Author: Nils Zurawski

Dr. habil. Nils Zurawski, ist Soziologe und Ethnologe und Initiator des Forschungs-Netzwerkes Surveillance-Studies. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie als freier Mediator/Moderator/Konfliktberater. Hier gibt es mehr Informationen zu seiner Arbeit: https://www.surveillance-studies.org/zurawski

Na welch eine Ãœberraschung….

Niedersachsens Innenminister will die Videoüberwachung ausweiten – es reicht jetzt nicht mehr nur an den Kriminalitätsschwerpunkten, sondern auch in den angrenzenden Bereichen – na wer hätte das ahnen können. Und er glaubt auch noch damit ganz vorn zu sein bei der Kameraüberwachung – ein zweifelhafter Sieg, dessen Folgen und Konsequenzen vor allem was den Nachahmungs-Effekt angeht, jetzt schon abzusehen sind: Die Kollegen werden irgendwann dann auch mitziehen.

Mehr als Datenschutz?

Ãœberwachungsstaat oder nicht? Wohin gehen wir und wer mag das abschließend und vor allem empirisch bewerten? Angesichts eines Postings auf get-pricacy.info, in dem Peter Schaar für seine zugegebenermaßen manchmal eher weichen Äußerungen zum Thema Datenschutz, arg gescholten wurde. stellt sich mir die Frage, worum es überhaupt geht bei der Beschäftigung mit dem Thema Ãœberwachung. Und: Reichen die bloßen Hinweise darauf wie “böse” der Staat uind die Unternehmen im Umgang mit unseren Daten sind? Nein, das reicht lange nicht. Aber hierzulande wird das Thema Ãœberwachung hauptsächlich durch die Brille des Datenschutzes gesehen – oder als Widerstand gegen Videoüberwachung. Beides ehrenwerte und wichtige Themen, aber für eine wissenschaftliche und darüberhinausgehende gesellschaftlich relevante Beschäftigung mit dem Thema nicht genut. Ãœberhaupt nicht. Und dann reicht es auch nicht aus, als Datenschutz-Aktivist durch die Gegend zu laufen und anhand von ad-hoc Empirie zu meckern.

Forschung zu Ãœberwachung muss vielschichtiger werden, ohne das andere zu vergessen. Ein Telepolis-Artikel gibt zumindest eine Idee für andere Felder der Ãœberwachung und gesellschaftlichen Kontrolle, der sich in unserer Gesellschaft abzeichnen – eine Tendenz zu einer Gesellschaft des institutionellen Misstrauens u.a.. Allgemein ist das theoretische Niveau der Forschung nur teilweise vergleichbar mit dem der britischen und nordamerikanischen Forschung (vor allem Kanada). Hierzulande verändert sich das erst sehr langsam und in letzter Zeit. Für Anregungen und Ideen bin ich dankbar – auch für Diskussionen, die sich einmal mit konkreten Forschungen beschäftigen sowie anderen Aspekten als Datenschutz (der wichtig, aber nicht alles ist).

Eine Anregung zum Mitdenken und mitschreiben.

Härter Strafen und besser verwahren

Um einmal den Blick auf das zu lenken was auch zum Thema Überwachung und Kontrolle fällt, bietet der Hamburger Justizsenator eine gute Möglichkeit. Er will den Strafvollzug verschärfen, den offenen Vollzug zurückfahren und wieder mehr verwahren. Er spricht dabei von einem Schutzbedürfnis der Bevölkerung, dass eben so schwamming, wenn gar tatsächlich gestört sein mag, wie das vielbemühte subjektive Unsicherheitsgefühl im Falle der Videoüberwachung landauf landab.

