In 3 Etagen um die Welt

und nach England in der 11c

Eine Erinnerung von Nils Zurawski (2017)

Zum 125-jährigen Jubiläum meiner alten Schule, dem Kaiser-Friederich-Ufer-Gymnasium, habe ich diesen Artikel als eine Erinnerung an meine Schulzeit verfasst. Abgedruckt wurde er in der dazugehörigen Festschrift.

Erinnerungen sind so eine Sache, insbesondere an die Schulzeit, die in meinem Fall in diesem Jahr 30 Jahre zurückliegt. Zu erinnern gäbe es jede Menge, aber sind das auch die Dinge, an die sich Mitschüler erinnern, die zur gleichen Zeit wie ich, in den 1980er Jahren, auf das Kaifu gegangen sind? Und was war typisch für die Zeit? Was fangen heutige Schüler damit an? Nachdem ich ein wenig in meinem Erinnerungsschatz gekramt hatte, fiel mir ein Ereignis ein, Event sagt man inzwischen wohl, dass herausstand. Und das nicht nur bei meinen Mitschülern, sondern auch bei einigen Lehrern und vielen unserer Eltern, wie ich mir sicher bin.

Wie alle guten Geschichten hat auch diese eine Vorgeschichte. Im Sommer 1984 fuhren meine Mitschüler Frank , Sven und ich in den Sommerferien nach England, genauer nach Yorkshire in das Seebad Scarborough. Sehr englisch alles da. Wir sollten besser Englisch lernen, schöne Sommerferien haben und waren daher bei Familien untergebracht. Frank und Sven in der einen, ich bei den Nachbarn. Englische Arbeiterschicht, mitten im von Maggie Thatcher später niedergeknechteten Miners Strike – der sich auch im Revier Yorkshire auswirkte, nur wir bekamen davon nicht so richtig was mit. Scarborough war toll, wir waren von England begeistert, insbesondere von einigen seiner kulturellen und gastronomischen Errungenschaften: Pubs, Bier (auch wenn Guinness eigentlich irisch ist) sowie Fish and Chips. Ich pflege bis heute eine absurde kulinarische Liebe zu dem Gericht (und auch zu dem Land), ersteres halte ich hierzulande für völlig unterschätzt und fälschlicherweise für ungesund verdächtigt. Ob man auch Mars- oder Snickersriegel im gleichen Fett frittieren muss, ist eine ganz andere Sache. Ananas hingegen… Aber zur Sache.

Hier nämlich beginnt die eigentliche Geschichte. Irgendwann im auf diese Sommerferien folgenden Schuljahr gab es am Kaifu ein Schulfest unter dem Motto: „In 3 Etagen um die Welt.“ Wie ich mittlerweile recherchieren konnte, hat mein kunstbegabter Mitschüler und Freund bis heute, Dirk, das Plakat dafür gemalt, leider ist es nicht mehr erhalten. Begeistert von unseren Eindrücken auf der Insel, von den irren Daddelhallen am Strand von Scarborough, von den Pubs und der Kulinarik, konnten wir unsere Klasse und unseren Klassenlehrer Tammo Ricklefs, überreden, einen Pub zum Schulfest beizusteuern. Am Rande: Wir waren per Du mit „Tammo“, wie mit einigen anderen Lehrern auch … Gerfried (Gloyer), Konrad (Denoke), Harry (Wulf) … Das war in der Zeit einfach so.

