Author: Nils Zurawski

Dr. habil. Nils Zurawski, ist Soziologe und Ethnologe und Initiator des Forschungs-Netzwerkes Surveillance-Studies. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie als freier Mediator/Moderator/Konfliktberater. Hier gibt es mehr Informationen zu seiner Arbeit: https://www.surveillance-studies.org/zurawski

Überwachung klassisch

Eigentlich eine erschreckende Geschichte – dann aber wieder auch wieder nicht. Der Abhörskandal in Italien (tagesschau.de, siehe auch: Spiegel Online, 21.9.2006) zeigt die Verflechtungen zwischen privaten und staatlichen Stellen, der sich nicht auf diesen Fall und diesen Bereich beschränken dürfte. Hier ging es noch um eine klassische Überwachung bestimmter Personen, mit allen Mitteln moderner Technik – eine Kontrolle nicht möglich. Kontrolle staatlicher Stellen und aller anderen, die im Auftrag des Staates deren Aufgaben wahrnehmen muss bei allen Maßnahmen gewährleistet sein – nicht nur durch die Datenschützer. Die Vermischung von privaten und staatlichen Zuständigkeiten (FAZ, 21.9.2006), bei den Ordnungsdiensten, Datenverarbeitung und vielleicht auch bald bei der Videoüberwachung ist unschön und birgt jede Menge Gefahren- vor allem aber Ärgernispotential in sich. Italien ist da ein nur ein Beispiel, viellleicht auch gerade weil es Italien war…. oder doch nicht?!

Ausgerechnet der langjährige Sicherheitsbeauftragte des Telefonkonzerns, Giuliano Tavaroli, gilt als zentrale Figur des Skandals. Gemeinsam mit dem Privatdetektiv Emanuele Cipriani, dem ehemaligen Vize des italienischen Geheimdienstes SISMI, Marco Mancini, soll der leitende Telekomangestellte Telefone angezapft, Bankgeheimnisse geknackt und E-Mails heimlich mitgelesen haben. Geholfen haben dabei wahrscheinlich mehr als ein Dutzend korrupter Carabinieri und Finanzpolizisten – auch sie wurden heute verhaftet. (aus: tagesschau.de)

Und Italien steht doch nicht allein und nackt vor der Welt – in den USA (wo auch sonst) gibt es solche Thriller offensichtlich nicht nur in Hollywood, sondern auch bei Hewlett Packhard (Spiegel Online, 20.9.2006).

CCTV auf Sri Lanka

Auf der konfliktbeladenen Insel vor Indien hält jetzt auch moderne Technik zur Verbrechensbekämpfung Einzug. Die Diskussion, welche hier in Europa beinahe jede Kameras begleitet, scheint dort noch nicht angekommen zu sein. Noch wird in den Kameras ein Allheilmittel gesehen, um tatsächlich auch den tamilischen Tigern Einhalt zu gebieten, zumindest aber ihre Terroranschläge zu verhindern (!). Außer natürlich mit einer kompletten Überwachung der gefährdeten Gebiete… und genau so liest sich der Plan ein wenig….

CCTV Cameras to beef up Sri Lanka security:

At least two cameras will be fixed at each main colour light junction while some will be fixed at other secret locations. A group of specialists of the Katubedda Engineering faculty are assisting the police in this effort. According to the proposed plan all cameras will be connected to one network and all data collected will be linked up to a control room at the Colombo City Traffic Police headquarters in Fort. The cameras will record video pictures 24 hours daily and a special police team will monitor them round the clock. If anything unusual is recorded, immediate action will be taken by the officials to send a Police 119 Emergency Mobile Unit to the scene.

Mir ist nicht ganz klar welches Sri Lanka die Webseite eigentlich repräsentiert: Die Selbstbeschreibung lautet – ” Our aim is to unite all Sri Lankans around the globe and to be the foremost source for latest and hot news on Sri Lanka and Sri Lankans wherever they live.” Da es auch eine London Column gibt, nehme ich an, dass es sich um eine Diaspora-Seite handelt und als Repräsentationsfläche für bestimmte Inhalte genutzt wird – oder die es aus politisch-gesellschaftlichen Gründen überhaupt erst gibt.

