0? Ein Blick in die Geschichte von Mainframes und Zauberspiegeln warf er einen historischen Blick auf das Thema Überwachung. Seinen Beitrag gliederte Herr Kammerer in drei Teile. Im ersten Teil ging er der Definition von Überwachung auf den Grund. Dazu griff er auf das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache zurück, in dem zwei Auslegungen von Überwachung zu finden sind. In der ersten Definition werde Überwachung als eine unausgesetzte, beobachtende Kontrolle von Personen und/oder Aktionen beschrieben. In der zweiten Definition hieße es, Überwachung sei eine Kontrolle von technischen und/oder natürlichen Vorgängen, die einen Zustand sichere. Herr Kammerer arbeitete mehrere Gemeinsamkeiten beider Definitionen heraus sowie zwei wesentliche Unterschiede: Bei der ersten Definition kam er zu dem Schluss, dass Überwachung auf Verdacht beruhe und bei der zweiten Definition dagegen auf Wissen.

Im zweiten Teil seines Vortrags behandelte Herr Kammerer das Thema Privatheit. Seine historische Betrachtung reichte vom Ende des 19. Jh. bis zur Gegenwart. Dabei stellte Herr Kammerer fest, dass Privatheit um 1900 herum noch unter einem räumlichen Aspekt betrachtet worden sei, was sich zum ersten Mal in den 1960er Jahren geändert habe. Es seien neue Akteure auf die Bildfläche getreten: Datenbanken, Unternehmen, aber auch der Staat hätten eine neue Auffassung von Privatheit und damit auch von Überwachung mit sich gebracht, die nun eng mit einer misstrauischen Haltung und Verdacht verbunden sei. Bereits in den 1950er und 1960er Jahren hätte es die Diskussion darüber gegeben, wie sich die Verbindung von Mensch und „Elektronenhirn“ (Großrechner) auswirken würde: als „dynamische Allianz“ oder „Herrschaft der Computer“? Personal sei der Computer dann bereits im Jahre 1968 geworden, zumindest in den Entwürfen des Xerox-Labors. Aber erst 1984 konnte sich diese Idee auf dem Markt mit dem Macintosh durchsetzen. Dieser Computer war auf einmal kein riesiger Schrank mehr und nicht für die Versicherungsbranche und die Banken gedacht, sondern für die eigene Freizeit. Die Idee dabei sei gewesen, dem Computer beizubringen, was der Mensch tue und wie, sodass der es leichter habe, damit zu arbeiten.

Im dritten Teil von Herr Kammerers Vortrag ging es um polizeiliche Videos in Deutschland. Auch hier folgte er seiner historischen Herangehensweise. Auf diese Weise zeigte er auf, dass die Verkehrslenkung durch „Zauberspiegel“ im Jahr 1956 dem Zweck gedient habe, den Straßenverkehr am Laufen zu halten. In den 1960er Jahren hätten sich die Mittel und ihr Zweck geändert. Kameras seien im Straßenverkehr zur Abschreckung und zum Verhängen von Strafen zum Einsatz gekommen. In den 2010er Jahren sei Videoüberwachung bspw. mithilfe von automatisierter Bilderkennung schließlich zu einer Allzweckwaffe geworden.

Am Ende seines Vortrages führte Herr Kammerer alle seine Ausführungen zusammen: Er stellte fest, dass wir heute bei Überwachung hauptsächlich von Verdachtsüberwachung sprächen. Das sei den Unternehmen aber völlig unwichtig. Es gehe vielmehr um Geld. Auch beim Personal Computer gäbe es einen Wandel: Technik passe sich nicht mehr uns an, sondern wir sollen uns an die Technik anpassen.

