Rezension: Militarisierung, Polizei und Protest

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Lesley Wood:Crisis and Control. The Militarization of Protest Policing. (Pluto Press 2014)

von Peter Ullrich, Berlin

Aufmerksamen Beobachter_innen des Versammlungsgeschehens in westlichen Ländern wird ein Formwandel im Protest Policing, also dem polizeilichen Umgang mit Protest, nicht entgangen sein. Am augenfälligsten wird dieser Wandel in der hochtechnisierten Schutzausrüstung moderner Einsatzkräfte, die durch dunkle Farben, umfassende Panzerung, Bewaffnung und Technikausstattung meist mit „Robocops“ assoziiert wird. Zu diesem Wandel gehören auch Einsatztaktiken wie massive Kontrollen und Einschließungen (der Demonstrierenden oder ihrer Protestziele, bspw. Gipfeltreffen), die Zunahme präventiver (informationsbasierter) Einsatzkonzepte, polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit und nicht zuletzt der vermehrte Einsatz von Technologie (Kameras, Wasserwerfer, Hubschrauber), inklusive weniger tödlicher Waffen (Pfefferspray, Taser). In der Forschung wurde für diesen Policing-Style das Konzept „strategic incapacitation“ (Gilham/Noakes) geprägt, in Abgrenzung zu den älteren Policing-Styles wie der „escalating force“ (massiver Machteinsatz bei kleinsten Gesetzesübertretungen, v.a. 50-70er Jahre) und des „negotiated management“ (kommunikationsorietiert um zu deeskalieren, etwa ab den 80er Jahren).

Lesley Wood untersucht diese Entwicklung in Kanada und den USA als Prozess der „Militarisierung des Protest Policings“, der sich in pre-emptiver Kontrolle, Fortifikationen, Eskalation von Zwang, inkohärenten Verhandlungsstrategien, willkürlicher Datensammlung (S. 3f.) und einer Sicht auf Protest als Gefahr (S. 6) ausdrückt. Die Hauptthese des Buches ist, dass diese Wandlungen genuiner Ausdruck der Dominanz des und somit nur erklärbar durch den Neoliberalismus sind. Es geht Wood also um den Einfluss des gesellschaftlichen Kontexts und insbesondere der Ökonomie auf die Polizei, ohne diese zu einfach zum bloßen Vollstrecker von Kapitalinteressen zu stilisieren. Vermittelnd stünden zwischen der politökonomischen Makroebene und der Mikroebene der Polizeipraxis Eigenlogiken der Polizei als Organisation, die Polizeikultur, ein polizeispezifischer Habitus und insbesondere das darin verankerte polizeiliche Wissen (im wissenssoziologischen Sinne) von Protestierenden.

Der Einfluss des Neoliberalismus wird v.a. auf sechs Dimensionen vermutet und untersucht (S. 6): neue Managementkonzepte, Privatisierung, Deregulierung, Outsourcing, Informationsorentierung und eine Rollenbestimmung der Polizei als Verantwortliche für „Aufräumen“ und Sicherstellung eines guten Investitionsklimas. Die Argumentation wird in neun Kapiteln zu konzeptuellen und verschiedenen substanziellen Aspekten entfaltet. Die betrachteten Proteste und resp. polizeilichen Umgangsweisen mit ihnen sind v.a. im Kontext der globalisierungskritischen Bewegungen und der Occupy-Bewegung angesiedelt.

Kapitel eins stellt die Fragestellung und den theoretischen Rahmen vor. In Abgrenzung von anderen Ansätzen (u.a. DellaPorta, Tilly) wird mit Bourdieu der Untersuchungsgegenstand als Feld gefasst, in dem eine Praxis der – nicht komplett von außen steuerbaren – Aneignung sozialer Wandlungsprozesse für das Feld stattfindet. In diesem Feld (mit zwar geringem Job-Prestige, aber großem staatlichen Rückhalt), ringt die Polizei um Legitimität, während neue Akteure an Einfluss gewinnen (u.a. professionelle Organisationen und privatwirtschaftliche Akteure). In den Netzwerken dieser Akteure diffundieren taktische und technische Innovationen. Als förderlich für je konkrete Innovationsdiffusion werden drei Kriterien postuliert: Krisen-Selbstwahrnehmungen, globale Kooperation und eine gewisse geteilte Identität der Akteure im Feld (die Kontakt und somit Konzeptübernahme erst wahrscheinlich macht).

