Nachtrag: Bericht des Surveillance Studies Network

BBC berichtet prominent über den Bericht unserer Kollegen aus England mit weiteren Informationen zu England und Datenschutz (dort gibt es auch den ganzen Report als pdf-Dokument). Wenn bisher nicht klar war wozu ein Forschungsnetzwerk gut war – hier ist ein Beispiel (siehe auch Handelsblatt, 3.11.2006)

Die kleine Zusammenfassung aller Ãœberwachungsmöglichkeiten zeigt verdichtet sehr schön, was eigentlich so los ist… ob das alles immer auch gleich bedrohlich zu bewerten ist, ist etwas anderes – aber dazu erforschen wir die Sache ja….

4.2m CCTV cameras
300 CCTV appearances a day
Reg plate recognition cameras
Shop RFID tags
Mobile phone triangulation
Store loyalty cards
Credit card transactions
London Oyster cards
Satellites
Electoral roll
NHS patient records
Personal video recorders
Phone-tapping
Hidden cameras/bugs
Worker call monitoring
Worker clocking-in
Mobile phone cameras
Internet cookies
Keystroke programmes

Labour träumt sogar von einer Megadatenbank, die vom Blutdruck bis zum Führerschein alle Personendaten zusammenführen würde. (Handelsblatt)

Bericht zur Ãœberwachungsgesellschaft

Zur jährlichen internationalen Tagung der Datenschutzbeauftragten, die in heute und morgen in England stattfindet, wurde auch der dazu angefertigte Bericht des Surveillance Studies Network vorgestellt (das englische Pendent des Forschungsnetzwerkes).

Der 140-seitige Bericht wurde von der Expertengruppe im Auftrag des britischen Datenschutzbeauftragten erstellt. Thomas sagte, die Datensammlungen könnten zum Schutz gegen Terroranschläge und organisierte Kriminalität nützlich sein. “Aber unkontrollierte oder übertriebene Ãœberwachungsmaßnahmen fördern ein Klima des Verdachts und zerstören Vertrauen.” Der Studie zufolge werden sich die Ãœberwachungsmaßnahmen innerhalb der kommenden zehn Jahre nochmals deutlich ausweiten. tagesschau.de (2.11.2006)

Die Autoren des Berichtes sind Wissenschaftler aus Großbritannien, Kanada und Norwegen – und haben den Surveillance Studies damit einen großen Dienst erwiesen. Bis wir hierzulande soweit sind, dauert das wohl noch….Eine Verknüpfung des britisch- internationlen Surveillance Studies Network mit unserem deutschen Forschungsnetzwerk wird in naher Zukunft stattfinden – zumindes auf der kommunikativer Ebene… dazu mehr wenn es soweit ist.

Der Verkauf des öffentlichen Raums

Da ich erst jetzt dazu gekommen bin die ZEIT zu lesen, bin ich auch jetzt erst auf das exzellente Dossier von Rainer Frenkel und Hanno Rauterberg aufmerksam geworden. Unter dem Titel “Innenstädte zu verkaufen” bzw. “Bunte Langeweile” (pdf des Original-Artikels9 beschreiben sie wie die Firma ECE (gehört zum Otto-Konzern) mit ihren Einkaufs-Centern und Malls die Innenstädte lahm legt, die Politik aushöhlt und zunehmend den öffentlichen Raum kontrolliert. Leider sind die Artikel nicht online, so das ihr das in der Printversion lesen müsst. Ein paar links zu dem Thema finden sich bei “Unser Braunschweig”, deren Betreiber sich kriitisch mit der Braunschweiger Kommunalpolitik auseinandersetzen – u.a. auch mit dem von ECE gemanagten Umbau des dortigen Schlosses.

Zum Stand der Ãœberwachungsforschung

Es muss nicht immer nur um Kameras gehen oder um den Datenschutz. Ãœberwachung ist mehr und das zeigt auch die Forschung dazu: Alkohol, shopping malls, Ãœberwachung an der Uni….
Das Journal Surveillance & Society ist gerade mit seiner neuesten Ausgabe erschienen.
Volume 4 (Issue 1/2): Open Issue + Special Section on Conflict. Eine Reihe sehr guter und interessanter Artikel – auch zu Kameras – aber vor allem zu anderen Aspekten des Beobachtens und Kontrollierens.

