Author: Nils Zurawski

Dr. habil. Nils Zurawski, ist Soziologe und Ethnologe und Initiator des Forschungs-Netzwerkes Surveillance-Studies. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie als freier Mediator/Moderator/Konfliktberater. Hier gibt es mehr Informationen zu seiner Arbeit: https://www.surveillance-studies.org/zurawski

Die Anschwärz-App der Saudis

Unter der Überschrift “Saudische App gegen Meinungsfreiheit: Google und Apple reagieren nicht” berichtet der Deutschlandfunk über eine zweifelhafte App, mit der man als Bürger – wenn man das so nennen kann dort – andere Mitbürger melden kann. So weit, so erwartbar in Saudi-Arabien. Dass Goolge und Apple diese App in ihren Stores führen und weder einen Warnhinweis anbringen, noch sich verweigern, könnte man als Skandal sehen, ist aber auch im Normalbereich des Digitalkapitalismus, oder des Überwachungskapitalismus (Zuboff).

Auch bei Tagesschau zum Lesen: “Anschwärzen per App” Dass wenig Hehl darum gemacht wird, was mit der App beabsichtigt ist, wird in der Beschreibung klar.

Die App scheint auf den ersten Blick recht harmlos. In der Beschreibung heißt es: “Diese App soll jedem Bürger in Saudi-Arabien ermöglichen, die Rolle eines Polizisten einzunehmen. Zur Unterstützung der Behörden kann man Fotos, Videos oder einen Screenshot über die App einsenden.”

Parkraumüberwachung

Normalerweise bedeutet die Parkraumüberwachung in Hamburg, aber auch anderswo, dass Personal der Stadt oder Kommune rumlaufen und Falschparker aufschreiben. Das kann man gut finden oder sportlich sehen und mit Tricks versuchen sich dagegen zu wehren oder aber dagegen meutern und das für Abzocke halten.

Städte sind überfüllt, das Auto dominiert den öffentlichen Raum und sollte im Rahmen neuer Mobilitätskonzepte zurückgeschraubt werden, für mehr Demokratie im öffentlichen Raum, was dessen Verteilung und Nutzung angeht. Dass das nicht ohne Auseinandersetzungen und Verhandlungen darüber vonstatten gehen würde, wem der Raum, wann, wie und wozu gehört ist auch klar. Ob aber das Hamburger Konzept des Anwohnerparkens wie es gerade umgesetzt wird, der ideale Weg ist, muss bezweifelt werden. Und es sind nicht nur die mangelnden Regelungen für ortsansässige Handwerksbetriebe oder die Besucher (auch, aber nicht nur) älterer Menschen.

Problematisch ist auch, was beim NDR mit einer kurzen Nachricht bedacht wurde und mit der Technologie Scan Cars umgesetzt werden soll.

Projekt: Beyond Big Data

Die kanadischen Kollegen vom Surveillance Studies Centre um David Lyon haben zu ihrem Projekt Beyond Big Data Surveillance einen Bericht und ein paar Videos erstellt, die ihr hier euch ansehen könnt.

Beyond Big Data Surveillance: Freedom and Fairness, Surveillance Studies Centre

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Die anderen Videos findet ihr auf der Webseite. Das hier nur für den Einstieg.

Amazon und die “Wellness Chamber”

Ich bin erst kürzlich über diese Idee von Amazon gestolpert, sie ist aber schon ein Jahr alt. Ich kann nicht beurteilen, ob es sie inzwischen tatsächlich (noch) gibt, aber die Idee ist schon recht abenteuerlich und dann auch wieder typisch Amazon. Hier ein Bericht der BBC vom Mai 2021: Amazon offers ‘wellness chamber’ for stressed staff.

Was soll das aber genau sein? Eine Kammer mitten in einer der Amazon-Logistikzentren, in die gestresste Arbeiter:innen gehen können um für sich zu sein. Nicht größer als ein geräumiges Dixi-Klo, sind sie dort den Blicken ihres Arbeitgebers entzogen und können etwas für ihr “mental wellbeing” tun – so die Idee, vorgetragen vo der Einfinderin – siehe Video am Ende.

During shifts employees can visit AmaZen stations and watch short videos featuring easy-to-follow well-being activities, including guided meditations, positive affirmations, calming scenes with sounds.”

