Rezension: Invisible Crimes and Social Harms

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Pamela Davies, Peter Francis and Tanya Wyatt (Hg.): Invisible Crimes and Social Harms. (Basingstoke: Palgrave Macmillan) 2014.

von Pamela Kerschke-Risch, Hamburg

Mit dem Band Invisible Crimes and Social Harms, der in der Reihe Critical Criminological Perspectives erschienen ist, haben die HerausgeberInnen eine Sammlung von 13 Beiträgen zu einem breiten Spektrum von auf den ersten Blick nicht sichtbaren Delikten veröffentlicht.

Diese unsichtbaren Delikte zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Dunkelziffer aus, sondern werden entweder häufig gar nicht oder nicht ausreichend gesetzlich geregelt und dementsprechend auch nicht kontrolliert sowie untersucht, obwohl sie sowohl beträchtliche Schäden als auch erhebliches Leid verursachen können. So werden ihre Opfer häufig aufgrund bestehender Marginalsierungen einfach übersehen, wie dies u.a. bei Älteren, im Sexgewerbe oder bei ethnischen Minderheiten, wie z.B. Black and Minority Ethnic women, der Fall sein kann. Oder aber es fehlt ein generelles Bewusstsein dafür, dass vielfach kriminelle Handlungen ursächlich für die Zerstörung der Umwelt verantwortlich sind und diese somit nicht nur als ein nicht zu hinterfragendes und unausweichliches Nebenprodukt industrieller Entwicklungen angesehen werden dürfen. Die in dem Band behandelten Deliktarten unterscheiden sich damit sowohl hinsichtlich der Opfer, die entweder einzelne Individuen oder aber Gruppen bzw. auch Völker sein können, als auch hinsichtlich der Täter, die als Einzelpersonen oder Unternehmen agieren.

Die HerausgeberInnen verfolgen mit der Zusammenstellung der einzelnen Beiträge das Ziel, einen Überblick der gegenwärtigen Forschung zu auf den ersten Blick nicht sichtbaren Delikten und Viktimisierungen zu liefern, was ein Überdenken hinsichtlich der gängigen Vorstellungen von Kriminalität erfordert. Als Erklärung dafür, warum bestimmte Delikte und die damit im Zusammenhang stehenden Opfer bislang kaum oder gar nicht im Fokus der Mainstream-Kriminologie stehen, werden die bereits von Jupp et al. (1999) herausgearbeiteten Merkmale herangezogen, wonach diese nicht sichtbaren Delikte durch Nichtwissen im weitesten Sinne gekennzeichnet sind. Das bedeutet, dass hierüber weder Statistiken, Theorien, Forschungen, Kontrollen oder politische Interessen existieren. Darüber hinaus gibt es im Gegensatz zu konventionellen Delikten auch keine durch die Medien geschürte Moral Panic und damit auch keine Verteufelung von TäterInnen, wie dies z.B. bei Gewalttaten oder Sexualdelikten der Fall sein kann.

Pamela Davies zeigt in ihrem Beitrag mit dem Titel „Gender First“, welchen Einfluss das Geschlecht im Hinblick auf Viktimisierungen hat. So werden beispielsweise ältere Frauen deutlich häufiger Opfer von Missbrauch als ältere Männer, wobei eine erhebliche Lücke zwischen den offiziellen Daten und dem Dunkelfeld besteht. Dadurch, dass insbesondere Taten, bei denen sich TäterInnen und Opfer kennen, weniger angezeigt und registriert werden, bleiben sie in der und für die Öffentlichkeit unsichtbar. Damit einhergehend sind sich die Opfer selber entweder häufig gar nicht der Tatsache bewusst, Opfer geworden zu sein, oder aber die Viktimisierung wird auch von anderen als solche nicht anerkannt.

Taten im Zusammenhang mit vermeintlichen Ehrverletzungen werden von Alexandra Hall behandelt, die begründet, dass viele Taten und ihre weiblichen Opfer unsichtbar bleiben, da diese im häuslichen Umfeld stattfinden. Auch die unter dem sehr weit zu verstehenden Begriff „Missbrauch“ von Älteren zusammengefassten Taten, die von physischen, psychischen, emotionalen und sexuellen oder finanziellen Schäden bis hin zu Nichtbeachtung reichen können, weisen, wie Matthew Hall zeigt, Gemeinsamkeiten auf: sie erscheinen nicht in offiziellen Statistiken, wobei die „Elderly“ keineswegs eine homogene Gruppe bilden. Mary Laing analysiert die „Choreographie“, mit der sich männliche Sexarbeiter anbieten, sichtbar nur für die potentiellen Interessenten, jedoch unsichtbar als marginalisierte Gruppe. Gemeinsam ist diesen Delikten, dass sie aufgrund der Tatsache, dass sie nicht offiziell gemeldet bzw. angezeigt werden, insgesamt unterschätzt werden und ihre Opfer größtenteils unsichtbar bleiben.