Nachtrag Hamburg: Kameras am Hansaplatz

Und die Welt legt am Montag noch einmal nach… Genauere Informationen zu den geplanten Kameras am Hansaplatz. Und wieder bleiben die Gründe und die Ãœberlegungen der Polizei im Dunkeln und bestenfalls ungenau… Das schafft – bei aller Liebe – kein Vertrauen in die Maßnahme, noch in das was die Polizei damit vielleicht wirklich bezwecken will… das Vertrauen der Bewohner von St. Georg wird sie damit nicht im Sturm erobern…

Eine Stadt wird gefilmt

..unter diesem Titel gibt es heute eine gut recherchierte Geschichte bei der Welt am Sonntag über die Videoüberwachung in Hamburg. Die Aussagen der Polizei zeigen, dass die Maßnahme Videokameras vor allem die Tendenz hat zu wachsen…. Immerhin haben die Autoren auch andere Stimmen (meine) gehört… ein Kommentar spare ich mir daher.

Hamburgs “jüngster Kandidat” für Kameras ist der Hansaplatz in St. Georg. Von der Kriminalitätsbelastung kommt er auf Platz zwei nach der Reeperbahn, Stoßrichtung ist somit die Bekämpfung von Verbrechen. Fallak kündigt an, dass Mittel bereitstehen und im Frühjahr mit dem Aufbau der Kameras begonnen werden könne.

“Das wäre nicht zweckdienlich”, sagt Zurawski, “wir haben Befragungen in St. Georg durchgeführt. Die Kameras können helfen, Kriminalität zu vertreiben. Ein Ort mit Videoüberwachung ist aber kein Ort, an dem sich Menschen gern aufhalten.” Die Bürger würden die Ãœberwachung zur Kenntnis nehmen, aber versuchen, den Platz zu meiden. “Wenn man dem Hansaplatz etwas Gutes tun will, und er soll ja wieder zum Zentrum eines lebendigen Stadtteils werden, dann lässt man ihn nicht überwachen.”

Nun doch mehr Kameras für Hamburgs S-Bahnen

Nach einem folgenschweren Vorfall in einer Hamburger S-Bahn, bei dem ein Mann starb, fordert Innensenator Udo Nagel nun einen flächendeckenden Ausbau der Videoüberwachung in Hamburg. Die S-Bahnen waren bisher nicht mit Kameras ausgestattet. Nach dem Vorbild der U-Bahnen sollen diese jetzt aber nachziehen. Der präventive Effekt wäre klar vorhanden – ob tatsächlich auch bei Affekttaten dieser Art, bei der die Beteiligten wohl auch noch alkoholisiert waren, ist dennoch fraglich.

Kameras hätten zwar voraussichtlich den Vorfall am Sonntagmorgen nicht verhindert, sagte ein Sprecher der Innenbehörde. Da aber wie in diesem Falle eine Tat häufig “von jedem anders geschildert” werde, könne eine Kameraüberwachung zumindest viel zur Ermittlung von Tathergang und Tätern beitragen. Der Senator könne jedoch nur appellieren, alle S-Bahnzüge und -bahnhöfe mit Videoüberwachung auszurüsten, da Bahn und Bundespolizei in der Verantwortung des Bundesverkehrs- und des Bundesinnenministeriums lägen. (Zeit 25.10)

Die Frage bleibt: Wann hören die Begehrlichkeiten auf. Nun sind die Nahverkehrsmittel sicher, dann kommen die Bahnhöfe, die Vorplätze, Straßen und alles weitere dran. Es wird keine absolute Sicherheit geben – aber eine lückenlose Ãœberwachung. Hilft das wirklich, oder ist es einfach nur politisches Getöse. Ãœber die tatsächliche Wirkung wissen wir nichts – die unsachgemäße Einzelfall-Empirie der Politiker kann und darf nicht als Ersatz für halbwegs ordentliche wissenschaftliche Erkenntnisse genommen werden.

Diese Reflex-Politik gibt es nicht nur in der Hansestadt, sondern auch im schönen Berlin oder am Main. Wie schön wäre es, wenn solche Sachen einmal gründlich durchdacht, mit allen durchgesprochen und dann umgesetzt würden – oder eben nicht. Stattdessen wird immer nur reagiert, das möglichst schnell und ohne gründliche Vorbereitung oder Ãœberprüfung. Zweifel wie hier in München sind selten – aber das wird wohl auch nicht viel nutzen.

