Category: Forschung/Theorie

Zwei neue Bücher zu Überwachung

Hier eine kleine Vorschau auf zwei Bücher zum Thema Überwachungstechnologien, die im September bzw. Dezember erscheinen sollen.

1. Rosol, Christoph
RFID. Vom Ursprung einer (all)gegenwärtigen Kulturtechnologie
Kulturverlag Kadmos, erscheint voraussichtlich im September 2007 (Titel kann vorbestellt werden) – ISBN: 978-3-86599-041-9

2.Sandro Gaycken, Constanze Kurz (Hg.)
1984.exe – Gesellschaftliche, politische und juristische Aspekte moderner Ãœberwachungstechnologien, transcript.
erscheint im Dezember 2007 – ISBN: 978-3-89942-766-0

Sofsky und die Privatsphäre

Wolfgang Sofsky, Soziologe und seit einigen Jahren schon ein zumindest interessanter Denker, hat sich seit einiger Zeit auch zum Thema Ãœberwachung und Kontrolle geäußert. Zuletzt am Sonntag in der FAS mit dem Essay “Im Innern der Zitadelle ist alles erlaubt. Moralprediger, Toleranzprüfer, Steuereintreiber: Sie alle greifen die Privatsphäre an. Dabei ist sie der Hort der Freiheit.”

Es sind alllemal interessante Gedanken und Perspektiven, mit denen er dass Thema Privatsphäre anpackt und so als Denker auch für die Surveillance Studies wichtig wird. Allein dass er Privatheit als solche wie eine Festung betrachtet, die es zu schützen gilt, ist zumindest in der Wortwahl eine andere Wendung und Sichtweise davon.

Wie jede Freiheit ist Privatheit zuerst negativ. Die Mauern sind Bollwerke gegen äußere Eindringlinge und innere Verräter. Sie werden verteidigt, indem man seine Geheimnisse wahrt, fremder Einmischung Schranken setzt, ein Glacis sozialer Distanz planiert. Der Privatier legt Wert auf Abstand. Weil Menschen jederzeit verletzbar sind, können sie einander stets gefährlich werden. In der physischen Konstitution des Homo sapiens findet Privatheit ihren letzten Grund.

Ist Paranoia also gut – und wenn ja, welche? Privatshäre bzw. ihre Verteidigung kann also durchaus verschiedene Gründe haben – ein Geheimnis bewahren, eine Verschwörung planen, seine Integrität schützen oder einfach nur in Ruhe gelassen werden. Es geht immer um das Private auf der einen und immer häufiger den Staat auf der anderen (und andere Akteure, die an unsere Daten und unsere Gedanken wollen).
Es kommt wenig aus deutschen Landen zu dem Thema auf den Tisch, dass nicht mit Datenschutz oder Recht zu tun hat, Sofsky liefert bestimmt eine andere Perspektive, die theoretisch neues Futter bietet.

Buch: Wolfgang Sofsky: Verteidigung des Privaten. Eine Streitschrift. 2007.

Kontrolle der Wissenschaften

Der Fall des Berliner Stadtsoziologen Andreij H. sowie zwei weiterer Personen ist nicht neu. Jetzt hat die Zeit ein Interview mit Hartmus Häußermann und den Hintergründen der offensichtlichen Justiz-Farce. Unterstützung kann auf der Webseite freeandreij bekundet werden – dort steht auch der offene Brief der Wissenschaftler zu dem Fall. Außerdem erhebt die Anwältin des Beschuldigten schwere Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft.
Nach dem fehlgeschlagenen Versuch dei Journallie einzuschüchtern, sind nun die Wissenschaftler an der Reihe – was immer an dem Fall dran ist oder wohl eher nicht – eine Unschuldsvermutung scheint unter den gegenwärtigen Sicherheitsdiskursen nicht zu gelten. Und ob Sympathiebekundungen oder einfach nur der Umstand, darauf aufmerksam zu machen, bereits für einen weiteren Verdacht reichen, wird sich in Zukunft zeigen.

Das Kritiker diverser Überwachungsmaßnahmen offen und durch die Blume von Politikern und anderen Wortführern bereits in der Vergangenheit mehrfach als Terrorsympathisanten bezeichnet wurden ist nicht neu, aber immer noch infam und obszön. Irgendwas scheint sie ja doch zu stören, auch wenn sie ansonsten die meiste wissenschaftliche Kritik eher ignorieren oder lächerlich machen. Jetzt aber wurde ein Schritt zu weit gegangen. Ich hoffe sie verlieren wie im Falle der Journalisten ebenso deutlich und der Richter macht sich schlau, welche Fremdworte so üblich sind in der Wissenschaft (Anarchie wäre wahrscheinlich auch so ein Reizwort) schaun mer mal wie der KaiserFranz sagt, wer oder was so als nächstes dem Sicherheitswahn und der paranoiden Angst der Ermittlungsbehörden zum Opfer fallen wird.

