Lager – Knast – Panopticon

Bei netzpolitik.org fand sich schon Ende September ein Artikel mit dem Titel: Panopticon für Geflüchtete. Außer Titel kommt der Begriff Panopticon dann gar nicht mehr vor. Erst in den Leserbriefen wird er wieder aufgenommen. Die spärliche Verwendung ist gerechtfertigt, denn der Begriff ist kaum mehr als ein Hingucker in der Überschrift, weckt aber sofort entsprechende Assoziationen. Ist das sinnvoll, kann man sich durchaus fragen?

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von netzpolitik.org zu laden.

Inhalt laden

Die Verwendung des Begriffes Panopticon ist mittlerweile zu einer Chiffre geriert, die auf irgendwas mit Gefängnis, Lager, vor allem aber Überwachung hinweist. Ein Leserbrief versucht sich dann auch an einer längeren Erklärung und Einordnung:

Die Wikipedia definiert Panopticon als „Konzept zum Bau von Gefängnissen und ähnlichen Anstalten,[…] das die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen durch einen einzelnen Überwacher ermöglicht.“
Nun weiß ich nicht, ob das digitale Totalüberwachungssystem in den oben geschilderten FIL* tatsächlich komplett von einer Person bedient werden kann, ich vermute mal: ja, die eingesetzte künstliche „Intelligenz“ wird das ermöglichen.
Da es im usprünglichem Konzept von Bentham darauf ankommt, dass sich die Insassen jederzeit überwacht fühlen, aber die Überwacher selber nicht beobachten können, lässt sich die hier verwendetete Kameraüberwachung als moderne Variante des zentralen Überwachungsturmes lesen.
Kurz gefasst: meiner Meinung nach sind diese Einrichtungen ganz hervorragende Beispiele für eine moderne Umsetzung des Benthamschen Panoptikums.
Allerdings würde ich diese Einrichtungen dennoch nicht als Panoptikum bezeichnen, der Begriff ist ja nun nicht gerade Allgemeinbildung. Stattdessen würde ich, rekurrierend auf die von Minister Mitarakis erwähnten „gemeinsamen Ideale“, von Flüchtlings-Internierungs-Lagern sprechen.

Leserbrief unter dem oben verlinkten Artikel bei netzpolitik.org.

Zusätzlich zur Überwachung kam es Bentham vor allem auch darauf an, dass die Insassen durch diese Art der Überwachung zu sich selbst finden, zu einer Art innerer Einkehr, zur Besserung durch Normentreue. Die ständige Beobachtung sollte ihnen die Normen in Fleisch und Blut übergehen lassen, als eine Selbstdisziplinierung wie es später Foucault auf den Punkt brachte. Die Menschen, so Bethams Idee, sollten gebessert aus dem Panopticon herausgehen. Soweit die Ideen, die sich auch gegen die körperliche und geistige Verwahrlosung in den Knästen und Lagern zur Zeit der Entstehung des Panopticons bezog.

Die Idee und das Bild des P. ist allerdings seitdem verwässert worden und zu einem Sinnbild jeglicher Überwachung geworden – was schade ist, denn gerade die geschilderten Lager haben, so meine Lesart, wenig Interesse daran, was aus den Gefangenen wird. Das es da so “gut ” und neu aussieht ist eher dem Protest an den Zuständen in solchen Lagern geschuldet, nicht der Idee, diese Menschen zu bessern oder gar ihre Situation besser zu machen. Sie sollen nur nicht da rauslaufen können und möglichst abgeschoben werden. Es sind Verwahrstellen, die an den Menschen kein oder wenig Interesse haben (das mag im Einzelfall anders sein). Die Architektur als auch die Idee dieser Lager haben wenig mit den Ideen Benthams zu tun. In sofern ist der Title ein Hingucker, das Weglassen des Begriffs im Artikel konsequent.

Was für eine Ähnlichkeit spricht ist die totale Sichtbarkeit der Insassen, hier erziehlt durch den massiven Technikeinsatz. Kontrolle der Insassen also ja, eine weiterführende Beschäftigung mit ihnen und ihrer Lage eher nicht. Denn letztlich sind es auch keine “Besserungsanstalten”, also Gefängnisse im eigentlichen Sinn (wobei der Sinn der Besserung auch bei Gefängnissen arg in Zweifel gezogen werden muss), sondern Lager mit Unerwünschten.

Warum der Einwand? Weil im Zusammenhang mit Überwachung vieles immer gleich ein Panopticon ist oder sein soll – leider oft wo es nicht passt und der Betrachtung nur auf den ersten Blick zuträglich ist.