Unterschicht und Ãœberwachung

Nun wird seit Wochen über die “Unterschicht” geredet und alle haben etwas dazu gesagt – nur hat noch niemand den Zusammenhang zwischen einer offensichtlichen Entwicklung von Armut in Deutschland (und auch anderswo) und den Maßnahmen der Kontrolle, Ãœberwachung und Disziplinierung gesprochen. Dabei ist es eigentlich offensichtlich, dass das Aufkommen immer effizienterer Kontrollregime, vor allem im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung oder im Falle des mutmaßlichen Missbrauches von ALG II, nicht nur zufällig sein kann. Die politische Klasse steuert entsprechend die Diskurse über die verschiedenen Arten der Ãœberwachung – und damit von den Feinden der Demokratie – die Terrordiskussionen sind ein willkommener Anlass andere Felder in einem Aufwasch gleich mit unter eine Ãœberwachung zu stellen. Angesichts der konstatierten Armut müssen Gegenmaßnahmen, sofern sie diese nicht bekämpfen können (oder ernsthaft wollen) auf eine Kontrolle und Einhegung der “Unterschicht” abzielen. Ein Aufbegehren dieser Menschen, wie in Frankreich im letzten Jahr und erst kürzlich wieder – wäre katastrophal.

Dazu passt auch dass jemand wie Bernhard Bueb, seine mittelalterlichen Vorstellungen von Erziehung ohne größere Gegenwehr (Radiobeitrag bei WDR 5) publizieren kann und teilweise dafür auch noch gefeiert wird.

Es wird zwar ein ausgedehnte Diskussion über die “Unterschicht” geführt, selten aber eine über die “Oberschicht” – allerhöchstens einmal über die Eliten, welche dann aber nicht zum Kern des eigentlichen Problems führen oder dieses nur verdecken. Wer über Armut spricht sollte auch über Reichtum sprechen – gerade wenn es um Ãœberwachung prekärer oder gar gefährlicher Bevölkerungsschichten geht. Denn es ist die Mittelschicht, welche die Unterschicht im Auftrage der Oberschicht überwacht – nur erscheint es nie so.

Ich würde mir wünschen, dass eine Diskussion darüber auch stattfindet. Es geht nicht allein um den Datenschutz oder unsere Freiheitsrechte, sondern um grundlegende Strukturen der Macht, die nicht thematisiert werden, welche aber deutlich hinter vielen Maßnahmen und politischen Entwürfen für unsere Gesellschaft stehen.

Chips für Flugpassagiere

Damit man auch auf dem Flughafen nicht ungestört seinen zumeist langweiligen und in der Regel zielgerichteten Tätigkeiten nachgeht, gibt es jetzt ein System, das die Flugpassagie bereits vor dem Flug überwachen soll. Könnte es sein, dass damit auch herausgefunden werden soll, was sie vielleicht mit der oftmals vielen freien Zeit so anfangen, um ihnen noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen….??
BBC und ZDnet berichten.

Nächsten Monat wird ein Prototyp auf einem Flughafen in Ungarn gestestet werden, wobei es in der Entwicklung noch verschiedene Hürden zu überwinden gibt. Es muss sichergestellt werden, dass Passagiere die Optags tragen und dass ein Austausch mit anderen Personen nicht möglich ist. Gleichzeitig dürfen Persönlichkeitsrechte nicht eingeschränkt werden, sagte Brennan. Anfänglich werden keinerlei personbezogene Daten gespeichert. Über die zukünftige Aufnahme biometrischer Daten wird aber nachgedacht.

Treffpunkt WissensWerte “Videoüberwachung”

TSB Technologiestiftung Berlin, rbb Inforadio und Technologie Stiftung Brandenburg laden ein zur Talkrunde “Kuck mal, wer da kuckt…! Videoüberwachung – technisch Machbares, gesellschaftlich Akzeptiertes und zukünftig Wünschbares” ,
23. Oktober 2006
18.00 Uhr
Ernst Reuter Haus, Str. des 17. Juni 112, 10623 Berlin.

Mit:
– Dr. Leon Hempel
Zentrum für Technik und Gesellschaft, Technische Universität Berlin
– Dr. Ivo Keller
vis-à-pix GmbH, Potsdam
– Dr. Michael Weber
DResearch Digital Media Systems GmbH, Berlin
– Prof. Dr.-Ing. Thomas Sikora
Technische Universität Berlin, Fakultät IV – Elektrotechnik und Informatik

Moderation: Thomas Prinzler, Wissenschaftsredaktion rbb Inforadio

“Jeder Mensch ist einmalig”: Biometrie meets Wellness

Mehr als bloß Sicherheit: Wohlfühlgarantie und Einmaligkeit. Die Firma byometric system ag, spezialisiert auf Iriserkennung, greift auf ihrer Homepage tief in die Esoterik-Jargon-Tasche, um ihr Sicherheits-High-Tech-Produkt zu verkaufen.

