Technik, Probleme, Sicherheit

Wenn Du glaubst, dass Technologie deine Probleme lösen wird, verstehst Du weder Technologie, noch Deine Probleme.

(Laurie Anderson im Zeit Magazin Nr. 35, 15.8.2024, S. 38.)

Die New Yorker Avantgarde-Künstlerin antwortet mit diesem Bonmot, in der Rubrik “was ich gern früher gewusst hätte” auf eben diese Frage.

Ich finde das Zitat bringt auf den Punkt, was Forschenden von Technik vor allem im Bereich der Überwachung (aber auch anderswo) immer wieder entgegenspringt, nämlich die Verbindung von Technik (sehr bliebt: Videoüberwachung oder Biometrie, oder beides in einem, usw.) dem Phänomnen der Sicherheit, welches als Gefühlt bei den Bürger:innen gestört oder zumindest beeinträchtigt ist und der Lösung eines oft sozialen Problems, wie ein unspezifische Kriminalität, Verwahrlosung öffentlicher Orte, dergleichen halt.

Wie komme ich da gerade jetzt drauf? Nun, in Hamburg wurden gerade am Hauptbahnhof mal wieder bzw. jetzt zum ersten Mal auch vor dem Bahnhof eine Reihe von Kameras (z.B. taz 14.8.2024, am 6.8.2024, NDR 14.8.2024) aufgestellt um der dortigen Lage Herr zu werden. Und zugegeben, der Hauptbahnhof ist kein Schmuckstück Hamburgs, ein Streit- und Problempunkt seit mehr als 30 Jahren, als Objekt einer städtischen Sicherheitspolitik seit den Wahlen 2001, als die SPD damals gegen CDU und den Rechtspopulisten Schill verlor – vor allem auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Ist es seitdem besser geworden am Hauptbahnhof? Schwer zu sagen, dazu müsste man ein Maß für die Qualität haben, das allgemeinverbindlich ist. Die Kriminalitätsrate ist sicherlich ein Indikator, andere wären aber die Architektur, die Menge und Dichte an Menschen, die an einem der besuchsträchtigsten Bahnhöfe Europas so aufschlagen.

Was hat das mit dem Zitat zu tun? Alles. Denn auch wenn die Verantwortlichen sagen, dass die die ausgeweitete Videoüberwachung nur „ein weiterer Baustein“ im Rahmen der „Allianz sicherer Hauptbahnhof“, zur „Verbesserung der Sicherheitslage und der Aufenthaltsqualität“ am Hauptbahnhof sei – so setzen sie bei der Bewältigung vor allem auf diese Technik. Der Verweis wird dann geführt mit dem Argument (eines von mehreren), dass diese Kameras abschreckend seien – wofür es empirisch kaum Beweise gibt, zumindest nicht an öffentlichen Orten. Dass die Polizei mehr sehen würde, stimmt, wenn sie die 27 Kameras dauer- und gewissenhaft überwacht und wenn KI selbstständig auffälliges Verhalten meldet. Was das sein kann und ob das an einem so belebten Ort zweifelsfrei erkannt werden kann, kann ich nicht sagen. Ich vermute aber dass es zumindest eine Herausforderung darstellt.

Was aber ist eigentlich das Problem am Hauptbahnhof? Sehr viele Menschen, eine große Unübersichtlichkeit in der Architektur des Bahnhofes und des gesamtes Areals vor, in und unter dem Bahnhof – eigentlich eine Katastrophe aus stadtplanerischer Perspektive. Dazu kommt eine Verelendung von Menschen, die sich dort aufhalten, weil dieser Ort des Transits klassischerweise der Aufenthaltsort ist für Menschen mit Drogenproblemen, ihre Dealer, Trinkerszenen, die Gestrandeten der Gesellschaft, u.a. auch angezogen vom DrobInn in der Nähe. Kameras, dass würde auch niemand behaupten hoffe ich, helfen nicht gegen diese Verelendung. Die Maßnahmen aber, wenn es sie gibt, werden selten so wirksam herausgestellt. Ob sie bei der (Wieder-)Herstellung eines mutmaßlich gestörten Sicherheitsgefühls helfen können oder nicht andersherum der Beweis für die eigentliche Unsicherheit des Ortes sind, ist eine offene Frage. Offen bleibt diese auch, weil das mit dem Sicherheitsgefühl sich nicht allein auf die Kriminalitätszahlen reduzieren lässt, dazu ist der Lebens- und Transitraum Hauptbahnhof viel zu komplex und mit ihm die Menschen, die sich dort bewegen, aufhalten, durchgehen, ankommen, arbeiten oder wegfahren.

Ist es ein schöner Ort? Leider nein. Das sind aber die wenigsten Bahnhöfe dieser Größe. Und eine Lösung habe ich auch nicht. Einfach Kameras aufzustellen und zu hoffen, diese lösen multiple Probleme mit dem Schwerpunkt auf Sicherheit, Ordnung und Kriminalität erscheint mir dann aber zu insgesamt zu kurzsichtig, wenn auch aus Sicht einer sicherheitsorientierten Innenpolitik folgerichtig.

Im Lichte des Zitats von Anderson wären für die Zukunft Technologie und Problem einmal genau zu analysieren und möglicherweise zu überdenken.

Anmerkung: Ich arbeite für die Polizei als Wissenschaftler, momentan mit einer Befristung bis Ende des Jahres. Ich bin mir bewusst, dass in der Polizei oder Innenbehörde möglicherweise mancher diesen Kommentar als Affront werten kann. Ob meine Weiterbeschäftigung davon abhängt, kann ich nicht sagen. Ich schreibe aber auch seit mehr als 20 Jahren zu Überwachung und habe mich hier deshalb gegen eine Schere im Kopf entschieden.