Welchen Einfluss politische Entscheidungen auf offizielle Statistiken und damit auf die Sichtbarkeit von berufsbedingten Gesundheits- und Sicherheitsgefahren haben, wird von Steve Tombs aufgezeigt. Diese, auch als „corporate manslaughter“ zu bezeichnenden Delikte sind zwar teilweise schwer zu quantifizieren und wie bei Krebsfällen schwer zu beweisen, stellen u.a. mit mehreren zehntausend Krankheits- und Todesfällen ein schwerwiegendes, aber weitgehend unbeachtetes soziales Problem dar. Betrug im weitesten Sinne behandelt Michael Levi, der für die generelle Problematik der Sichtbarkeit und Verfolgung von White-Collar Crime u.a. zu dem Schluss kommt, dass diese Taten besonders dann wenig sichtbar bleiben, wenn diese nicht von marginalisierten oder stigmatisierten, sondern gesellschaftlich angesehenen Personen begangen wurden.

Ein ganz anderer Bereich, der aber in der Zukunft von noch weitreichenderer Bedeutung für die gesamte Menschheit sein wird, ist der der Umweltzerstörung, einhergehend mit der globalen Klimaveränderung und den daraus resultierenden Problemen. Diesem weiten Feld der Umweltprobleme widmen sich Avi Brisman mit einem Beitrag zum Klimawandel und Reece Walters mit einem Artikel zur Luftverschmutzung. Das besondere Merkmal dieser Delikte besteht darin, dass es keine „subject-to-subject“ Taten sind und dass es weder eindeutig zu benennende Opfer noch klar zu quantifizierende Schäden gibt: Die Gewalt an sich ist somit unsichtbar.

Ökonomische und politische Machtungleichgewichte, die Biopiraterie und unsichtbare Plünderungen durch Unternehmen ermöglichen und damit insbesondere z.B. indigene Bevölkerungsgruppen finanziell durch die Ausbeutung einheimischer Pflanzen oder traditionellen Wissens benachteiligen, sind das Thema von Tanya Wyatt. So hängt es nicht auch nur davon ab, wer eine Definition konstruiert und so bestimmt, was Kriminalität ist, sondern auch, ob die soziale Schädlichkeit bzw. der soziale Schaden wahrgenommen und somit sichtbar wird.

Mit der politischen Konstruktion und Manipulation des Begriffs Ökoterrorismus setzen sich Hayley Watson und Tanya Wyatt auseinander, um die auf den ersten Blick nicht offensichtlichen Strategien zu entlarven, mit denen ÖkoaktivistInnen stigmatisiert und kriminalisiert werden, um einerseits den status quo des Wirtschaftswachstums zu erhalten und andererseits die Taten der tatsächlich Verursachenden zu verschleiern.

Wayne Morrison entlarvt schließlich Kriegsstrukturen und die normative Sichtbarkeit von als heroisch oder patriotisch konstruierten und definierten Taten als das, was sie sind: Verbrechen.

So bleiben letztendlich nicht nur die Fragen, wer, was und warum etwas unsichtbar ist bzw. bleibt, sondern, ausgehend von der Annahme, dass Kriminalität eine soziale Konstruktion ist, auch die Fragen danach, wie das, was nicht Kriminalität ist, sozial konstruiert ist. Da die “Mainstream“- Kriminologie und Viktimologie benachteiligte, marginalisierte oder auch politisch unbequeme Opfer vernachlässigen, könnte eine Sichtbarmachung der diesen Prozessen zugrunde liegenden Strukturen sowie ein breiteres Verständnis für Verletzungen von Bürger- und Menschenrechten dazu beitragen, bestehende Ungerechtigkeiten abzubauen. Besonders Augenmerk sollte in diesem Zusammenhang auf die Folgen der Umweltzerstörung und -verschmutzung gelegt werden, da diese bislang als unausweichliche Nebenprodukte des industriellen Fortschritts angesehen werden, ohne dabei die verursachenden TäterInnen zu benennen und die Opfer auch als solche wahrzunehmen.

Mit diesem lesenswerten Band haben die HerausgeberInnen in der Tradition radikaler kriminologischer Sichtweise äußerst wichtige Beiträge zu bislang auch in der kritischen Kriminologie eher vernachlässigten Themenbereichen geliefert, von denen zu hoffen ist, dass diese auch der deutschen kriminologischen Forschung Anstöße geben können und dem Ziel der AutorInnen, „making visible the invisible“, damit jedenfalls einen Schritt näherkommen. Traditionelle Annahmen über Kriminalität im Allgemeinen und das daraus resultierende Leid, Viktimisierungen sowie Kontrolle müssen somit in Zukunft, zumindest teilweise, überdacht bzw. neu gedacht werden.

Pamela Kerschke-Risch, Hamburg

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