Nachtrag zu den Kofferbombern

Stefan Fuchs hat nochmal einen kleinen Nachtrag zu den Kofferbombern und der daraus entstandenen Bahnhofsbomberhysterie in Deutschland geschrieben. Ich teile seine Einschätzung nicht, dass es sich nur um einen “dummen Jungenstreich” handelt – auch nicht, dass erst jetzt die goldene Möglichkeit erkannt wurde wieder einmal nach Maßnahmen zu schreien – das passiert auch schon nach weniger Aufruhr. Forderungen lassen sich nur nicht als Dauerfeuer politisch einbringen und verkaufen, obschon die Schlagzahl sich in letzter Zeit arg erhöht hat.
Der Anschlagsversuch war zwar dilletantisch, das macht es aber nicht weniger gefährlich – zumal diese Art von Tätern überall entstehen kann.

Zu den Tätern und ihren Persönlichkeitesstrukturen hat der Hamburger Journalist Dirk Laabs in der FAZ vom 17.9.2006 einen exzellenten Artikel verfasst: “Al Qaida No Limits” (Leider muss der normale Nutzer dafür zahlen – oder die FAZ aus dem Altpapier holen…)

Als unscheinbar und normal werden die meisten islamistischen Attentäter geschildert. Aber die These vom “unsichtbaren Schläfer” hat nie gestimmt. Schließlich isolieren sich die Attentäter mehr und mehr – und schlagen dann zu. In gewisser Weise entsprechen die Strukturen denen der deutschen RAF.

Karten zwischen Kunst und Manipulation

In der neuesten Ausgabe der Le Monde Diplomatique gibt es einen schönen und informativen Artikel zu Sinn und Unsinn von Karten, eine kleine Geschichte ihrer Manipulation und Verwendung. Online ist die französische Version “La cartographie, entre science, art et manipulation” von Philippe Rekacewicz.

Anlass des Artikel ist die neue Ausgabe des Atlas der Globalisierung (auch auf Deutsch erhältlich

Einleitung zum Artikel in der deutschen Ausgabe:

Der Kartograf und seine Welten
Der neue Atlas der Globalisierung von Le Monde diplomatique enthält über 200 Karten und Schaubilder von Philippe Rekacewicz. Der UN-Kartograf über Grenzen und Territorien, über Karten im Dienst von Machtinteressen und über die Kartografie als Kunst von Philippe Rekacewicz

Kameras verhindern nicht – aber stören auch nicht!?

Eine australische Studie zu Videoüberwachung zeigt abermals, dass die Kameras nicht zur Kriminalitätsbekämpfung taugen. Immerhin wird so etwas auf einer Webseite der Sicherheitsindustrie abgedruckt (Security Park).

CCTV used in applications such as street surveillance and critical infrastructure protection, require constant video monitoring by human operators – and therein lies a problem – deploying preventative action is only possibly if the operator sees the incident.
In a study issued by the US National Institute of Justice it was reported that after only 20 minutes of watching video monitors the viewing attention of operators quickly degenerated to a level well below acceptable standards. This and other studies highlight the fact that monitoring video screens has a dulling effect on the senses, which leads to distraction.

Gegen die Hysterie der Politiker hat sich auch die Bahn entschieden – aus welchen Gründen auch immer – und nimmt nur einige Verbesserungen der Kameras vor, nicht aber einen massenhaften Ausbau – weiß aber auch, dass Video-Überwachung ist den Bürgern lieb ist.

Am Bahnhof Erkner fällt das Urteil über die Video-Überwachung im großen und ganzen einhellig aus: die Bürger sind dafür und hätten auch gegen eine Ausweitung nichts einzuwenden. Marina Baumann aus Erkner indes kritisiert, dass ihr trotz der Überwachung auf dem Pendler-Parkplatz schon ein Fahrrad gestohlen worden sei. Andererseits hat sie Verständnis: “Die werden bei der Polizei ja auch nicht den ganzen Tag nur vor dem Bildschirm sitzen.” Mehr Sicherheit entstünde aus ihrer Sicht vor allem mit mehr Personal. “Die sollten öfter richtig hier langlaufen.” In Fürstenwalde sagt, zum Beispiel, Sandra Zeisig: “Mich würden Kameras im Zug und auf dem Bahnsteig beruhigen.”