Kapitel zwei untersucht die Entwicklungen im Spiegel verschiedener Protestwellen. Die meisten (quasi normalistischen) Proteste bekommen die Militarisierungstendenzen auch nicht mit, aber wohl jene Akteure, die als antagonistisch, unkooperativ oder unberechenbar erscheinen – insbesondere die neuen, selbstbewussteren Protestakteure seit Seattle 1999. Diese sind vermehrt mit weniger tödlichen Waffen (Pfefferspray, Taser, Soundkanonen, Blendgranaten, Gummigeschosse) und Barrikadierungen (Zäune, zugewiesene Protestzonen, Polizeikessel, Vorbeugegewahrsam)

konfrontiert. Die Polizei reagiert auch durch eigene PR, die Etablierung militarisierter Spezialeinheiten und verstärktes Lernen (Professionalisierung des Wissens über die andere Seite). Wood beschreibt die Durchsetzung dieser Ansätze über konsekutive Phasen von Reflexion, Experimentieren, Bewertung, Bewerben/Promotion und Übernahme/Anpassung.

Kapitel drei hat verschiedene Hintergrundtrends, die organisationalen Umstrukturierungsprozesse und das neue Paradigma der „best practices“ zum Thema. Diese folgen dem „New Managerialism“, einer „Kundenorientierung“ auch in der Verwaltung und der Nutzung neuer Technologien zur Leistungsoptimierung. Im Mittelpunkt von Kapitel vier steht die Beeinflussung dieser generellen Trends durch die lokale Ebene. Lokale Bedingungen, so die Argumentation, seien verantwortlich für die weiter bestehende Varianz, denn – wie erwähnt – nicht jedes Protestereignis an jedem Ort wird Gegenstand des gleichen militarisierten Policing-Styles.

Kapitel fünf untersucht die Durchsetzungsdynamiken anhand des Pfeffersprayeinsatzes, einem Sinnbild der Militarisierung im Protest-Policing. Dieses war ursprünglich als Substitut für den Schusswaffengebrauch, also als exzeptionelles Einsatzmittel eingeführt worden (schließlich ist es durchaus hoch gefährlich), wurde aber im Verlauf mehrerer Jahre zum mehr oder weniger gewöhnlichen Mittel des Crowdmanagements. Dieser Mechanismus, ein Extrembeispiel eines function creep (schleichende Funktionsausweitung, bei Wood „mission drift“, S. 29), ist aus verschiedenen Bereichen bekannt (bspw. der Videoüberwachung). Er resultiere, so die Autorin, aus dem Einfluss verschiedener Akteure im Sicherheitssektor auf eine Polizei, die zu diesen ‘Verwandten’ nur über äußerst schwache Abgrenzungen verfügt („the thin blue line of police identity“, S. 94) und die bei sich selbst Krisensymptome sieht (und deshalb auf der Suche nach Innovationen ist). Die Übernahme wird durch Zertifizierungen durch ‘befreundete’ Institutionen erleichtert.

Kapitel sechs untersucht die wachsende Rolle von Professionsvereinigungen und verschiedensten organisationenübergreifenden Foren wie Messen und Kongressen im Sicherheitsbereich, auf denen die Diffusion von Ideen und Strategien stattfindet. Deren informelle Bedeutung wächst durch Privatisierungstendenzen und gestiegene Selbstverantwortlichkeit lokaler Polizeibehörden. Anhand verschiedener Beispiele wird gezeigt, wie zwischen Behörden und seitens privatwirtschaftlicher Akteure „best practices“ vorgestellt und verbreitet werden. Besonders interessant ist hier der Fall der Firma Taser, die die generelle Durchsetzung ihrer Elektroschockwaffe explizit über den Weg der forcierten Implementierung bei der Polizei erreichen konnte.

Kapitel sieben widmet sich den Verschiebungen in der polizeilichen Wahrnehmung von Protest, die sich seit den Anschlägen des 11. September 2001 immer mehr in den Kategorien von „Sicherheit“ und „Gefahr“ abspielt. Insbesondere wird gezeigt, dass „Events“ gänzlich unterschiedlichen Charakters (Protest, Sport-Events, Terroranschläge) mit standardisierten Routinen begegnet wird, die immer mehr auf Risikoeinschätzungen und präventivem Agieren (statt Reaktion auf Devianz im älteren Polizeiparadigma) basieren. Dies trägt zur Entpolitisierung von Protest und seiner Rahmung als Bedrohung in Polizeiwahrnehmungen bei.