Als zweiter Beitrag lockerte eine öffentliche Showdebatte, die von STUDIERENDEN DER UNIVERSITÄT TÜBINGEN (Bachelorstudiengang Medienwissenschaft) vorbereitet worden war, die Tagung auf. In drei Durchgängen wurden dabei jeweils kurz Pro- und Contra-Argumente zu der Frage gewechselt, ob Krankenkassentarife anhand der Daten von Smartwatches bestimmt werden sollten. Auf gleichermaßen sachliche wie unterhaltsame Weise wurde so ein typisches aktuelles Überwachungsthema in verschiedenen Aspekten vorgeführt.

Im dritten Beitrag Who Watches the Watchmen? Datenschutzrechtliche Anforderungen an Überwachungssysteme stellte MARIA WILHELM (Stuttgart) die rechtliche Perspektive von Überwachung vor. Sie ist Referentin der Stabsstelle Europa beim Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg.

Welches Recht gilt eigentlich, wenn es um Datenschutz geht, und wer überprüft, ob die Grundverordnungen auch eingehalten werden? Generell habe jeder Mensch ein Recht auf den Schutz und die Achtung seiner personenbezogenen Daten. Doch wie weit reicht dieser Schutz? Mit diesen und weiteren Fragen rund um den Datenschutz beschäftigen sich die Aufsichtsbehörden, wovon es 18 allein in Deutschland gibt. Ziel dieser Behörden sei es u.a., die Datenschutzgrundverordnung auf Europa-Ebene zu vereinheitlichen, die Bevölkerung aufzuklären und zu informieren sowie Unternehmen und Organisationen zu kontrollieren. Letzteres geschehe vor allem unter dem Aspekt der Transparenz. So müssten Unternehmen offen und nachvollziehbar den Betroffenen nachweisen können, wie und für welchen Zweck deren Daten verarbeitet wurden. Bei einer Videoüberwachung müsse so z. B. ein eindeutiges Schild angebracht werden, auf dem stünde: „Hier wird mit einer Kamera gefilmt“. Diese Transparenz und die damit einhergehende Zweckbindung sei jedoch immer wieder ein Problem, weil sie nicht eindeutig definiert werden könne. Daher sei es auch schwer, eine vollständige Transparenz zu gewährleisten, so Frau Wilhelm auf die Frage aus dem Publikum, ob eine solche Transparenz denn überhaupt erreicht werden könne.

Insgesamt stünden die Aufsichtsbehörden demnach vor den Herausforderungen, klare Transparenzvorschriften zu definieren und zu überprüfen, auf zukünftige (technische) Entwicklungen vorbereitet zu sein und die Bevölkerung dementsprechend effektiv zu informieren und aufzuklären.

MARCEL LEMMES (Tübingen) und seine Kommilitoninnen LENA FÜLLER und CAROLINE GANZERT stellten sich bei dem darauffolgenden vierten Beitrag Überwachen, verführen, verkaufen – Manipulation als Schlüsselkonzept für Überwachungstheorien des 21. Jahrhunderts die Frage, was Überwachung heutzutage eigentlich bedeutet. Auf der Suche nach einem Zugang zu diesem Thema sind sie auf historisch gesellschaftliche sowie praktisch empirische Untersuchungen gestoßen und haben dabei eine Gemeinsamkeit gefunden: die Verhaltensbeeinflussung. Grundlage des Vortrags war Alexander Fischers Manipulation – Zur Theorie und Ethik einer Form der Beeinflussung (2017). Dazu verglich die Gruppe den Begriff der Manipulation mit drei Überwachungsansätzen: Foucaults Panoptismus und Disziplinargesellschaft, Deleuzes Kontrollgesellschaft sowie Bauman und Lyons Konsumgesellschaft.

