Author: Nils Zurawski

Dr. habil. Nils Zurawski, ist Soziologe und Ethnologe und Initiator des Forschungs-Netzwerkes Surveillance-Studies. Er arbeitet als Wissenschaftler am Institut für kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg sowie als freier Mediator/Moderator/Konfliktberater. Hier gibt es mehr Informationen zu seiner Arbeit: https://www.surveillance-studies.org/zurawski

Wieder mal die sprechenden Kameras….

Auch wenn es schon hinlänglich bekannt ist: In Großbritannien gibt es sprechende Kameras. Nun hat auch tagesschau.de dazu einen schönen Beitrag veröffentlicht – von einem Korrespondenten – mit dem Titel: Wenn Kameras mit dir sprechen….

Schön ist allerdings was Martin Zagatta (der Autor des Beitrages) noch so berichtet:

Vier von fünf Briten geben Umfragen zufolge Innenminister John Reid Recht, der die Kontrolle per Bildschirm befürwortet und solch “sprechende” Kameras nun an möglichst vielen Orten aufstellen will. “Das ist keine Geheimüberwachung, sondern ein öffentliches, interaktives System und so erfolgreich, dass eine Vielzahl von Kommunen im ganzen Land das nun auch einführen will – und wir fördern das mit Zuschüssen”, so der Innenminister. Und die britische Regierung feilt schon an Weiterentwicklungen. In London soll bereits ein Modellversuch laufen, mit Kameras, die mit Richtmikrophonen ausgestattet sind und Gespräche aus einiger Entfernung belauschen können. Forscher arbeiten an einem System, das Lippen lesen kann – und in Liverpool ist die Polizei dabei, bewegliche Ãœberwachungskameras auszuprobieren, die nahezu lautlos aus großer Höhe arbeiten, wie Miniatur-Hubschrauber aussehen und per Fernsteuerung gelenkt werden.

Das ist doch mal eine Perspektive, bei der man sich fragt wohin das noch gehen kann – der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt (siehe auch die fliegenden Kameras in Mailand). Hoffen wir, dass hierzulande zumindest die Gesetzte diesen Begehrlichkeiten noch ein wenig Stand halten.

Die hässliche Fratze der Ãœberwachung….

… zeigt sich derzeit an der Ostsee im schönen Heiligendamm. Nach monatelangen Vorbereitungen stehen sich jetzt Demonstranten und Politik gegenüber, getrennt durch einen Zaun und das juristische Gezerre um die Demonstrationen. Dazwischen: Die Polizei und der wie auch immer definierte “schwarze Block” der Demo-Hooligans.

Wurden im Vorwege alle Möglichkeiten genutzt, die vermeintlich ans Ziel führen könnten und dabei nicht immer auf die Verhältnismäßigkeit geachtet (und gleichzeitig die Stimmung angeheizt), so sollen jetzt einige Politiker die direkten Maßnahmen der Kontrolle im Konflikt mit den Demonstranten rund um den G8-Gipfel einsetzen, namentlich Gummigeschosse und die GSG 9.

Zum Glück halten das auch Polizisten und andere Leute, die Ahnung besitzen für Quatsch. Gummigeschosse sind nicht ohne Grund in fast ganz Europa verboten – berühmt geworden sind sie vor allem durch ihren Einsatz in Nordirland (während sie in Großbritannien verboten waren). Wer so ein Ding noch nicht gesehen hat, hier ein Bild (aus Wikipedia) zum Größenvergleich.
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Ebenso sind die Dinger in Israel beliebt – dort forden sogar Mediziner ihr Verbot. Also liebe Politiker, wenn ihr nicht wisst wovon ihr redet, dann haltet doch einfach mal den Schnabel und plärrt nicht jeden Unsinn gleich in ein Mikrophon. Vielleicht wäre eine Unterhaltung mit den Opfern der so “harmlosen” Gummigeschosse hilfreich – oder der Austausch mit anderen Menschen, die sich Gedanken darüber machen, wie solche Stimmungen auch zu vermeiden gewesen wären.

Was die Ãœberwachung nicht geschafft hat muss jetzt auf der Straße nachgeholt werden – so scheint es. Die vorrausschauende Kontrolle scheint doch noch nicht so wirksam zu sein wie sie sollte (dazu auch das Interview mit Gerhard Baum bei tagesschau.de)  Das ist gut so, auch wenn die eskalierende Gewalt von Heiligendamm, Rostock und anderswo mein Wohlwollen nicht findet (zu Gewalt und Berichterstattung gibt es auch einen lesenswerten Artikel bei Telepolis).

Jetzt auch fliegende Kameras

In Mailand, Italien werden künfitg wohl auch bewegliche, in der Tat fliegende Kameras, für Aufklärung sorgen. Der Corriere della Sera (4.Juni 2007) berichtet:

Helicopter-mounted cameras will monitor city streets and squares, seeking out unlicensed waste dumps and building sites. Drone-like devices with video game-style controls.

Hier findet nicht nur eine zusätzliche Überwachung Mailand statt, sondern es zeigen sich dabei auch Züge einer Militarisierung ziviler Kontrolle in einem urbanen Raum:

The miniature helicopter exploits same technology as drones, the pilotless aircraft used in military operations or for spying.The two units purchased by Milan’s city authorities will reinforce a system of video surveillance so extensive that it is comparable elsewhere in Europe only to London’s. In flight, the cameras are operated like a video game.In fact, the American Air Force is considering recruiting X-Box generation pilots who have spent years twiddling the controls of a game console.

In diesem Sinne… schöne Aussichten!