Mein Eindruck, dass Videoüberwachung in den meisten Fällen eine Sicherheit verspricht, die sie nicht halten kann, bleibt bestehen – und wie die Überraschung der Frau zeigt – ist der Schock und das Ärgernis noch größer wenn dennoch etwas mal passieren sollte. Das Gezeter nach den nächsten Kofferbomben will ich mir erst gar nicht vorstellen.

Es geht auch anders – Widerstand gegen Kameras

Nordirland ist weitgehend aus den Schlagzeilen, der Konflikt – oder was davon übrig ist – nicht mehr so präsent in den Medien, daher sind solche Szenen hierzulande auch eher unbekannt: Irish Republican Media – Surveillance Cameras. (gefunden bei youtube).

Überwachung hat schon immer eine große Rolle in Nordirland gespielt – Kameras waren dabei bisher eher ein unbedeutenderer Teil. Dennoch speist sich ein Widerstand gegen Kameras und überhaupt jegliche Beobachtung durch den Staat in bestimmten Vierteln aus dem Verständnis der Bürger, welches sie von diesem haben. Und die Form des Widerstandes schließt auch an frühere Formen des Konfliktes an. Die Kameras hier stehen wohl in Ardoyne – einem Stadtteil von Belfast, u.a. Ort der Holy Cross Grundschule, die 2001 in den Schlagzeilen war. Ich empfehle keine Nachahmung, aber es gibt eben auch Menschen, die nicht lange diskutieren, sondern einfach mal machen.

Prä-natale Überwachung – ?

Auch wenn die Meldung schon ein paar Tage alt ist – Tony Blair steht offenbar so unter politischem Druck, dass ihm keine Idee zu blöde erscheint, sie in die Welt zu posaunen. England war schon immer bekannt als Nanny-state, der sich sehr “fürsorglich” und bevormundend um seine Bürger kümmert. Ganz besonders um jene, die aufgrund von Bildung, Klasse oder Einkommen dieses nicht selbst können. Nun hatte er eine weitere grandiose Idee: We can clamp down on antisocial children before birth, says Blair (Guardian 1.9.2006). Diese Simulation der Überwachung, einer Überwachung vor der Tatsache, zur vermeintlichen Risikokontrolle stellt sich bei genauer (oder auch nur flüchtiger) Betrachtung als perfides Instrument der Stigmatisierun, der sozialen Auslese und einer Klassenjustiz heraus. Menschen besitzen eben doch unterschiedliche Rechte auf Freiheit – abhängig davon, wie sie sich in der Gesellschaft behaupten könne bzw. sich gegen Übergriffe wehren können. Ein solche Maßnahme suggeriert Sicherheit und Intervention – wenn sie eigentlich ein widriger Eingriff und eine Farce der Fürsorge darstellt.

“If we are not prepared to predict and intervene far more early then there are children that are going to grow up in families that we know perfectly well are completely dysfunctional, and the kids a few years down the line are going to be a menace to society and actually a threat to themselves,” he told BBC News. There could be sanctions for parents who refused to take advice, he added.

Die Reaktionen blieben nicht aus – Guardian 4.9.2006 – aber eigentlich will Blair doch nur helfen… (Guardian 5.9.2006).

Thomas Pany hat die ganze Geschichte und die Hintergründe bei Telepolis noch einmal zusammengefasst.

Ideen in die gleiche Richtung bleiben nicht auf Britannien beschränkt, sondern werden auch von deutschen Nachwuchspolitikern geäußert, die damit den Ton verschärfen wollen und uns damit zeigen wie sie wirklich ticken: Kontrolle der Eltern bei der Verwendung des Kindergeldes.

Wenn der Staat schon Geld aufwendet für die Kinder, soll das auch dem Nachwuchs zugute kommen. So verlangt es der Bundesvorsitzende der Jungen Union (JU), Philipp Missfelder, und plädiert für Kontrollen, wie Eltern das Kindergeld verwenden. «Wenn es nachweisbare Indizien für Verwahrlosung gibt, muss nach der Verwendung des Kindergeldes gefragt werden», sagte Missfelder der «Osnabrücker Zeitung».