Beim Vergleich mit dem ersten Ansatz kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass es weniger um Manipulation als mehr um den Zwang oder die Angst vor Strafen gehe. Sie zeigte das anhand des Beispiels der Radarfalle: Menschen würden langsamer fahren, weil sie sich vor einer Strafe fürchten würden. Bei den anderen beiden Ansätzen passe der Begriff Manipulation jedoch besser ins Bild: Deleuzes Kontrollgesellschaft unterliege dem Grundgedanken, dass der Markt von Beeinflussung lebe. Die Verhaltensänderung der Menschen werde demnach angestrebt, um sie so zu bestimmten Kaufentscheidungen zu bringen und zu kontrollieren. Als Beispiel wurde hier die IKEA-Kundenkarte angeführt. Auch zu Bauman und Lyons Konsumgesellschaft könne der Begriff Manipulation verwendet werden. Statt Bedürfnisbefriedigung orientiere sich der Markt heutzutage an der Bedürfniserzeugung. Digitale Profile würden es Google, Facebook und Co. ermöglichen, unsere Bedürfnisse genau zu bestimmen, sie zu beeinflussen und zu manipulieren, wie bspw. Werbung in den sozialen Netzwerken zeige. Mit der Zunahme von digitalen Überwachungstechniken könne man demnach also auch eine erhöhte Manipulation erkennen, so das Fazit.

Durch den Manipulationsbegriff wollten die Referierenden in ihrem Vortrag eine deutliche Problemerkennung bei den Menschen erzeugen: Statt sich Gedanken zu machen, ob die eigenen Daten überwacht werden, sollten wir uns lieber die Frage stellen, wie unsere Daten eingesetzt werden, um uns zu manipulieren. Der Begriff Manipulation sei dabei jedoch als wertfrei anzusehen und nicht automatisch als negativ oder ethisch schlecht einzustufen, wie in der späteren Diskussion noch festgehalten wurde.

Den fünften Beitrag begann GENE-LEE ENGLER (Frankfurt) mit der provokanten These Wir wissen besser als du, was du brauchst. Gemeint war damit das Wissen der werbetreibenden Unternehmen, die so viele Daten über potenzielle Kunden sammeln, dass sie genaue Profile erstellen und somit zielgerichtet Werbung schalten können.

Die größte Änderung, die den Wandel von Plakatwänden mit auffälligen Titeln hin zu personalisierter Werbung verursacht habe, sei laut Gene-Lee Engler die Einführung des Internets gewesen. Wo er früher eine Woche Zeit gehabt hätte, sich einen „guten Titel” für ein Plakat zu überlegen, müssten die Kunden heute in eine „Konversation mit der Marke” einsteigen. Es reiche nicht mehr, „einfach nur zu werben”, da die Menschen im Internet die Möglichkeit hätten, jede Werbung per Mausklick sofort zu entfernen. Die Werbung, die dort geschaltet werde, müsse die Menschen davon überzeugen, sich mit dem Produkt auseinanderzusetzen. Zudem müsse Werbung für das gleiche Produkt anders aussehen, je nachdem, auf welchem Endgerät sie rezipiert werde. Fernsehspots müssten somit anders sein als Werbung im Internet oder Anzeigen auf dem Smartphone. Für die unterschiedlichen Gadgets seien heutzutage sogar manchmal ganz unterschiedliche Werbekampagnen nötig.

Ein großer Teil von Herrn Englers Vortrag befasste sich mit der Thematik des Datenan- und -verkaufs. Er belegte, dass Mediaagenturen Daten von Anbietern wie bspw. Zalando oder Miles & More kaufen und diese nutzen, um Profile über Kunden zu erstellen. Allein Google habe so 10 bis 15 Exabytes an gespeicherten Daten angesammelt, aus denen Kundenprofile erstellt werden konnten. Die Mediaagenturen würden die eingekauften Daten nutzen, um Target-Advertising durchzuführen, d. h. sie verwenden bspw. Postleitzahlen, das gespeicherte Kaufverhalten von Menschen oder die Standortbestimmung der Kunden, um zielgerichtet Werbung zu schalten. Herr Engler zeigte aber auch auf, dass die Menschen das Datensammeln von Google und Facebook über die Einstellungen in ihren Benutzerkonten, wenn auch nicht ganz verhindern, so zumindest einschränken könnten. Allerdings müsse man genau wissen, wie das geht.

