Category: Kultur/Kunst

Lesetipp: “Wir” von Jewgenij Samjatin

Der Roman “Wir” (1920) von Jewgenij Samjatin gilt als der erste Roman, der eine völlig überwachte Gesellschaft beschreibt.

Wir spielt im „Einzigen Staat“, einem Gebilde, das nach einem 200-jährigen Krieg und der „allerletzten Revolution“ entstand. Dieser Staat besteht aus einer von einer Mauer geschützten Stadt, die Häuser dieser Stadt besitzen Wände aus Glas. Heerscharen von „Beschützern“ wachen über das „Wohl“ der Einwohner, deren Leben bis zum kleinsten Handgriff reglementiert ist, über allen steht ein übermächtiger „Wohltäter“. „Nummern“ – gemeint sind Menschen –, die sich gegen diese „Fürsorge“ wehren, werden öffentlich hingerichtet. Der Einzelne zählt nicht, was zählt, ist das Kollektiv. Im Laufe des Buches wird unter anderem eine Gehirnoperation entdeckt, die das Fantasiezentrum im Menschen entfernt und somit Gedanken des Widerstandes unmöglich macht. (wikipedia.de)

Der Roman ist als Volltext im Internet (hier und hier)  erhältlich und, wer lieber Gedrucktes mag, in mehreren Übersetzungen auch als Taschenbuch.

all eyes on you

Auch wenn sich unter Ãœberwachungs-Forschern bereits eine leichte Müdigkeit ausmachen lässt, was das Thema Vidoeüberwachung angeht, – insbesondere die Frage nach der Präventivwirkung und den Folgen der Kameras ist ein wenig phantasielos – so haben es die Aktivisten und Künstler noch nicht völlig ausgeschöpft. Die Ausstellung hier scheint sich zu lohnen.

“all eyes on you”

ja alle blicke fallen auf uns und so werden wir tagtäglich, nicht nur von unseren mitmenschen registriert, sondern auch von vielen künstlichen “augen”.

das ausstellungsprojekt “all eyes on you”, das von sascha johne im rahmen des kultur-sommers rheinland-pfalz in mainz organisiert wird, mischt sich mit künstlerischen arbeiten, aber auch filmscreenings und einem poetry-
slam in aktuelle diskussionen um die nicht nur in “cool britannia” fortschreitende überwachung ein.

eröffnung: do. 4. juni
nacht der museen mainz: sa. 6. juni
filmabend: mi. 10. juni (citizen cam & faceless)
poetryslam: sa. 13. juni

ausstellung 5. – 20. juni
di.-do. 15.00-20.00
fr. 15.00-22.00
sa. 12.00-20.00
so/feiertags 12.00-18.00

altes weinlager/zollhafen mainz (in mitten des rheins, nähe kunsthalle und hafengarten)

Vortragsreihe: “Der neue Mensch”

Das Seminar für angewandte Unsicherheit [SaU] veranstaltet vom 4. Juni
bis 23. Juli eine Vortrags- und Filmreihe zur Kritik der
Lebenswissenschaften, Titel: Der Neue Mensch.

Dabei wird ein Bogen gespannt der von Gesundheitspolitik und Bevölkerungskontrolle über genetisch optimierte “Kriminalitätsprävention” und dem therapeutisch-medizinischen Umgang mit abweichendem Verhalten hin zu rassistischen Seuchendiskursen reicht.

Veranstaltungsort für die Vorträge ist das Centrum (Kreuzberg) in der Cuvrystr. 13-14, die Filme werden  in der Erreichbar, Reicheberger Str.  63a, 2. Hinterhof Keller gezeigt.

Der Eintritt ist  frei, die Vorträge sind barrierefrei zu erreichen, die Filme leider nicht.

Filmtipp: Duplicity

Firmenspionage, Mitarbeiterkontrolle – wahrscheinlich ging es auch so bei der Bahn und Co zu, nur nicht so unterhaltsam und mit so viel Feue wie in dem Film Duplicity.

Julia Roberts und Clive Owen brillieren in einem wirklich gelungenem Film, der aus aktuellem Anlass auch hier Erwähnung finden kann. Der eigentliche Skandal bei der Telekom, der Bahn oder sonstwo in der privaten Wirtschaftswelt ist, dass die Maßnahmen, über die wir uns so aufregen schon so normal sind, dass sie in einer mitreißenden Komödie zu Popularkultur werden. Also anschauen. Es lohnt sich, nicht nur unter akademischen und Überwachungsgesichtspunkten.

Schwarze Nächte in Hamburg

Da auch Detektive etwas mit Überwachung zu tun haben und Sherlock Holmes der berühmteste unter ihnen ist, ist auch diese Veranstaltung einen Tipp wert:

Am Dienstag, 19. Mai, 21 Uhr  findet die Premiere der Schwarzen Nächte
in der  Speicherstadt-Kaffeerösterei (Kehrwieder 5 – 5 €) statt. Der Abend steht unter dem Motto “Good Evening, Mr. Holmes” und ganz im Zeichen des größten Detektivs aller Zeiten, Sherlock Holmes.