“Wir haben einen Perspektivwechsel vollzogen und das Schutzbedürfnis der Bevölkerung als wichtigstes Vollzugsziel vorangestellt. Das alte Gesetz war zu täterorientiert”, sagte Lüdemann. Ein offener Vollzug werde es nur noch für Gefangene geben, die “deutlich zeigen, dass sie an einer Resozialisierung interessiert sind”, so der Justizsenator. Die abzusitzende Strafe dürfe dabei nicht höher als zwei Jahre sein. Außerdem müssten die Häftlinge “ausreichend dargelegt haben, dass sie nicht suchtgefährdet sind”. Opfer von Straftaten wiederum sollten das Recht haben, über Entlassungstermin und Vollzugslockerungen informiert zu werden. (NDR Online)

Mir schwant, hier sollen künftig gar die Opfer selbst wieder mit über Strafen und Vollzug bestimmen – das wäre eine fatale Abkehr von unserem Rechtssystem, die diese Art der Justiz aus gutem Grund dem Staat übertragen hat und nicht dem Mob. Die Tendenzen sind aber klar erkennbar, nicht nur hier, sondern auch in den Veränderungen der Strafen, des Straßmaßes und der oft vorrausschauenden Kontrolle, die Kriminalität am liebsten durch ein Verwahren auf Verdacht ausschalten würde. Das ist zwar eher strikte Kriminal-Soziologie, aber dennoch Teil von Ãœberwachung und Kontrolle jenseits von Datenschutz und Technologie. Kritiker sehen darin eher einer Verschlechterung der Haftbedingungen mit langfristigen Konsequenzen: ” Eine Verschärfung ist für die meisten Gefangenen schädlich”.

Die Karte der Terrorereignisse

Der Eintrag ist zwar schon ein paar Tage her, aber unter kartographischen Aspekten geradezu aktuell und herrlich. In Jochen Bittners Blog bei der Zeit habe es einen Link zur Global Incident Map, auf der terroristische Vorgänge, Ereignisse usw. auf einer Weltkarte festgehalten werden. Produziert wird die Karte von TransitSecurity.com, einer Organisation, die auf solche Vorfälle weltweit aufmerksam macht – vor allem im Verkehrs und Transportbereich. Allerdings wird mir nicht ganz klar wer dahinter steckt und welcher Zweck mit solchen Informationen verfolgt wird – allein das Gutmenschentum um unsere Aufmerksamkeit zu erhöhen kann es nicht sein.

Schön an dem Artikel sind die Kommentare und Bittners Klage über nicht zugedrehte Thermoskannen, die als Ereignis auf der Karte fehlen – ein Mangel den Alexander von wortfeld.de sofort behoben hat. Geht doch!.

Noch eine Zentral-Datei

Aus gegebenem Anlass, kommen jetzt wieder die Rufe nach einer Sexualstraftäter-Datei. Die Aufregung ist verständlich, doch ob die Konsequenzen auf allen Seiten immer mitbedacht werden ist fraglich – denn dafür hört sich das allles zu sehr nach Schnellschüssen und überstürzt an. Einfach mal machen. Vor allem Niedersachsen und Sachsen machen sich besonders stark für eine solche Datei. Es ist immer schwierig angesichts dieses Themas auch noch den Warner zu geben – und nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, ich wolle die Täter decken. Es geht um die Leichtgläubigkeit, mit solchen Dateien könne alles besser und in Zukunft solche Taten verhindert werden. Die weitreichenden Folgen von Zentraldateien werden selten richtig durch gedacht – auch wenn es sich in diesem Fall um ein augenscheinlich begrenztes Thema und Personenkreis handelt.
Der Sog von Technikgläubigkeit und die Begehrlichkeiten,die damit auch für andere Bereiche geweckt werden, sind die eigentlichen Aspekte mit denen sich die Öffentlichkeit auseinandersetzen muss – auch wenn es um das Thema Sexualstrafttäter geht. Insgesamt eine schwierige Kritik, die aber gerade deshalb umso nötiger ist und dringend geführt werden muss – nicht nur in den Blogs, sondern darüber hinaus – womit wir auch zum Thema öffentliche Aufmerksamkeit  kommen, das bei get-privacy vor ein paar Tagen diskutiert worden ist. Vielleicht sollten wir Blogger uns mal intensiver genau darüber unterhalten und dieses Problem diskutieren.