EINMALIGKEIT
Jeder Mensch ist einmalig. Seine Iris auch.
Wir haben gelernt, die Iris zu lesen, und haben aus ihr einen Ausweis gemacht. Fälschungssicher, unverlierbar.
Dieser Ausweis bietet Freiheit von Codes, Cards und Keys. Der Blick in eine spezielle Kamera genügt. Die Natur garantiert die Sicherheit.
Sich frei fühlen, sicher sein, sich selber finden. Jeder Mensch soll diese Chance haben. Denn jeder Mensch ist einmalig.

Das ganze wird illustriert von der Abbildung eines Mannes, der in schneeweißen (=”unschuldigen”) Klamotten im Lotussitz meditiert (mit geschlossenen Augen, übrigens). Auf seinem T-Shirt sehen wir ein grafisches Symbol, das man je nachdem als abstrakte Iris oder als Zielscheibe lesen kann. (Das wäre doch mal ein schönes Entgegenkommen sicherheitsbewußter Bürger: Wir lassen uns alle im nächsten Copyshop unsere Iris oder Retina stark vergrößert aufs T-Shirt drucken, damit wir auch über Distanz identifiziert werden können.)
Dass der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily im Vorstand der Firma sitzt, war Anlass einer Kleinen Anfrage der FDP im Bundestag (Drucksache 16/2716). Ãœber Bosch Sicherheitssysteme hat byometric einen größeren staatlichen Auftrag im Rahmen des Projekts “Automatisierte und Biometriegestützte Grenzkontrolle” erhalten.

Ergänzung (13.4.2007): Hier der Link zur Antwort der Bundesregierung auf die FDP-Anfrage.

Bericht: DGS-Tagung: Surveillance Studies

Am Dienstag fand in Kassel auf der DGS-Tagung die adhoc-Session zu den Surveillance Studies statt. Überrasschenderweise waren trotz 30 Konkurrenzveranstaltungen rund 30 Personen erschienen, wovon die meisten bis zum Ende geblieben sind. Nach meinen thematischen und programmatischen einleitenden Worten gab es zwei sehr interessante Vorträge von Gerrit Hornung (Kassel) und Stephan Humer (Berlin). Die anschließende Frage- und Diskussionsrunde war kreativ und engagiert.

Im Gegensatz zu anderen Surveillance-Sessions in Durban (ISA), Sheffield oder jüngst in London bei den Geographen, wo das Thema Surveillance Studies als solches nicht mehr einführend diskutiert wird, war hier das Interesse groß, zu sehen, worum es sich eigentlich handelt, was das Forschungsfeld sein kann und wie man es aus soziologischer Sicht füllen kann. Es wurde offensichtlich, dass ein thematischer Zugang und nicht eben ein disziplinärer einen großen Reiz hat – vor allem unter den zumeist jungen Zuhörern Zuhörerinnen. Unklarheit bestand über die Definition und Abgrenzung des Themas – wahrscheinlich auch weil die Idee für die meisten Anwesenden neu war und die wissenschaftliche Diskussion nicht bekannt. Ich denke wir haben mit der Session einen Nerv getroffen und hoffe, dass das Thema und der theoretisch-methodische Rahmen in irgendeiner Weise auch in der DGS fortgeführt werden kann.

Damit aber praktisch weitergearbeitet werden kann, möchte ich hier einen Vorschlag machen: Was wir brauchen ist eine Leseliste, die den Stand der Forschung reflektiert. Eine kommentierte Auswahl von Büchern und Aufsätzen, die wichtig sind, um auch hierzulande die Idee der Surveillance Studies voranzubringen. Dieses scheint mir vor allem in Hinblick auf die Idee, aber vor allem auf diejenigen wichtig, die sich neu mit dem Thema bzw. seinen einzlenen Aspekten befassen.

Ich nehme per mail oder Kommentar Vorschläge und Literatur-Tipps entgegen, was unbedingt in eine solche Liste soll und werde dann daraus eine fertigen, die hier dann veröffentlicht und diskutiert werden kann. Jede Auswahl sollte kurz begründet werden.

Die nächste Gelegenheit sich fundiert über den Stand der Surveillance-Forschung zu informieren, besteht am 30.11 und 1.12 in Berlin bei der New Surveillance-Konferenz des ZTG an der TU Berlin.