Anlass ist der 150. Geburtstag von Sir Arthur Conan Doyle. – Mit dabei sind u.a. der Hamburger Kriminalschrifsteller Michael Koglin,
Eberhard Michaely – Saxophon

Weitere Info – www.schwarzenaechte.de

Autor J.G. Ballard ist gestorben

Wie es David M. Wood formuliert:

There’s only one piece of news that matters today: J.G. Ballard is dead.
Along with fellow ‘new wave’ science fiction writers like Brian Aldiss and Michael Moorcock, Ballard revolutionised the way British people saw ourselves, our present and our futures. He recognised that the real danger to society was not some distant dystopia, but a current and ongoing nightmare of consumer-driven ennui, a lethargic cultureless space of casual selfishness and lost ideals. Anticipating academics like Baudrillard and Marc Auge by some years, he saw the future in what Nairn called ’subtopia’: suburbs, industrial ruins, traffic islands, gated communities. He once said that the airport departure lounge was the apotheosis of western civilisation and its ultimate destination.

Der ganze Text steht auf seinem Blog notes from the ubiquitous suveillance society

Corpus delicti

Ich kenne weder das Buch, welches dieser Tage erscheint, noch das Theaterstück, was vor 2 Jahren uraufgeführt wurde. Zur literarischen Qualität kann ich also nichts sagen, aber das kann ich ja nachholen. Aber die Begeisterung (“Das Buch der Stunde”, die Zeit, 26.2.2009) über das von Julie Zeh gewählte Thema und die Umsetzung in einer Dystopie verlegt ca. 50 Jahre in Zukunft ist schon beachtlich., ja tut so als würde sie das Problem gerade als erste erkennen. Selbst für die Literatur tut sie das nicht, wohl aber als eine der wenigen Autoren der Gegenwart nimmt sie sich eines Themas an, welches – so sagen wir Wissenschaftler, Aktivisten und Datenschützer – seit Jahren heiß ist, welches aber nicht genut Beachtung findet. Erst wenn die Post, Telekom und die Bahn ihre Mitarbeiter beschnüffeln, dann regt es plöthlich alle auf – vorher wird uns Panikmache attestiert.

Wie auch immer. Es zeigt sich einmal mehr: Wir brauchen die Kunst, um auf Themen aufmerksam zu machen, die unter uns seit Jahren diskutiert werden, die keinem wirklich neu sind und dennoch keine Beachtung gefunden haben. Gesundheit und Hygieneideologien als faschistische Ansätze einer Kontrollgesellschaft werden schon länger diskutiert, das Verhältnis von Disziplin und Körper seit Jahren in den Seminaren zu und um Foucault und die Gesundheitskarte steht in der Kritik, wenn sie auch keiner hören will. Jetzt also ein Buch dazu, was gefeiert wird – ob es den gewünschten Effekt haben wird, bleibt abzuwarten – vielleicht kann Literatur dann doch nicht so viel.

Filmtrailer: Echelon Conspiracy

Der Trailer für einen neuen High-Tech-Paranoia-Thriller ist online verfügbar. In “Echelon Conspiracy” geht es offenbar um ein Handy im iPhone-Style, das alles weiß und alles kann. Wer es besitzt, knackt im Casino den Jackpot, vermeidet Flugzeugabstürze und kriegt die gutaussehenden Frauen. Der Nachteil: Man wird ständig beschossen, verfolgt, von U-Bahnen überfahren. Und eifersüchtig ist das Mobiltelefon auch noch. Schaltet man es ab, droht es mit freundlicher Stimme damit, einen umzubringen.

Internet Profiling als Doku-Film

Die Idee hört sich einigermaßen schräg an, und die Umsetzung erfordert einige Geduld und Hingabe, um sie zu verstehen. Aber es lohnt sich der Idee selbst nachzugehen und den Suchanfragen, die bei aol “verloren” gegangen sind – also die öffentlich wurden, nachzugehen und in ihrer Dichte darin so etwas wie Teile menschlicher Identität zu sehen, bzw. den Verrat der Privatsphäre, den jemand fälschlicherweise dachte zu haben, als er bei aol auch Suche ging – das gilt natürlich für alle Suchen überall und nicht nur für aol.

Und warum der Film I love Alaska heißt, weiß ich auch nicht sicher bis jetzt.

Ein paar Filmtipps…

Die Berlinale ist zu Ende  und einer der Preise geht an einen Film, der das Thema Videoüberwachung zumindest mittelbar zum Thema macht. Die Jury verlieh den Alfred-Bauer-Preis an Gigante von Adrián Biniez.
Dietmar Kammerer gibt im taz-Blog eine kleine Übersicht über Filme, die mit Überwachung und Kontrolle thematisch spielen und u.a. auch auf der Berlinale zu sehen waren und dann hoffentlich auch in das eine oder andere Kino kommen.

Eine Vollsimulation mit Schwedens Bevölkerung

Ich glaube man kann geteilter Meinung zu diesem Experiment sein, welches eine Menge Daten nutzt um Simulationen durchzuführen, die auch der Basis der gesamten schwedischen Bevölkerung basiert, sofern sie statistisch erfasst ist. MicroSim: Modeling the Swedish Population. (zum runterladen)

Es gibt dazu einen Koimmentar in einem Blog der wohl wohl zu dem Archiv an der Cornell University gehört, wo der Artikel erschienen ist, der sich eher kritisch zu dem Verfahren und der Idee insgesamt äußert. Die Frage ist, wie so ein Steuerungsinstrument noch genutzt werden kann und auf welche Ideen man mit diesen und anderen Daten noch kommt. Und wann die Simulation der Wirklichkeit vorausgreift bzw. diese dann zum Standard erhoben wird – social engeneering einmal anders und viel perfekter.