Neue Kriminalitätszahlen für Hamburg

55482v1.jpgAm Donnerstag gab die Hamburger Polizei die neuesten Kriminalitätszahlen bekannt. Wirklich überraschendes konnte nicht vermeldet werden. Die Zahlen sind seit Jahren rückgängig. Zur Videoüberwachung wurde dabei nicht viel gesagt – gleichwohl Senator Nagel diese wohl in der Pressekonferenz gelobt hat (und die taz das zum Anlass genommen hat darüber mal wieder zu berichten – ich durfte auch was dazu sagen… ). Im Abendblatt von Donnerstag wurde alllerdings auch vermeldet, das die Polizei sich nicht so sicher bei den Zahlen ist. Herr Nagel will trotzdem weiter ausbauen… Das Abendblatt veröffentlicht wie jedes Jahr auch wieder die Kriminalitätskarte von Hamburg – ganz nett, aber ob das wirklich hilfreich ist zu sehen, ob der eigene Stadtteil wirklich sicher ist, möchte ich bezweifeln. Unter Kartierungsgesichtspunkten und was die Bedeutung von Karten bei der Konstruktion von Räumen und Wirklichkeiten angeht, leistet diese hier einen zweifelhaften Beitrag.
Alles in allem ein nettes Ritual, dass aber keinem wirklich weiterhilft, solange solche unvollständigen und holprigen Statistiken präsentiert werden – nur mit Zahlen lässt sich eben doch nicht alles sagen.

Kanada schafft Anti-Terror-Gesetze vorläufig ab

Es geschehen ab und zu noch Dinge, die mich positiv überraschen:

Kanada verlängert den Anti-Terrorism-Act NICHT:

Mit 159 zu 124 Stimmen hat es das House of Commons des kanadischen Parlaments abgelehnt, den Anti-Terrorism Act zu verlängern. Das vor fünf Jahren beschlossene Bündel von Anti-Terror-Maßnahmen enthielt eine Auslaufklausel, von der jetzt Gebrauch gemacht wird.In den vergangenen fünf Jahren wurde kein einziges Mal von den erweiterten Befugnissen Gebrauch gemacht, die von dem Anti-Terror-Gesetz gedeckt wurden. Zu den Anti-Terror-Maßnahmen gehörte die Möglichkeit, Terrorverdächtige 72 Stunden ohne Anklage festzuhalten oder ihre Telefon- und Internet-Kommunikation ohne richterlichen Beschluss abzuhören.

Gelesen beim German Psycho.

Gefahr im Ãœberfluss

Frisch aus der Presse: Tobias Singelnstein und Peer Stolle in Jungle World. Gefahr im Ãœberfluss – ein Vorabdruck einer gekürzten Fasssung ihres Beitrages zum Buch “Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes”, das im März (also bald) erscheinen wird.

Ãœbrigens: Heute ist das Blog hier ein Jahr alt. Eure Meinung und Vorschläge zum Bisherigen und für die Zukunft nehme ich gern entgegen – wozu sind Kommentare sonst da…

Schnüffelei bei Journalisten verfassungswidrig

Als hätten wir es geahnt: Die Aktionen der Staatsanwaltschaft beim Magazin Cicero im Rahmen der BND-Affäre waren verfassungswidrig.  tagesschau.de berichtet umfangreich zum Urteil. Im DeutschlandFunk kritisiert Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung die immer schwieriger werdenden Recherchebedingungen durch zunehmende Überwachung und Geheimniskärmerei. Das Urteil stärke die Arbeit der Journalisten, so die Verleger und Redakteure einhellig.

Kameras verhindern keine Gewalt

Wie die Bundespolizei in Hamburg mitteilte, haben bereits am Sonntag drei Jugendliche, einen Mann auf dem Hamburger Hauptbahnhof niedergeschlagen und so lange auf ihn eingetreten, bis dieser zwischen S-Bahn und Bahnsteig auf die Gleise fiel. Die Beamten verhafteten die Jugendlichen. Soweit die Nachricht.