Wir sammelten also in den Wochen vor dem Schulfest alle möglichen und unmöglichen Requisiten, die aus unserer Sicht in einen richtigen Pub gehörten. Dabei half u.a., dass mein Vater eine Werkstatt für englische Autos, insbesondere Minis (die alten) hatte, ich selbst Rugby spielte. So trugen wir englische Fahnen, Abzeichen, Rugbybälle, ein Video eines Rugbyspiels (Youtube dauerte noch eine Weile) eine Landkarte, einen Cricketschläger und andere Kleinigkeiten zusammen. Sven spielte Dart und seine Scheibe wurde an die Wand des Klassenzimmers geschraubt. Und wir dekorierten die Klasse mit Reisetipps und touristischen Werbeplakaten, sowie als Krönung ein selbstgemaltes Portrait des Prinzenpaares, das zwei Jahre zuvor eine rauschende Hochzeit gefeiert hatte: Prinz Charles und Diana (damals noch glücklich). Eine alte Schultafel wurde zur Theke, da man die umgekehrt und mit rechtwinklig gestellten Seitenflügeln prima als solche nutzen konnte. Eine draufgelegte Tischplatte komplettierte die Einrichtung. Zu essen gab es Kartoffelchips, in England: crisps, – ob wir Originale besorgen konnten, die in den kleinen Tüten, entzieht sich leider meiner Erinnerung. Außerdem machten wir Sandwiches, Toasts ohne Rinde, belegt mit Gürkchen, Cheddar oder Salami. Sehr einfach, aber für uns sehr Englisch. Fish und Chips gab es Mangels entsprechendem Equipment und zu großem Aufwand nicht. Dafür Bier, genauer Guinness aus dem Fass! 2 Mark für 0,3 L! Wir hatten eine Zapfanlage,. Guinness-Gläser und Untersetzer, waren damit also ein richtiger Pub.

Das Schulfest fand statt und es war überall irgendetwas los. Der Tag schritt voran und nach und nach schlossen die anderen Klassen ihre Attraktionen. Die kleinen früher, die großen etwas später. Wir nicht. Bei uns sammelte sich inzwischen nämlich eine illustre Runde von Schülern, unseren Lehrern und unseren Eltern, die den Pub zum Anlass nahmen, ganz entspannt in den Feierabend zu gehen und diesen in der Schule ausklingen zu lassen. Es wurde (zur Erinnerung: 1985!) im Pub (unserem Klassenzimmer!) geraucht, Alkohol getrunken, Dart gespielt. Es lief ein Rugbyspiel im Fernsehen im Hintergrund, wir bedienten unsere Eltern und Lehrer und nahmen richtig gutes Geld für die Klassenkasse ein. Als später am Abend das Bier zur Neige ging, die Party aber noch in vollem Gange war, besorgte mein Vater mit meinem besten Freund Ralf ein neues Fass Guinness. Sie fuhren in die Sternschanze und schwatzten dem Wirt vom „Frank und Frei“ (auch das gab es schon!) ein 50 Liter-Fass ab. Der Abend wurde lang, unsere Eltern und Lehrer fühlten sich wohl und wir hatten den Spaß unseres Lebens als Pubbesitzer und Bartender. Meiner Kenntnis nach hat keiner meiner Mitschüler oder Mitschülerinnen von damals seither eine Karriere in der Gastronomie gemacht, die Ideengeber auf jeden Fall nicht.

Von Tammo weiß ich inzwischen, dass der Abend ein Nachspiel im Kollegium hatte. Alkohol in der Schule? Muss denn das sein? Die Zigaretten waren bestimmt kein Thema, dazu war das Lehrerzimmer immer viel zu zugequalmt. Und die Beschwerden kamen ganz bestimmt auch nur von denen, die nicht bei uns waren und ein schwarzes Guinness getrunken haben. Ich bin mir sicher, dass so eine Aktion heute mindestens eine Konferenz der Schulversammlung, eine Beschwerde übervorsichtiger Eltern, eine kleine Skandalgeschichte im Lokalblatt oder ein Shitstorm in den sozialen Medien wert wäre. 1985 war es einfach ein guter Abend mit Eltern und Lehrern, der die eine oder andere Erinnerung wert ist. War es besser als heute? Nein, nur unsere Schulzeit in den 1980ern, wo manches einfach anders war.

Nachtrag im Juli 2021: Heute ermittelt die Polizei bei 15 spätabends in der Schule feiernden Lehrern wegen BTM-Vergehen, weil ein Joint rumgegangen sein soll. Lächerlich. Und es waren noch nicht einmal Schüler anwesend.