Michael McCahill & Rachel L. Finn (2014): Surveillance, Capital and Resistance. Theorizing the surveillance subject. London/New York: Routledge.
von Sylvia Kühne, Hamburg.
Es ist vor allem dieser Untertitel des 2014 in der Reihe Routledge Studies in Crime and Society erschienenen Buches: „Surveillance, Capital and Resistance“, das aufmerksam macht: „Theorizing the surveillance subject“. So ist zwar die Rede von der Überwachungsgesellschaft allgegenwärtig – dass in ihr Menschen leben, sich ins Verhältnis zu den mittlerweile zahlreichen Technologien der Sicherheit und Kontrolle setzen, sich ihnen gar widersetzen, hat in den Surveillance Studies, deren gemeinsamer Kern die Auseinandersetzung mit den Bedingungen und Konsequenzen von Überwachung ist, zwar in den vergangenen Jahren durchaus Beobachtung gefunden, wurde aber selten auch empirisch bearbeitet.
Michael Cahill und Rachel L. Finn, die mit diesem Buch die Ergebnisse ihrer vom Economic and Social Research Council geförderten Studie (2008-2010) vorstellen, tun dies und nehmen dabei ihren theoretischen Ausgangspunkt von der Frage, wie das Erleben von Subjekten, welche in unterschiedlichem Maß Formen der Überwachung ausgesetzt sind, nicht nur beschrieben, sondern verstanden werden kann.
Dabei ist es ihr erklärtes Ziel nicht der in den Surveillance Studies dominanten Lesart von Michel Foucaults „Überwachen und Strafen“ anheimzufallen, in der bereits aus der Logik des Wirkens der Technologien das Handeln der so als „fügsam“ (Coleman/ McCahill 2011) entworfenen Subjekte bestimmt wird. Gleichsam berücksichtigt wissen wollen sie, dass objektive Strukturen gleichwohl bestimmen, wie und in welchem Maß verschiedene Überwachungssubjekte in teils widerständige Interaktionen mit den Technologien und Akteuren der Überwachung zu treten vermögen. Jenes Akteur-Struktur-Problem lösen die Autoren im Rückgriff auf Pierre „Bourdieu’s conceptual toolkit“ (21, 186) der sozial strukturierten Felder, in denen die Verfügung über unterschiedliche Kapitalformen über die jeweilige Positionierung und damit Handlungsbefähigung einzelner Personen(gruppen) entscheidet (3ff.).
Ihr Augenmerk richten sie dabei auf das Erleben von Maßnahmen der Überwachung im weiten Feld der Kriminalitätskontrolle. Für die Auswahl der einzelnen „fields of struggle“ (4) orientieren sie sich an der Definition David Garlands (2001), wonach das Feld der Kriminalitätskontrolle von Kontexten der formalen Kontrolle wie etwa die Bewährungshilfe (Teil II des Buches) bis in die alltägliche Erfahrung informeller sozialer Kontrolle, etwa in Schulen, Shoppingmalls, Flughäfen (Teil III) reicht (6f.).