Jetzt zum Nachdenken: Wie lange dauert es bis man jemanden so zusammenschlägt, dass er in den Spalt zwischen Bahn und Steig durchfällt? Länger als ein Handtaschenraub allemal. Am Hauptbahnhof sind mehr als 100 Kameras aufgestellt (meines Wissens sogar über 150) – diese werden live beobachtet – auch um präventiv tätig zu werden. Was haben die Kameras auf dem Schirm gehabt, was die Operateure gesehen? Leider zeigt sich hier, dass Kameras nicht das halten, was von anderen versprochen wird. Dieser Vorfall dürfte als Gegenargument nicht viel wert sein, aber all denen, die bisher auf die Macht des omnipräsenten Auges vertrauten, kommen vielleicht doch Zweifel, ob die Technik für mehr Sicherheit sorgt – Abschreckung?: in diesem Fall Fehlanzeige. Ein Einzelfall? – vielleicht. Aber auch der ist für das Opfer nicht sehr tröstlich. Ein ehrlicher Umgang mit der Technik “Videoüberwachung” wäre endlich angebracht, echte Evaluationen, und eine Offentheit, die endlich sagt, wofür die Kameras tatsächlich da sind: Aufklärung, nicht Prävention, denn dafür gibt es keine stringenten Argumente und Studien.

Karten und das Verbrechen

Ist zwar schon ein paar Tage her, aber die Nachricht ist immer noch gut: In Baden-Württemberg plant der dortige Innenminister einen Videoatlas zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung. Darin enthalten: Möglichst alle vorhandenen Kameras im Ländle, gleich ob öffenntlich oder privat. Und auch nur so hat es einen Sinn, denn die öffentlichen Kameras reichen für eine mehr oder weniger lückenlose Ãœberwachung nicht aus – der Zugriff auf die vielen, vor allem bislang nicht-registrierten privaten Kameras könnte hier einen enormen Sprung nach vorn bedeuten.

Auch wenn es hierzulande noch nicht so verbreitet und bekannt ist: Kartierungen im Bereich der Kriminalistik sind der letzte Schrei und ein machtvolles Instrument – auch um Wirklichkeit zu produzieren und Wahrnehmungen zu steuern. Ganz vorn liegen dabei die Experten der Metropolitan Police in London, wo die deutsche Christine Leist “auf Verbrecherjagd” geht – eine relative unpassende Beschreibung, aber gut…. In Deutschland wird das GLADIS-System auf Basis der von ESRI hergestellten GIS-Software schon seit längerem benutzt.

Wie das Hauptstadtblog berichtet, gibt es auch in Berlin bereits Anstrengungen in diese Richtung, die an ein Projekt der EU anschließen. Für Hamburg macht sich eine Geographin in ihrer Dipom-Arbeit Gedanken zur Kriminalitätserfassung mittels Karten.

Wirklich gute Informationen gibt es beim National Institute of Justice, das für die USA Werkzeuge und Anwendungen zum mapping bereitstellt. Und noch mehr zum Thema gibt es beim Jill Dando Institute for Crime Science in Großbritannien.
Ob und wie effektiv die Karten und Verfahren tatsächlich bei der Kriminalitätsbekämpfung sind, müssen wir abwarten. Dass solche veröffentlichten Karten nicht ohne Wirkung für unser Verständnis der Wirklichkeit bleiben werden, steht schon jetzt fest. Ob sich darüber die Verantwortlichen bewusst sind, bezweifle ich. Spannend und interessant ist das ganze Thema auf jeden Fall…. und zum Ländle bleibt nur zu sagen: Was ein Schnappsidee – zumal das ganze rechtlich höchst bedenklich ist, weniger die Karten, als die ebenfalls geplante Nutzung aller Kameras durch die Polizei.