Über Identität und aktuelle Politik

Das Folgende ist ein Text, der es nicht in das Politische Feuilleton von dradio geschafft hat, den ich aber nicht in der Schublade verschwinden lassen wollte. Zur aktuellen Lage, ein soziologischer Kommentar:

Identität als Vorwurf und lose Hülse im Kampf der Kulturen

Vor 20 Jahren dichtete die heute zu Unrecht vergessene Hamburger Rap-Band Mastino folgende beängstigend aktuelle Zeilen:

„Oma klaut Handtasche von Sinti, der deutsch nicht kauft bei unserem Türken, der seine Kurden, für Deutsche ein Bergvolk, kühn bei Karl May, dort unten im Süden, Roma nicht Sinti, für Deutsche Zigeuner …

Erinnert an heute, oder?

Es ist der Anfang ihres Songs „Heimatfront“, in dem wohl auf die fremdenfeindliche Stimmung in Deutschland zu Beginn der 1990er Jahre Bezug genommen wurde. Dabei bewiesen die Musiker ein fast soziologisches Feingefühl, als sie sarkastisch und wütend den Irrsinn sezierten, den wir Identität nennen und mit dem wir uns heute wieder und intensiver denn je, auseinandersetzen müssen. Und schon damals wusste Mastino wie es würde, wenn die Ignoranz oder aber die Dummheit regieren wird:

….Kopf gegen Kopf Fuß gegen Hand Zahn gegen Zahn, jeder sein Land, Zunge gegen Kehle drücken Kehle zu, wenn alle tot sind dann ist ruh…

Muss es tatsächlich soweit kommen? Oder sind wir bereits dort? Identität ist allgegenwärtig und die Flüchtlingsdebatte davon vergiftet, Europas Länder suchen und finden neue und alte Formen der Identität, die sie gegen imaginäre oder tatsächliche Gefahren verteidigen müssen. Warum jetzt – hatte nicht die Kommunikationsrevolution des Internet in den 1990er Jahren, oder die kosmopolitischen Projekte EU und Globalisierung versprochen, dass genau diese Ursache von Krieg, Konflikt und Menschenfeindlichkeit keine Rolle mehr spielen würden?! Was wir aber erleben ist das Gegenteil, nämlich die Rückkehr von teilweise rückständiger Identitätspolitik in einem Ausmaß heftiger denn je.

Dabei besteht Identität doch eigentlich aus dem Mix reicher und vielfältiger Codes, ambivalenter Bezeichnungen, Selbsteinschätzungen und kulturellen Praktiken. Identität ist immer auch Zuordnung und gibt uns ein Orientierungssystem – momentan jedoch nur in Form sehr vulgärer Zuspitzungen, die vor allem ausgrenzen. Identität wird zum Vorwurf an den anderen, den Gegenüber, dessen eigene Identität nicht Bereicherung, sondern Bedrohung sein soll  – so wird sie vor allem zu einem Grund gegenseitiger Abneigung und irrationaler Politik. Einzelne Aspekte von Kultur werden zu pauschalen Attributen. Die Folge: eine Karikatur der Welt und ihrer kosmopolitischen Möglichkeiten. Aber offenbar unwiderstehlich anziehend.

Wenn von Identität die Rede ist, dann nur noch in Holzschnitten und groben Kategorien: Der Muslim ist… frauenfeindlich oder wahlweise gewalttätig, der Türke… ein Bauer, der Deutsche… aufgeklärt, säkular und blond, aber eben auch ein Rassist…  Nordafrikaner haben es nicht so mit Frauen und deren Intimsphäre … und so weiter. Nichts daran ist richtig, und alles hat irgendwie etwas mit Identität zu tun.

Selbstverständlich kategorisieren Menschen sich gegenseitig und das Miteinander der Kulturen braucht zur Verständigung gegenseitige Reflexion und Anerkennung solcher Stereotypen. Nichts wäre schlimmer als ein Kollektiv des ewig Gleichen. Eine kulturelle Vielfalt würde geleugnet und die Erkenntnis, dass Identität immer dynamisch ist, verliert ihre Gültigkeit. Identität sei unveränderlich, historisch eindeutig gar. Doch gerade das ist der große Irrtum. Jede Diskussion, in der Identität gerade ein Rolle spielt – sein es die Flüchtlinge, Europa oder die Frage des Deutschseins – muss hier scheitern. Identität ist gegenseitige Aushandlung, ist Flexibilität, Selbstüberprüfung, Reflexion. Immer.

Das mag kompliziert erscheinen. Doch gerade der vermeintlich einfache Weg ermöglicht es Gruppen erst sich hinter einer Idee, einer Flagge, oder der Abneigung anderer Identitäten zu versammeln. Diese Menschen verstehen nichts über sich selbst und verstecken sich hinter der obszönen Fratze einer Idee, die sie für Identität halten. Die Gefahr ist, dass es wie in dem Lied von Mastino endet:

Ich hänge an dem Seil, mit dem sie Flaggen hissen.

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