Die von den Autoren eingesetzten Methoden (8ff.), – ethnographische Feldstudien, Interviews, Fokusgruppen oder Medienanalyse (Kapitel 2) – sind dabei ebenso vielfältig wie die von ihnen in einer nordenglischen Stadt untersuchten Kontexte und Gruppen von „surveillance subjects“: Die Erfahrung von und den Umgang mit Technologien der Überwachung erfragen und beobachten sie sowohl bei verschiedenen Gruppen von Bürgern in einer Kleinstadt (Kapitel 3), Wiederholungsstraftätern (Kapitel 4), im politischen Protest aktiven Personen (Kapitel 5), Polizeibeamten (Kapitel 6), Schülern (Kapitel 7), aus Shopping Malls „verbannten“ Bürger und Akteuren privater Sicherheitsdienste in Shopping Malls (Kapitel 8) sowie Migranten (Kapitel 9). Dabei unterscheiden sich diese, teils quer zu den Untersuchungskontexten liegenden, Subjekte nicht nur darin, dass sie einem teils gänzlich unterschiedlichen Grad an Überwachung ausgesetzt sind, sondern auch in unterschiedlichem Maß nicht nur über „symbolisches“, „kulturelles“ oder „ökonomisches“ sondern auch über Überwachungskapital verfügen. Das von den Autoren eingeführte, nicht ohne weiteres in andere Formen überführbare, „surveillance capital“ „refers to how surveillance subjects utilize the everyday forms of tacit knowlegde and cultural knowhow that is acquired through firsthand expercience of power relations to challenge the very same power relations.“ (4). Die besondere Bedeutung, die die Autoren dieser Kapitalform zumessen, liegt darin, dass es Überwachungssubjekten, welche über vergleichsweise wenig andere Kapitalarten wie etwa ökonomisches oder kulturelles Kapital, verfügen, „a degree of agency in local and specific settings“ (187) vermittelt.
In dichten Beschreibungen und sorgfältig ausgewählten Interview- und Beobachtungspassagen vermitteln die Autoren dem Leser ein eindrückliches Bild nicht nur der sehr unterschiedlichen Methoden von Kontrolle in den untersuchten Feldern, sondern auch ein Bild des „struggles“ mit dem sich die verschiedenen Überwachungssubjekte den Normalisierungsprozessen unter Rückgriff unterschiedlicher Kapitalformen, selbst zu entziehen versuchen. Auch wenn die Erfahrung mit Überwachung zunehmend verfügbar wird, so lässt sich vor dem Hintergrund der Ergebnisse schlussfolgern, fühlen sich die Bürger in unterschiedlichem Ausmaß von ihnen betroffen. So ist Überwachung, und das zeigen die Autoren auch in ihrer Analyse des journalistischen Diskurses (Kapitel 2) keinesfalls demokratisch (30ff.). Bereits der sprachliche Entwurf von „guten“ („Wir“) und „schlechten“ Datensubjekten („die Anderen“) repräsentiert dabei nicht nur die unterschiedliche Verteilung von „symbolischem“, Kapital, sondern reproduziert ohnehin vorhandene ungleiche Machtverhältnisse (44) und gesellschaftliche Spaltungen (Kapitel 3): Auf das Beispiel der interviewten Schüler gebracht, schlussfolgern McCahill und Finn: „the various surveillance practices directed towards the ‚angels‘, ‚devils‘ and ‚teen moms‘ reaffirmed young people’s social positioning as ‚privileged‘, ‚marginalized‘ and ‚gendered‘. At the same time, however, by evading, negotiating and resisting surveillance regimes, the children also shaped surveillance practices and technologies in novel and unanticipated ways“ (133).
Dabei und dies liest sich als eines der ausdrücklichen Anliegen der Autoren, müssen die unterschiedlichen und manchmal kleinen Zeichen der Widerständigkeit als eines der Würde gelesen werden, mit denen Subjekte der Überwachung ihre „regulated liberties“ (Bourdieu 1990: 192) verhandeln (183).
Theoretische und deskriptive Dichte zeichnen dieses Buch auch. Gleichwohl erschweren es die in den einzelnen Kapiteln zusätzlich entfalteten zahlreichen Betrachtungen und Schlussfolgerungen, die die Autoren auf gerade einmal 190 Seiten (exklusive Index) präsentieren, dem Leser den eigentlichen roten Faden der in der Einleitung entwickelten Ausgangsposition der Autoren im Auge zu behalten.
- Coleman, Roy/ McCahill, Michael (2011): Surveillance and Crime. London: Sage.
- Foucault, Michel (1977): Discipline and Punish: The Birth of the Prison. London: Allen Lane.
- Garland, David (2001): The Culture of Control: Crime and Social Order in Contemporary Society. Oxford: OUP.