Wer entscheidet denn, wer wann verwahrlost ist? Herr Mißfelder persönlich? Ein fast unglaubliche Bevormundung und ein Eingriff in die persönliche Freitheit des Einzelnen.

Intelligente Videoüberwachung

In der Süddeutschen Zeitung schreibt Christiane Schulzki-Haddouti etwas zum Trend der intelligenten Videoüberwachung – nachdem nun die bisherige nicht ausreicht, um auch ein Teil der Anti-Terrordatei zu sein.

Aber kann diese Technik tatsächlich mehr leisten als die Täter im nachhinein dingfest zu machen? Das will das Bundeskriminalamt (BKA) demnächst mit einem Video-Gesichtserkennungsprojekt im Mainzer Hauptbahnhof herausfinden.

Ob das was bringen wird, oder nur wieder mehr Daten und Datenmüll erzeugt wird, bleibt abzuwarten.

Kameras helfen doch!

Na wer hätte das gedacht – Kameras helfen doch gegen Kriminalität.

In Mannheim ziehen die Stadt und Polizei eine positive Bilanz. Mich würde die Art und Weise der Evaluation schon interessieren. Mal sehen, ob ich da etwas rausfinden kann. Ansonsten bleiben wahrscheinlich nur so schöne Einzelfälle übrig, mit denen die Videoüberwachung generell gerechtfertigt wird.

Bei einem brutalen Überfall an einer Haltestelle konnte die Polizei das Leben des Opfers retten, weil sie sofort zur Stelle war. Die Täter wurden festgenommen, und die Kamerabilder gelten vor Gericht als klare Beweise. Fälle wie dieser wirken nach Einschätzung von Thomas Köber von der Polizeidirektion Mannheim abschreckend auf potenzielle Täter. Durch die Videoüberwachung sei die Polizei auch wesentlich schneller vor Ort.

… und ein Fazit, das dreister nicht hätte sein können.

Bei der Bevölkerung seien die Kameras größtenteils akzeptiert. Besonders jetzt nach den versuchten Bombenattentaten auf zwei Regionalzüge in Hamm und Koblenz seien die Proteste leiser geworden, hieß es.

Volkszählung 2010

Die nächste Volkszählung kommt bestimmt … voraussichtlich 2010/2011 und im EU-Rahmen. Anl. eine BMI-Presseerklärung zum entsprechenden Grundsatzbeschluss der Bundesregierung vom heutigen Tage.

Gruß

Helmut

Internetredaktion des Bundesministerium des Innern
Pressemitteilung
Publiziert am 29. Aug 2006

Themen: Europa / Internationales, Moderne Verwaltung, Innenpolitik

Kameras – ein taugliches Instrument?

Ein Kommentar im Hamburger Abendblatt (25.8.2006) verttritt die These, das Videoüberwachung ein taugliches Instrument im Kampf gegen den Terrorismus ist. Die Argumentation geht wie folgt:

In Deutschland heißt es, der Mann habe sich nach dem Druck durch die Öffentlichkeitsfahndung gestellt. Eins ist klar: Hätten die Ermittler keine Bilder vorliegen gehabt, hätten sie die beiden Tatverdächtigen nicht so schnell identifizieren können, wüssten vermutlich bis heute nicht, um wen es sich bei den Bahn-Bombern handelt. Die Videoüberwachung ist also bewiesenermaßen ein taugliches Instrument im Kampf gegen Terrorismus.

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll – aber gegen den Terrorismus haben die Kameras nun so gar nichts getan. Ich befürchte bei der ganzen Debatte werden viele Dinge verwechselt – nicht zuletzt weil sie nützlich ist, Maßnahmen durchzubringen, die ansonsten keine Mehrheiten hätten. Die Diskussion um Videoüberwachung geht also weiter – zumeist mit den bekannten Argumenten. Ein paar Beispiele:
Immer mal wieder gern gemacht – eine adhoc-Befragung (Spiegel Online)
Schäuble für mehr Videoüberwachung (d-radiokultur, 28.8.2006)
“Hamburg ist eine sichere Stadt” (HA, 25.8.2006)
Bitkom setzt sich für intelligente Videoüberwachung ein (Heise-News, 23.8.2006)

Von Kriminalitätsbekämpfung ist im Moment und auf absehbare Zeit wohl keine Rede mehr…