Rezension: Peripheral Vision II

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Catarina Frois: Peripheral Vision: Politics, Technology and Surveillance, New York/Oxford: Berghahn 2013, 176 Seiten.

von Sarah Schirmer, Hamburg

Catarina Frois’ Werk „Peripheral Vision: Politics, Technology and Surveillance“ wurde in Kooperation mit der European Association of Social Anthropologists (EASA) 2013 veröffentlicht. Das Buch gliedert sich in sieben Teile: eine Einleitung, fünf Kapitel und eine Zusammenfassung, mit jeweils mehreren Unterpunkten. Ziel ihrer Untersuchung ist es zu verstehen, wie Politik gemacht wird und zwar anhand der Implementierung von Überwachungskameras an öffentlichen Orten in Portugal. Schnell stellt die Autorin fest, die Einführung der Videoüberwachung „is principally a pretext for political dispute or institutional performance, rather than an area for effective and purposeful action“ (S. 15).

In ihrer Studie zeigt sie, wie wichtig es ist, historische Ereignisse bei aktuellen Veränderungen zu berücksichtigen – in diesem Fall das 40 Jahre andauernde diktatorische Regime unter António Oliveira Salazar und die Implementierung von Sicherheitskameras. So beschreibt sie, dass der Begriff der öffentlichen Überwachung beziehungsweise der Überwachung generell in Portugal wegen der jüngeren Geschichte durchaus negativ geprägt ist. Warum also überhaupt die Möglichkeit gegeben war trotzdem eine Überwachung durch Sicherheitskameras zu implementieren, findet Frois in der Geschichte wieder. Sie nimmt an, dass die portugiesische Bevölkerung sich für rückschrittlich hält und es eine regelrechte Fixierung darauf gibt, mit dem restlichen (modernen) Europa mithalten zu wollen. So stellt sie für den/die Leser/in spannend fest, dass die Implementierung von Überwachungskameras durch andere Befindlichkeiten initiiert wurde, als beispielsweise in den USA durch 9/11. Die Sicherheitskamera wird somit zum Ausdruck des Modernisierungsprozesses. Deutlich wird dies auch durch politische Slogans wie: „modernization through technology“ (36). Allerdings stellt sich später heraus, dass auf politischer Ebene damit argumentiert wird, dass die Überwachungskamera zur „urban rehabilitation and crime fighting“ (38) beitragen soll.

Wie es dazu kommt, versucht Frois durch das Zusammenspiel von Medien, Politik und der öffentlichen Meinung zu skizzieren. In Kapitel drei stellt sie kurz eine Prozesskette der Ereignisse vor, die zu verschärften Sicherheitsmaßnahmen führen soll. In einem ersten Schritt klagt die Bevölkerung über Kriminalität und ein Unsicherheitsgefühl. Im zweiten Schritt wird dies sowohl von Politikern als auch medial aufgegriffen und so ein noch nie da gewesenes Level der Angst geschaffen. Im dritten Schritt werden Statistiken präsentiert, um das Installieren von Überwachungsinstrumenten zu legitimieren. Leider baut Frois an diesem Punkt diese Kette nicht weiter aus und weist auch nicht darauf hin, dass die Kette vielleicht gar keine ist, sondern eventuell eine kreuz-und-quer-Interaktion, die nicht zwingend die sogenannte public opinion an erster Stelle zu stehen hat. Es lässt sich an späterer Stelle erahnen, dass sie diese nicht als starres Konstrukt begreift, wenn sie beispielsweise in Kapitel drei den politischen Parteien viel Verantwortung zuschreibt, weil diese sich bei der europäischen Modernisierung angesteckt haben und in Bezug auf Sicherheit eine populistische und sensationalisierende Attitüde haben (vgl.: 100). Auch in den Kapiteln vier und fünf wird angedeutet, dass dies eher eine Interaktion als eine Kette ist, so erwähnt sie dort auch die Massenmedien und das Gespräch über Kriminalität, die zu Kriminalitätsfurcht und somit zu einer Forderung nach mehr Sicherheit führen kann und dann auf politischer Ebene als Forderung nach Überwachungskameras interpretiert wird.

Frois nimmt die bekannte Diskussion um Freiheit versus Sicherheit in ihre Untersuchung auf und erwähnt dabei auch kritische Stimmen unter Experten. Beispielsweise gibt es in Portugal die Data Protection Authority als Kontrollinstanz, um ein Übermaß an Überwachung zu verhindern. Doch hat diese Institution letztendlich die alleinige Entscheidungsgewalt über die Installation von Kameras (und wird dafür auch politisch kritisiert). Die Wissenschaftlerin vergisst weiterhin nicht zu erwähnen, dass auch der Polizeiapparat der Installation von Sicherheitskameras kritisch gegenüber eingestellt ist und sich viel eher die Finanzierung von mehr Personal oder anderem Equipment wünscht. Der Punkt der Finanzierung spielt hierbei eine so eklatante Rolle, dass die Umsetzung des National Video Surveillance Programme schon fast traurige Comedy ist. Glücklicherweise enthält uns Frois diese unterhaltsamen Randgeschichten, wie sie die Realität schreibt, trotzdem nicht vor. So führten Finanzierungs- und Technikprobleme dazu, dass die Kameras zwar da waren, aber nicht benutzt wurden. Es ergab sich dann folgender Running Gag unter Polizisten: „Well, at least the cameras were not vandalized“ (59).

Doch obwohl die Autorin eine spannende und sehr vielfältige Untersuchung unternommen hat, kann die Vielfalt auch eine gewisse Überforderung für den/die Leser/in darstellen, da sehr viele Themenkomplexe auf wenigen Seiten angerissen werden. So geht es um Modernisierung, politische Parteien, Kriminalitätsfurcht und konkrete Fallbeispiele, die mit Interviewausschnitten illustriert sind. Dies zeigt einmal mehr, wie komplex die Thematik der Überwachung ist. Es bleibt trotzdem der positive Eindruck, dass sie sehr detailliert und reflektiert gearbeitet hat.

Wer glaubt, eine Studie am Beispiel Portugal wäre nicht relevant, der läuft Gefahr eine gute Untersuchung mit detaillierter Beobachtung zu verpassen und darüber hinaus auch nicht zu erkennen, dass ein Vergleich zu anderen Ländern durchaus möglich ist. Neben dem Einblick in die portugiesische Geschichte, die sowohl interessant als auch lehrreich ist, hat Frois eine vielleicht einmalige Gelegenheit erkannt, die die Geschichte da bereit hält: Nämlich die Prozesse der Implementierung von Sicherheitskameras und der damit einhergehenden Überwachung hautnah, ja quasi live, mitzuerleben und aufzuzeichnen.

Sarah Schirmer, Hamburg

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