Rezension:
Ola Svenonius: Sensitising Urban Transport Security, 2011, Stockholm University &
Fredrika Björklund & Ola Svenonius: Video Surveillance and Social Control in a Comparative Perspective, 2013, Routledge
von Nils Zurawski, Hamburg
Warum zwei Bücher? Es ergibt sichaus dem Thema und dem verbindenden Autor, dass beide Arbeiten hier gemeinsam gewürdigt werden. Ola Svenonius hat 2011 bereits eine Doktorarbeit vorgelegt, die sich intensiv mit einem Vergleich der politischen Diskurse rund um die Videoüberwachung in Schweden, Polen und Deutschland beschäftigt. Ein ungewöhnlicher Vergleich, der nicht ganz zufällig ist. Vor allem ging es Svenonius darum der Anglo-amerikanischen Forschung, die im Bereich CCTV eine dominante Stellung einnimmt, andere Perspektiven entgegenzusetzen und gleichzeitig vergleichende Studien voranzutreiben, die seiner Meinung auf diesem Gebiet dringend notwendig sind.
Die Monographie ist entsprechend einer Dissertation umfangreich und sehr detailliert. Die Arbeit ist reich an grundsätzlichen Definitionen und Erwägungen, wie man neue Perspektiven einnehmen kann und welche Modifikationen man an bestehenden Ansätzen vornehmen muss, damit sie fruchtbar für eine weitere Diskussion bleiben. Vor allem geht es in dieser Arbeit um die Ansätze der Security Studies – Kopenhagen als auch Paris School – und deren mögliche Anwendbarkeiten auf die Surveillance Studies. Die Grundlage dafür ist eine intensive empirische Arbeit, die es mehr als verdient wahrgenommen zu werden. Theoretisch basiert seine Analyse auf der Idee des Regierens durch Emotionen, wozu er das Konzept der „Fantasy“nach Glynos und Howarth heranzieht. Deren Annahme ist die einer unfertigen Welt (nach Lacan), um dennoch eine Schließung zu erreichen müssen Phantasien oder Vorstellungen herhalten, die die logischen Lücken der Welt mit einer ganz eigenen Logik füllen können. Das allein verdient eine besondere Beachtung und ist für die Betrachtung von Überwachung ein interessante neue Sichtweise. Auf dieser Annahme baut Svenonius sein weiteres Vorgehen auf und führt den Leser in einer groß angelegten empirischen Tour de Force durch die drei Länder, die Diskurse der Sicherheit und macht an ihrem Beispiel deutlich wie sich hier die Fantasies of Security (S. 284) darstellen, wie sie entwickelt werden und welche Wirkung sie entfalten. Es ist keine Arbeit, die nach dem Sinn und Zweck von Videoüberwachung fragt, keine Statistik oder Antwort liefert, die aussagt, ob Kameras wirken – so wie es sich viele ihrer Aufsteller vorstellen. Die Unterschiede der drei Untersuchungsgebiete sind sehr aussagekräftig, vor allem wenn man die Ergebnisse vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Kultur der Länder betrachtet. Ausgerechnet in Polen, dem Land mit der kommunistischen Vergangenheit wird die Überwachung eher begrüßt und weit weniger angezweifelt als in Deutschland, einem Land mit der Vergangenheit zweier diktatorischer Systeme. Die Arbeit zeigt dabei sehr anschaulich wie die Fantasies of Security sich im Falle der Kameras von der nationalen hin zur urbanen Sicherheit verschieben. Gegenwärtige Stadtpolitik vergegenwärtigt diesen Wechsel sehr deutlich, mit Konsequenzen sowohl für das Stadtbild als auch für das Verhältnis der Polizei zu seinen Bürgern. Ein Buch reich an theoretischen Diskussion, intensiven empirischen Befunden und einer anregenden Debatte zum Thema Sicherheit. Wer wissen will, wie diese Sicherheitsphantasien im Einzelnen herausgebildet werden, wie sie funktionieren, findet in der Arbeit mehr als genug Material.
Wer es etwas kompakter mag, dem ist mit dem Sammelband von Fredrika Björklund und Ola Svenonius vielleicht besser geholfen. Dieser Band, erschienen in Routledges Studies in Science, Technology and Society-Reihe, ist durchaus als Spin-off der Doktorarbeit von Svenonius zu sehen. Er versammelt sieben Artikel, die fast durchweg vergleichend Kameraüberwachung untersuchen. Neben den beiden Artikeln, die sich grundsätzlich mit den Vorzügen der vergleichenden Forschung zu CCTV beschäftigten – und dabei sehr eng an die Doktorarbeit anschließen – gibt es einen der sich mit der Frage beschäftigt, ob es möglich ist, von einem europäischen Model der rechtlichen Betrachtungen von CCTV im Hinblick auf Privacy zu sprechen. Einmal mehr zeigt sich hierin wie schwer es ist diesen Begriff und die dahinter liegenden Konzepte kongruent zu bekommen – ganz abgesehen von der Frage, ob es sich bei Kameras in der Öffentlichkeit überhaupt um Privatsphäre handelt oder eher um eine Frage der Anonymität in der Öffentlichkeit.
Darüber hinaus enthält der Band vier Fallstudien, die aus anderen Perspektiven die Kameraüberwachung in Polen (Szrubka, Waszkiewicz), Deutschland (Töpfer) und Schweden (Loftsson) betrachten. Darin finden sich dann auch endlich Zahlen und die Beantwortung der Frage, ob Kameras tatsächlich effektiv sind (Waszkiewicz) – die Beantwortung dürfte denjenigen, die nach diesen Zahlen suchen, aber wieder nicht gefallen. Denn auch hier zeigt sich – und Waszkiewicz macht das deutlich – das die Frage eigentlich unglücklich gestellt ist und der Wunsch nach ihrer klaren Beantwortung durch die Wissenschaft mehr neue Fragen schafft denn alte beantwortet.
Beide Bücher sind lesenswert – die Doktorarbeit ist halt nur lang und intensiv, aber durchaus lohnenswert. Und sie ist online erhältlich! Der vergleichende Ansatz ist eine willkommene Ergänzung zur bisherigen Literatur, auch was die Untersuchungsgebiete mit ihrer anglo-nordamerikanischen Ausrichtung angeht. Inzwischen gibt es allerdings immer mehr alternative Studien, die zeigen, dass Videoüberwachung jenseits des Panopticons analysiert werden können, denn längst sind Kameras nicht mehr eine polizeiliche Maßnahme an sich, sondern Teil der Infrastruktur, Teil der Diskurse von Modernität, Sicherheit und dem Mangel, die Welt in Gänze zu erfassen. CCTV ist Teil eines sozialen Regimes, dass tief mit den jeweiligen politischen Kulturen der Länder verbunden sind, in denen sie genutzt werden, praktisch und diskursiv als Fantasies of Security.