Kartographien der Macht

Sind zwar schon ein wenig älter, aber dennoch zeitlos gut – ein paar Blogeinträge von Rainer Rilling zum Thema Kartographie und Macht. In fünf Einträgen skizziert er die Bedeutung von alten und neuen Karten von Mercator bis worldmapper.org.

Dabei widmet er die Einträge den Aspekten Mapping, Staat, Wirtschaft und Countermapping. Der fünfte Eintrag gibt dann einen kleinen Überblick über ein bisschen Literatur. Und da Kartographie ein wesentlicher Bestandteil von Überwachung ist oder auch ihr notwendiger Gegenpart, sind diese Einträge hier ganz interessant und ein guter Beitrag für die Forschung von Überwachung und Kontrolle.

Als Aufsatz gibt es das ganze auch noch. Kartographien der Macht von Rainer Rilling

Puccini und das omnipräsente Auge

133,0.jpg(Foto: gefunden bei dradio.de)

Das soll keine Opernkritik sein, dazu verstehe ich davon zu wenig, aber beeindruckend ist das riesige Auge auf dem Bühnenbild der Tosca-Inszenierung in Bregenz schon. Der Ãœberwachungsstaat, das Thema Ãœberwachung, Beobachtung, verkörpert im überlebensgroßen Auge, hält Einzug in die klassische Musik – oder andersherum: Es zeigt wie alt das Thema eigentlich ist, jenseits von Kameras, biometrischen Pässen und dem Online-Trojaner (auch das ein Rückgriff auf die Geschichten der Antike).

Der Maler Cavaradossi ist ein Augenmensch, die Sängerin Tosca beobachtet, ebenso der Polizeichef Scarpia, der sich in die Primadonna verguckt hat und gleichzeitig seinem blutigen Folterwerk nachgeht.
Deshalb sehen wir, das gab es auch schon auf normalen Bühnen, statt der römischen Kirche San Andrea delle Valle nur ein fünfzig Meter breites und zwanzig Meter hohes Auge der Marchesa Attavanti, die Cavaradossi von einer Hebebühne aus als Magdalena malt. Big Sister schaut zu, doch keiner durchschaut sie, der Überwachungsstaat ist anwesend und doch wird hier Revolte versucht. (Die Welt, 20. Juli 2007, hier auch eine sehr schöne Bildergalerie)

So und ähnlich lesen sich auch andere Kritiken z..B. bei der Zeit, dem ZDF (mit Video) oder dem ORF. Für die Fensehübertragung im österreichischen Fernsehen wurden u.a. auch 7 Ãœberwachungskameras eingesetzt, die die CCTV-Ästhetik des modernen Ãœberwachungsstaates (oder was inzwischen zu dessen Ikone geworden ist) sehr schön umsetzen. Teilweise wurde wohl sogar ein viergeteilter Bildschirm gezeigt – mehr Kontrollraum geht nicht. Und wieder ist das Auge als Sinnbild benutzt worden – und es ist wohl auch eines der stärksten Bilder.

Wer Lust auf ein wenig mehr dazu hat, hier noch zwei Lesetipps:

Thomas Kleinspehn: Der flüchtige Blick. Sehen und Identität in der Kultur der Neuzeit. Hamburg 1989.
Martin Henatsch: Kunst im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit. In: Nils Zurawski (Hg). Surveillance Studies, Verlag Barbara Budrich, Opladen 2007.

Überwachung, Schäuble und die öffentliche Diskussion

Schäubles Äußerungen führen an allen Ecken und Enden zu heftigen Diskussionen. Auf einen Kommentar von Robert Leicht in der Zeit “Zu allem fähig” gab es bis jetzt ca 70 Kommentare, die in sich eine weitere heftige Diskussion wiederspiegeln.

Einer der Kommentare verweist auf einen Artikel von Naomi Wolf im Guardian: “Facsist America in 10 easy steps”.  Die Autorin selbst ist nicht ganz unumstritten (siehe Wikipedia hier und hier für einen Disput mit Camille Paglia), dennoch lohnt es sich mal einen Blick drauf zu werfen, denn es gibt auch einen Schritt, der die Ãœberwachung der Bürger dabei in den Vordergrund stellt.

Karten und die private Ãœberwachung auf der Biennale

Real Time Rome nennt sich das Projekt des MIT, welches als Teil der Biennale vorgestellt wird. Da sich darin auch Überwachungsaspekte finden lassen, wollte ich es nicht vorenthalten (von 2006 deshalb, weil es sich um den Architektur-Teil der diesjährigen Biennale handelt).