BBC, 21.5.2021

Gewinner:innen der Surveillance Studies-Preise

Die Jury hat aus ihrer Shortlist, die Preisträger:innen der diesjährigen Preisrunde ausgewählt. Den mit 1.000 Euro dotierten Preis teilen sich das Autor:innenteam Alexandra Ketterer , Marie Zinkann, Maximilian Henning mit einer Podcastserie zum Thema Biometrie in Europa sowie die Journalistin Eva Wolfangel und ihre Artikelserie zur Luca-App.

Eine lobende Erwähnung vergibt die Jury an die österreicheische Journalistin und Autorin Barbara Wimmer für ihre Artikelserie zu Überwachung am Arbeitsplatz.

Die Jury und das Surveillance Studies Forschungsnetzwerk gratulieren allen Gewinner:innen und bedanken sich bei allen Teilnehmer:innen für die Einsendungen, die es – wie die Shortlist u.a. zeigt – der Jury nicht leicht gemacht hat den besten Beitrag herauszufinden.

Eine detaillierte Würdigung von Autor:innen und Beiträgen findet ihr bei Telepolis: Am Ende führt die Luca-App doch noch zu einer Auszeichnung (18.7.2022)

Shortlist Surveillance Studies-Preis 2022

Die Jury hat etwas länger gebraucht in diesem Jahr – die Gründe sind sehr verschieden, haben aber hauptsächlich mit vieler Arbeit im nach-Corona-Jahr zu tun (wobei es wohl eher ein Zwischenjahr ist, aber das ist eine andere Geschichte…)

Diese acht Beiträge von einzelnen Autor:innen oder Teams haben es auf unsere Shortlist geschafft. Und die Auswahl fiel uns nicht leicht, denn es waren weitere sehr gute Beiträge dabei, in diesem doch sehr speziellen Feld. Die Entscheidung der Jury werden wir in der nächsten Woche bekannt geben. Drückt euch und den Shortlistern also alle Daumen.

Shortlist 2022 (alphabetisch)

Luxury Surveillance

Auf der SSN Konferenz in Rotterdam habe ich den Begriff “Luxury Surveillance” zum ersten Mal gehört. Ein weiterer schöner Begriff, um mit wenigen Worten die Welt auf den Punkt zu bringen, die Shoshana Zuboff mit ihrem Überwachungskapitalismus versucht hat zu beschreiben.

Und letzter war in vielen Beiträgen auf der Tagung in Rotterdam sehr präsent. Aber auch hier in Deutschland kommt mir Zuboffs Konzept immer öfter unter, insbesondere bei Studierenden und dem Nachwuchs. Das scheint einiges an Attraktivität bereitszustellen. Nun gut, darum soll es hier aber nciht gehen. Sondern vielmehr um das Konzept der “Luxury Surveillance”, das, so könnte ich mir gut vorstellen, zu einem stehenden Begriff werden könnte. Was steckt dahinter?

Die beiden Autoren Chris Gilliard und David Golumbia haben das Konzept in einem Artikel im Reallife-Magazin am 6. Juli 2021 vorgestellt: Luxury Surveillance: People pay a premium for tracking technologies that get imposed unwillingly on others.

Consumers of luxury surveillance see themselves as powerful and sovereign, even immune from unwelcome monitoring and control

Überwachung der Geheimdienste

Auf der SSN 2022 in Rotterdam habe ich vorvergangene Woche einige interessante Vorträge gehört und dabei einige Entdeckungen gemacht. Hier ist eine: das Forschungsprojekt Guard // Int, welches sich mit den Kontrollmöglichkeiten von Geheimdiensten in Europa beschätigt. Watching die verschwiegensten aller Watcher gewissermaßen.

GUARDINT is a European research project that examines surveillance, intelligence and oversight. The main goal is to build empirical and conceptual tools to better understand the limits and potential of intelligence oversight mechanisms.

Inside G20, eine Podcast-Serie

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von anchor.fm zu laden.

Inhalt laden

Inside G20, eine Podcast-Serie

Studierende des Journalistik-Studienganges haben eine Podcast-Serie zu den Geschehnissen rund um den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Insgesamt sind es sechs Teile, die bis Anfang Juli veröffentlicht werden.