Kapitel acht widmet sich der Rolle polizeilicher Narrative über Protest und von diesem angeblich ausgehende Gefahren, um damit gewählte Einsatzstrategien zu legitimieren. Die Autorin zeichnet besonders das Narrativ von Angriffen auf die Polizei mit Urin nach, das polizeiseitig immer wieder kolportiert wird, obwohl keine Fälle öffentlich nachprüfbar dokumentiert sind oder zu Prozessen bzw. Verurteilungen geführt haben. Ein deutsches Pendant dazu wären die Narrative von Angriffen auf das Zuhause von Polizist_innen beispielsweise durch Kennzeichnungspflicht oder Internetvideos.

Im bilanzierenden neunten Kapitel kommt die Autorin zum Schluss, dass aufgrund der Neigung der Polizei auf Kritik an ihrem Agieren eher mit Expertenwissen aus den Netzwerken des privaten Sicherheitssektors zu reagieren, immer diese Gesamtkonstellation in den Blick – und auf’s Korn – genommen werden muss, wenn Demokratisierungs- und Kontrollimpulse nicht versanden sollen.

Was im Buch leider fehlt, sind Hinweise und Reflexionen zum methodischen Vorgehen. Aus den Darstellungen lässt sich vielmehr schlussfolgern, dass eine Vielzahl von Quellen, darunter neben Presseberichten und Dokumenten aller Art auch viele Berichte aus eigenem Erleben der selbst aktivistischen Autorin Eingang fanden. Eine Einordnung oder Kritik der Quellen und eine Offenlegung des Auswahlprozederes findet nicht statt; der Geltungsbereich der getroffenen Generalisierungen bleibt somit etwas im Dunkeln. Auch die deutlich aktivistisch geprägte Grundhaltung der Autorin, die legitim ist, hätte expliziter thematisiert werden können. Folgen hat sie u.a. in einer partiellen Asymmetrie der Darstellung, die von Protestemphase einerseits und Polizeikritik andererseits geprägt ist. Dies kann zulasten der Rekonstruktion der Eigensinnigkeit sozialer Prozesse gehen und zu einem Reduktionismus (auf das aus einer sehr spezifischen Sicht Problematische) führen.

Ähnlich erratisch gestaltet sich teilweise der Umgang der Autorin mit Theorie. Dies kann zum Teil mit der vorherrschenden Gegenstandsorientierung des Buches begründet werden, hat aber in Verbindung mit den Methodendefiziten relevante Folgen. Denn am Ende ist das zentrale Argument (der Ursächlichkeit des Neoliberalismus für die dargestellten Phänomene) mehr narrativ plausibilisiert als nachgewiesen. Ein solcher strikter Nachweis ist angesichts der Globalität der Hypothese allerdings auch ein komplexes, sprich: schwer operationalisierbares Unterfangen. Wenigstens eine argumentative Auseinandersetzung mit denkbaren alternativen oder ergänzenden Deutungsangeboten (Professionalisierung, Differenzierung, Transnationalisierung, Big Data/“Informationalisierung“, Kultur der Kontrolle/Sicherheitsgesellschaft, allgemeine Techniksoziologie/STS) hätte man sich gewünscht. Nicht überzeugend ist, dass teilweise sehr spezifisch gegenstandsbezogene Theorien (beispielsweise zur Identität in sozialen Bewegungen und zur Diffusion von Bewegungsinhalten) einfach auf den völlig anders strukturierten Gegenstand Polizei übertragen werden.

Trotz dieser Monita ist es ein lesenswertes Buch, das zur Kontextualisierung der Wandlungen polizeilichen Umgangs mit Protest wichtige Erkenntnisse liefert. Viele Aspekte sind auch weit über den untersuchten nordamerikanischen Kontext hinaus zu beobachten. Dies betrifft sowohl die Form des Polizeihandelns, inklusive des teils exzessiven Aufrüstens, als auch die Hintergründe (Netzwerke der „Inneren Sicherheit“, Privatisierung, Managementstrategien usw.). Auch die konzeptionellen Probleme, insbesondere das des Nachweises globaler Transformationen in den Wissensformen und Praxen einzelner gesellschaftlicher Felder, sind Schwierigkeiten, vor denen eine Vielzahl von kritischen Arbeiten steht, die trotz einer schwer überschaubaren Anzahl relevanter Einflussfaktoren den Anspruch bewahren, Makrotrends einer gesellschaftlichen – neoliberal-kapitalistischen – Totalität zur Grundlage ihrer Analysen zu machen.

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