Am Ende seines Vortrags betonte Herr Engler noch einmal, wie sehr sich die Werbung durch das Internet gewandelt habe und wie wichtig es heute für Werbetreibende sei, eine Verbindung zwischen Kunde und Ware zu schaffen. Das Internet ermögliche es aber auch, durch die Speicherung und den An- und Verkauf von Daten viel zielgerichteter und personalisierter zu werben als es früher möglich war.

Den zweiten studentischen Vortrag und insgesamt sechsten Beitrag an dem Tag präsentierten ANNE DIESSNER, CARINA KONOPKA und LISAMARIE HAAS (Tübingen) unter dem Titel ’Alexa, kann ich dir vertrauen?’ – Sprachassistenten als Wegbereiter der gläsernen Privatsphäre. Dabei ging es zentral um die Frage, weshalb wir Konsumenten endlich Verantwortung für unsere Privatsphäre übernehmen sollten.

Zur Veranschaulichung der aktuellen Problematik um den Kontrollverlust unserer Daten sowie der Datenpreisgabe verglichen die Referentinnen Amazons bekannte Sprachassistentin mit menschlichen Dienstboten im 19. Jh. Damals nämlich hätten die reichen Herrschaften ihre Dienstboten mit ins Haus gebracht, bei sich im Haus schlafen gelassen und auf ihre Diskretion vertraut. Die Diener seien dabei ihren Arbeitgebern willenlos und loyal zur Verfügung gestanden. Amazons Alexa nun, so der Ansatz, habe ebenfalls all diese Eigenschaften, mit jedoch einem wichtigen Unterschied: Sie habe kein Gewissen, unterliege keiner Loyalität zu ihrem Eigentümer. Im Gegenteil, sie vertrete die wirtschaftlichen Interessen des Konzerns, nämlich in diesem Beispiel Amazon. Mit der Dienstboten-Metapher wollten die Referentinnen damit das Eindringen Dritter in unsere Privatsphäre deutlicher machen und somit auch ein Verantwortungsbewusstsein schaffen, auf die eigene Privatsphäre mehr Acht zu geben.

Den Abschluss der Tagung machte NILS ZURAWSKI (Universität Hamburg) mit seinem Vortrag Der totale Unterhaltungsstaat. Überwachung im digitalen Zeitalter. Sein Ziel sei es gewesen, noch einige „Lücken zu füllen”, die seiner Meinung nach durch die Vorträge des Tages entstanden seien. Zuallererst stellte er die Frage, was der Grund dafür sein könne, dass wir uns alle in den Konsum hineinziehen ließen, und welche Bedürfnisse wir hätten, die befriedigt werden müssten. Diesen Punkt erläuterte er mithilfe von Beispielen aus der Historie. Vor 150 bis 200 Jahren seien die ersten Kaufhäuser entstanden, welche die Entwicklung eines Konsumgedankens begünstigt hätten. Das sei das erste Mal gewesen, dass sich auch normale Menschen Luxusgüter hätten leisten können, und das sei in immer stärker werdendem Konsum resultiert. Mit dem Kauf dieser Güter hätten nun auch die einfacheren Leute das Gefühl haben können, etwas Besseres zu sein.

Heute habe sich dieser identitätsstiftende Aspekt des Konsums noch mehr verschärft. Der Kunde soll sich mit dem Gedanken der Marke immer mehr identifizieren. Dies sei einer der Gründe, warum es so viele unterschiedliche Angebote gebe. Wenn es nur darum ginge, ein Gefährt zu haben, das einen von einem Ort zum nächsten bringe, bräuchten wir nicht verschiedene Automarken. Es gehe vielmehr um das Ich-Gefühl, das bei dem Käufer eines Luxusfahrzeugs entstehe im Vergleich zu dem Gefühl, das der Besitzer eines einfacheren Autos mit seinem Fahrzeug verbinde. Zudem seien Geräte wie Amazons Alexa auch über den mit ihnen verbundenen Ausdruck von Modernität identitätsstiftend. Zwar würden uns die technischen Neuerungen vermeintliche Arbeitserleichterungen verschaffen, da wir unseren Alltag größtenteils durch ein einzelnes Gerät, das Smartphone, steuern könnten. Aber vor allem sei Modernsein ein sehr wichtiger Bestandteil des heutigen Selbstbildes.