Die Bilder von den Ausschreitungen beim G20 Gipfel in Hamburg im Juli 2017 gingen um die Welt. Genau fünf Jahre später blickt dieser Podcast hinter die Schlagzeilen von damals und fragt: Wie konnte sich die Lage derart zuspitzen? Welche Rolle spielte die linke Szene, welche Verantwortung tragen Polizei und Politik? “INSIDE G20” lässt viele verschiedene Stimmen und Perspektiven zu Wort kommen

Anonymität und personalisierte Subjekte

Die wunderbare Kollegin Renée Ridgeway hat eine Dissertation zum Thema The Personalised Subject vs. the Anonymous User vorgelegt, die frei abrufbar im Netz zum Download bereitsteht.

Renée war im weiteren Umfeld des Reconfiguring-Anonymity-Projektes und liefert mit dieser Arbeit weitere Einblicke und Erkenntnisse zum Thema Anonymität im Netz und in der digitalen Welt. Es geht um Google, TOR und eine Art von Autoethnographie im digitalen Raum. Lesenswert.

This thesis investigates how Google Search as a ‘media a priori’ organises (us)ers by first delving into how search worked in the past, engaging former European ‘address offices’ and human endeavours that attempted to ‘organise the world’s information’. It then explains how Google search developed during the last two decades, advancing an understanding that Re:search fuses two concepts: the Scientific Citation Index (SCI) for research, which in turn served as an inspiration for the PageRank of Google Search. Using my office at CBS as a site of data collection, I designed and carried out an ‘experiment in living’, searching with Google as the ‘Personalised Subject’ and with Tor as the ‘Anonymous User’, with the same set of chosen keywords. Whilst conducting ‘interviews’ with algorithms––invisible interlocutors––I collected data on myself and produced Re:search – Terms of Art. These ‘data visualisations as transcription’ reflect my search results based on ‘locative data’ (Google) or ‘off the map’ (Tor), and these ‘critical cartographies’ as practices of representation seek to intervene and give shape to the world by making invisible infrastructures more tangible. 

Big Tech und der Körper

Das sehr produktive Autor_innen-Duo Anna-Verena Nosthoff und Felix Maschewski haben (mehr oder weniger) gerade einen interessanten Aufsatz veröffentlich – den ich noch in Ruhe ganz lesen muss – mit dem Titel:

Überwachungskapitalistische Biopolitik: Big Tech und die Regierung der Körper, erschienen in Zeitschrift für Politikwissenschaft (online: 1.2.2022, und frei zum Download, https://doi.org/10.1007/s41358-021-00309-9)

Die Überwachung der Gesundheit

Public Health, die öffentliche Gesundheitsfürsorge muss notwendigerweise auch Mittel der Überwachung, Kontrolle oder Supervision haben, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Das wurde bei Corona sehr deutlich, wo spezielle Formen auf diesen Fall und Virus nur teilweise vorhanden waren und erst nachträglich, teilweise mehr schlecht als recht geschaffen wurden. Big Data war kaum ein Thema dabei.

Nun gut, die Überwachung der Gesundheit bzw. Gesundheit als eine Geschäftsmodell hat aber auch noch andere Dimensionen, die in dieser Doku bei Arte sehr gut beleuchtet werden. Sehenswerter Film, der eine weitere Dimension zu den ohnehin schon erschreckenden Mitteln und Möglichkeiten von Facebook hinzufügt.

Praxis Dr. Zuckerberg – Gesund mit Algorithmen?

Die Stiftung von Mark Zuckerberg will bis zum Ende des Jahrhunderts „alle Krankheiten ausrotten“. Der Chef von Apple behauptet, Apples wichtigster Beitrag für die Menschheit werde die Gesundheit sein. Den Fortschrittsdenkern aus dem Silicon Valley stehen zwar schier grenzenlose finanzielle Mittel zur Verfügung. Doch kann die Technologie in Zukunft wirklich den Arzt ersetzen? Wie verändert die Auswertung medizinischer Daten mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Medizin? Und was für Auswirkungen hat die digitale Medizin auf die Rolle der Ärzte? (aus dem Begleittext bei ARTE)