Catarina Frois: Peripheral Vision: Politics, Technology and Surveillance, New York/Oxford: Berghahn 2013, 176 Seiten.
von Simon Egbert, Hamburg
Die Anthropologin und Kriminologin Catarina Frois präsentiert mit ihrem Werk ‚Peripheral Vision : Politics, Technology and Surveillance‘ eine ethnografische Analyse, die auf der Basis von Interviews mit politischen Akteur_innen und einer Online-Medienanalyse untersucht, wie sich der Implementierungsprozess von Videoüberwachung in Portugal entwickelt hat, mit besonderem Blick auf die politische Handhabung dieses Themas. Diesen Prozess als Ganzen liest die Autorin vor dem Hintergrund des in die portugiesische Kultur eingeschriebenen Gefühls, im europäischen Kontext ein hinterhinkendes Land zu sein, was eine Kontextualisierung der Einführung von Überwachungstechnologien als Akt der Modernisierung zulasse (4f.). Ohnehin ist eine Besonderheit der Analyse die stete Aufmerksamkeit, die der Technologie, gleichsam als kulturelle Entität eigener Art, zugestanden wird, und den wesentlichen Mehrwert der Analyse verspricht (wobei damit nicht untergraben werden soll, dass es die erste Untersuchung von Videoüberwachungssystemen in Portugal darstellt und alleine aus diesem Grund ein wissenschaftlicher Mehrwert zu verzeichnen ist), da die Relevanz von Technologien und deren gesellschaftlichen und kulturellen Effekte explizit berücksichtigt werden (6). Die breite kulturelle Rahmung der Studie ermöglicht ferner die Inrechnungstellung der diktatorischen Geschichte des Landes und die damit verbundene negative Konnotation flächendeckender Überwachungsmaßnahmen in der Bevölkerung (2). Der Titel des Werks spielt auf das Ziel der Autorin an, zum einen Portugal – als bislang wenig beachtetes Land im Kontext der surveillance studies – in den Fokus zu rücken, zum anderen die anthropologische Herangehensweise in diesem Feld zu platzieren – was bislang nur in Einzelfällen geschehen sei (10). Die Integration letzterer in die Forschungsanstrengungen über Praktiken der Überwachung und Kontrolle seien deshalb überfällig, da sie eine anderen Perspektive auf jene Praktiken böten – wie z.B. durch die Möglichkeit, die analytische Aufmerksamkeit gleichmäßig auf die jeweils beteiligen Akteur_innen zu verteilen (10).
Das empirische Fundament der Untersuchung basiert einerseits auf Interviews, die die Autorin zwischen den Jahren 2005 und 2010 mit Repräsentant_innen politischer und administrativer Behörden in Portugal geführt hat (darunter Offiziere der portugiesischen Sicherheitsbehörden, Abgeordnete des Parlaments, Vertreter_innen des Innenministeriums, Mitglieder von Stadtverwaltungen und der Datenschutzbehörde), andererseits auf der Analyse der Onlineausgabe der Tageszeitung Público (14). Aussagen zum Sampling finde sich hier leider nicht.
Frois legt ihre Argumentation in folgender Reihenfolge und Aufteilung dar: Im ersten Kapitel spannt sie den historischen Bogen, der für die konkrete gegenwärtige Ausgestaltung von Videoüberwachungspraktiken in Portugal Relevanz besitzt. Dieser, sich fast auf das gesamte 20. Jahrhundert beziehende Abriss fokussiert auf die wichtigesten politischen Ereignisse und Wendepunkte. Das zweite Kapitel beschreibt die Nutzung von Systemen der Videoüberwachung öffentlicher Plätze in Portugal zwischen den Jahren 2005 und 2010, insbesondere mit Blick auf das ‚National Video Surveillance Programme‘ und dessen Implementierung in portugiesischen Städten. Das darauf folgende Kapitel widmet sich der Probleme, die sich im entsprechenden Implementierungsprozess ergeben haben und die Rolle der Beziehungen zwischen den beteiligten staatlichen Institutionen. Kapitel vier hat die Medienanalyse zu Inhalt und beleuchtet im Rahmen dessen die Wahrnehmungen der Bürger_innen zum Thema, mit besonderem Fokus auf die Themen Freiheit und Privatsphäre. Kapitel fünf demgegenüber stellt den Begriff der Sicherheit bzw. den der Unsicherheit in den Mittelpunkt und analysiert sowohl die öffentlichen Bearbeitungen derselben als auch jene der politischen Repräsentant_innen. Ein abschließendes und zusammenfassendes Fazit steht am Ende ihrer Argumentation.
Die Ausführungen von Frois sind insgesamt gesehen in jedem Falle mit Gewinn zu lesen, da ihr zunächst das Verdienst zukommt, die Implementierung von CCTV-Systemen außerhalb der sonst stets diesbezüglich analysierten Länder (insbesondere Großbritannien) zu analysieren. Dies ist auch deshalb von Wichtigkeit, wie sie auch selbst überzeugend zeigt, da es durchaus auf die jeweiligen nationalen geschichtlichen und kulturellen Unterschiede ankommt, wie eine Sicherheitstechnologie verhandelt und schließlich eingeführt wird. Obgleich indes die Autorin mit bemerkenswerter Stringenz der Technologie selbst als analytischen Gegenstand wesentlichen Raum einräumt, greift sie aus techniksoziologischer Perspektive diesbezüglich zu kurz und ein_e entsprechend informierte_r Leser_in vermisst die Analyse der konkreten soziotechnischen Interaktion rund um CCTV-Praktiken und die Erörterung der konkreten materialen Effekte von Videokameras (Stichwort visuelle Evidenz). Überzeugend gestaltet sich auch die in der Studie verfolgte ethnografische Herangehensweise, die überaus interessantes empirisches Material zu Tage fördern vermag.
Simon Egbert, Hamburg