Doch hinter all dem – der vermeintlichen Auswahl, der Vermittlung guter Ich-Gefühle und der Modernisierung – stecke ein ausgeklügeltes polit-ökonomisches System. Das Prekäre an diesem System sei es, dass wir nur zu Gesicht bekämen, was die Produkthersteller uns zeigen wollen. Wir Konsumenten wüssten nicht, was der Hersteller uns vielleicht absichtlich vorenthalte und aus welchen Gründen. Begünstigt werde diese Art der Selektion durch Plattformen. Damit meinte Nils Zurawski Anbieter wie Apple oder Amazon, die Produkte für sehr viele unterschiedliche Bereiche unseres Lebens anbieten. Die Gefahr hierbei sei, dass die Menschen von den Plattformen abhängig werden könnten.

Der Gedanke der Überwachung durch Konsum sei also keinesfalls neu, sondern befriedige ein über beinahe 200 Jahre hinweg gewachsenes Bedürfnis der Menschen, wie Nils Zurawski in seinem Vortrag aufzeigte. Durch die aktuellen Möglichkeiten sei es für die Menschen aber zusehends schwierig, wenn nicht gar unmöglich geworden, nicht zu konsumieren – oder mit anderen Worten: ihre Bedürfnisse auf eine andere Art und Weise, ohne die dort implizite Überwachung bzw. Manipulation zu befriedigen. Dies könnte auf Dauer problematisch werden, wenn die Produzenten von ihrer Machtstellung Gebrauch machen würden.

Was geschieht mit unseren Daten? Wie steht es um unsere Privatsphäre? Und inwiefern lassen wir uns mit dem Datengeschäft (un)bewusst ein? – Es bleibt festzuhalten, dass das Thema Überwachung nicht nur als einseitiges Phänomen betrachtet werden kann. Die Tagung zeigte dazu vielschichtige Zugänge und Sichtweisen zu diesem Thema auf und bot ausreichend Stoff zur Diskussion und zum Nachdenken. Ausgeschöpft ist das Phänomen Überwachung sicherlich noch nicht und kann daher auch für weitere Tagungen und Diskussionen als Thema und Gesprächsstoff dienen.

Tagungsübersicht:

  • Surveillance 2.0 – Zwischen Kontrolle und Komfort, Moderation: Lisamarie Haas (Tübingen).
  • Dr. Dietmar Kammerer (Universität Marburg): Was war Surveillance 1.0? Ein Blick in die Geschichte von Mainframes und Zauberspiegeln.
  • Studierende der Universität Tübingen: Öffentliche Debatte zu den Folgen der Überwachungsgesellschaft.
  • Maria Wilhelm (Stuttgart): Who Watches the Watchmen? – Datenschutzrechtliche Anforderungen an Überwachungssysteme.
  • Lena Füller, Caroline Ganzert, Marcel Lemmes (Tübingen): Überwachen, verführen, verkaufen – Manipulation als Schlüsselkonzept für Überwachungstheorien des 21. Jahrhunderts.
  • Gene-Lee Engler (Frankfurt): Wir wissen besser als du, was du brauchst – Daten in der Werbung.
  • Anne Diessner, Lisamarie Haas, Carina Konopka (Tübingen): ’Alexa, kann ich dir vertrauen?’ – Sprachassistenten als Wegbereiter der gläsernen Privatsphäre.
  • Dr. Nils Zurawski (Universität Hamburg): Der totale Unterhaltungsstaat. Überwachung im digitalen Zeitalter.