Real Time Rome is the MIT SENSEable City Lab’s contribution to the 2006 Venice Biennale, directed by professor Richard Burdett. The project aggregated data from cell phones (obtained using Telecom Italia’s innovative Lochness platform), buses and taxis in Rome to better understand urban dynamics in real time. By revealing the pulse of the city, the project aims to show how technology can help individuals make more informed decisions about their environment. In the long run, will it be possible to reduce the inefficiencies of present day urban systems and open the way to a more sustainable urban future?
IMG_5597.jpg Detail from Software 2. The yellow lines represent buses in real time and the red corresponds to density of people. Sep 2006

Es handelt sich dabei offensichtlich um Karten, mit denen eine Orientierung entlang ausgesuchter Faktoren erleichtert werden soll. Ob das schon Ãœberwachung ist, mag bezweifelt werden – sicher ist aber das solche Technologien sich sehr gut eignen, um zielgerichtet im Konsumbereich oder aber auch in der Kontrolle von Menschen bzw. Gruppen von Menschen gentutzt zu werden. Die Visualisierung über Karten schafft entsprechende Ãœbersichten und damit neue Wirklichkeiten durch Komplexistätsreduzierung – der Mensch als Datenbruchstück, in diesem Fall in der Rolle als Handybenutzer. Schön deutlich wird hier, wie über Karten Zeit und Raum verdichtet und in neue Zusammenhänge gesetzt werden kann und somit unsere Sicht auf die Welt beeinflussen und steuern kann.

Buch: Surveillance Studies – an Overview

Von David Lyon, einem der führenden Forscher zu Überwachung, ist gerade ein neues Buch erschienen:
Surveillance Studies. An Overview
bei Polity Press. Damit gibt es jetzt auch eine Einführung im Englischen zu diesem Thema. So weit sind wir in Deutschland noch nicht – eine erste Bestandsaufnahme gibt es allerdings in dem Buch Surveillance Studies – Perspektiven eines Forschungsfeldes, das von mir herausgegeben wurde. Mehr zum Buch, sobald ich es habe.

Follow-up: another two perspectives on surveillance

Maybe one should add another two perspectives on surveillance to the 21 proposed already.

  • 22: Corporate/standardizing perspective: Coporate control over markets is achieved by standardizing products, concepts and ideas, going as far as the standardization of genetic codes.
  • 23. auto-perspective: The inititiator of the surveillance practices is the object of any form of control, e.g. voluntary surveillance regimes initiatied by athletes to counter doping accusations.

Both perspectives raise a lot of questions as do the other 21, given that many are overlapping in form, technology, aim etc. But for the fun of it and the sake of scholarly progress, I believe this to be a good form to start a discussion.

21 Perspektiven auf Ãœberwachung

Andreas Albrechtslund hat eine informelle Taxonomie von 21 Perspektiven auf das Thema Surveillance zusammengestellt. Sicherlich ein interessanter Ausgangspunkt für Diskussionen:

  1. The Big Brother perspective
    Surveillance is a scary way for the state to intrude on people’s privacy. Currently, we are on a slippery slope towards a surveillance society.
  2. The control perspective
    Surveillance is a way to practice control over individuals or a group of individuals. Thus, it is a tool to exercise power.
  3. The care perspective
    Surveillance is a way to provide care for individuals, e.g. when parents take care of their children.
  4. The ethical perspective
    Surveillance changes the power and knowledge relations between people and, thus, the space for ethical action is changed.

Neue Ausgabe: Surveillance & Society

Die neueste Ausgabe von Surveillance & Society ist online: Surveillance and Criminal Justice Part 1.

Aus dem Inhalt:

  • Torin Monahan and Tyler Wall: Somatic Surveillance: Corporeal Control through Information Networks
  • Anthony Minnaar: The implementation and impact of crime prevention / crime control open street Closed-Circuit Television surveillance in South African Central Business District
  • William Bloss: Escalating U.S. Police Surveillance after 9/11: an Examination of Causes and Effects
  • Pete Fussey: An interrupted transmission? Processes of CCTV implementation and the impact of human agency
  • Amber Marks: Drug Detection Dogs and the Growth of Olfactory Surveillance: Beyond the Rule of Law?

Veröffentlichung: Online-Suche und Marketing

„Think of it first as an advertising system“: Personalisierte Online-Suche
als Datenlieferant des Marketings von Theo Röhle bei “Kommunikation und Gesellschaft”. Gerade erschienen und sicherlich für die Surveillance Studies und alle Interessierten lesenswert.

Suchmaschinen gehören seit langem zu den wichtigsten Werbeträgern im Netz und es wird mittlerweile offen zugestanden, dass die gezielte Vermarktung von Werbeplätzen sich zur Kernaufgabe der Suchmaschinenbetreiber entwickelt hat. Um dem Ruf nach relevanteren Suchergebnissen nachkommen zu können, binden neue Formen der personalisierten Suche immer weitere Bereiche des Nutzerverhaltens in den Suchprozess ein, gleichzeitig schaffen die gesammelten Daten aber auch die Grundlage für eine noch engere Verzahnung ökonomischer Interessen mit dem persönlichen Nutzungskontext. Mit Bezug auf aktuelle Theoriebildung aus den „Surveillance studies“ diskutiert der Beitrag die Rolle der personalisierten Suche als Bindeglied zwischen Nutzer und Werbung.