Telefonüberwachung gegen Doping

Seit die auch teilweise von mir geschätzten Radstars ihr Doping zugegeben haben – was dann auch nicht mehr wunderte – dreht die Politik und die Sportfunktionärselite komplett am Rad. Völlig aus dem Ruder zu laufen scheint aber mal wieder der Bundessicherheitsminister Schäuble. Wie in einem schlechten Reflext wärmt er offensichtlich bei jeder Gelegenheit eines seiner Lieblingsthemen auf – diesmal ist es die Telefonüberwachung.

Das Doping eine Reihe von Auswirkungen auf den Sport und die Gesundheit von Menschen hat, bleibt unbestritten, aber nur im Sinne einer Verfolgung der Täter zu drängen und von einem “ehemals” sauberen Sport (ganz allgemein) zu reden, ist einfach nur Unsinn. Schäuble selbst verteilt die Gelder an die Verbände, fein sauber nach Leistung und Medallienspiegel – und da werden ein paar Medaillien weniger bei einer Olympiade schon schnell zum Existenzkampf für Verband und Sportler. Und die Verbände haben sich bisher daher auch nicht sonderlich angestrengt, was den Kampf gegen das Doping angeht. Vielleicht sollte Herr Schäuble mal an der richtigen Stelle für Argumente suchen, statt auf allen Feldern und mit jeder billigen Ausrede die Ãœberwachungskomptenzen des Staates auszuweiten, wie er es in penetranter Weise seit geraumer Zeit tut. Was kann man die Uhr danach stellen. Bundeswehr im Innern – kommt auch bald wieder, keine Sorge.

Die wirklich zu diskutierende Frage wäre, müssen sich Hochleistungssportler – sogenannte Kaderathleten – eine andere, weitgreifendere Art der persönlichen Ãœberwachung zur Ausübung ihres Berufes gefallen lassen – ja oder nein? Gentests, Gesundheitsüberwachung und anderes als Teil des Berufes? Die Ansätze für eine solche Debatte sind vielfältig – Gesundheitsfürsorge, Kontrolle für einen fairen Wettbewerb, Kriminalisierung, Wirtschaftsmacht usw.

Hörspiel: Fake City Inc.

Am 3. Juni um 21.05 Uhr gibt es bei NDR Info das Hörspiel “Fake City Inc.” über Gated Communitites und die Privatisierung des öffentlichen Raums. Aus der Beschreibung:

Von New York bis München stehen die Städte vor dem Bankrott. Private Investoren gestalten nun die renditeträchtigen Innenstädte neu und verwandeln sie in Shopping-Malls und Business-Center. Der “New Urbanism”, der schon in Amerika für klinisch saubere “Gated-Communities” gesorgt hat, ist auch in der deutschen Hauptstadt angekommen. Doch in all dem neoliberalen Stadtumbau gibt es auch Bürger und Initiativen, die sich die Wiederaneignung des städtischen Raums als Lebenswelt zum Ziel gesetzt haben.

Ãœberwachung absurd?

Die Polizei und die staatlichen Stellen, die mit der Sicherheit rund um den G8 Gipfel beschäftigt sind, legen sich ins Zeug: Neben den üblichen Maßnahmen – Polizeihundertschaften (mit nie einlösbaren Ãœberstunden) vor Ort, Sicherheitszaun – verlegen sie nun die Kontrolle weit in das Vorfeld – und schüren damit Angst. Es wurden Geruchsproben von mutmaßlichen G8-Störern nach den den Razzien in Hamburg genommen, nun wurde Post in einem Verteilzentrum untersucht (siehe auch Die Zeit und den Kommentar von Christoph Seils ebenda).

Das gleichzeitig Schäubles und Zypries neues Passgesetz – das mit den Fingerabdrücken – verabschiedet wird ist sicher ein zeitlicher Zufall dieser Tage, aber nicht in der Gesamtschau, wo immer weitere Teile unseres Lebens einer Ãœberwachung und der vorrauseilende Kontrolle unter den Prämissen einer “gefährlichen” Welt ausgesetzt werden, passen diese Maßnahmen ganz vorzüglich. Und nur ein wenig weitergedacht, geht es doch bei den Passgesetzen auch um die Erfassung biometrischer Daten, kann ich nur spekulieren, welche Auswirkungen das neue Gewebegesetz haben wird, wenn es denn mit in die Betrachtungen der Ãœberwachung menschlichen Lebens zu welchen Zwecken auch immer mit einbezogen wird.

Es wäre besser, die Zusammenhänge würden uns nicht entgleiten – der Blick muss jenseits einzelner Kameras gerichtet sein, in der Presse, aber auch in der Forschung, wo zugegebenermaßen der Einzelfall zumindest den Ausgangspunkt für viele andere Ãœberlegungen eine empirische Basis legen kann.

Gericht verhandelt Hamburger Videoüberwachung

In dieser Woche verhandelt das Hamburger Verwaltungsgericht eine Klage von einer Anwohnerin der Reeperbahn, die sich durch die Kameras in ihrer Privatsspäre gestört sah. Die Kameras filmten offensichtlich ihre Wohnung im ersten Stock eines Wohnhauses. Die taz berichtete bereits letzte Woche über den Fortgang des seit längerem anstehenden Verfahrens, das nun auch vor Gericht verhandelt wird.

Arbeit zu Videoüberwachung – und wer forscht eigentlich was?

Nachdem eine Magisterarbeit zu Videoüberwachung nun auch bei jetzt.de vorgestellt wurde und seit einigen Wochen bereits im Netz immer wieder mal auftaucht, frage ich mich: ist das alles was es dazu im Moment gibt? Welche Ideen oder laufenden Projekte gibt es derzeit eigentlich, die sich im weitesten Sinne mit dem Thema Überwachung befassen?

Die Arbeit von Florian Glatzner ist ordentlich geschrieben und recherchiert, auch wenn es wenig eigene empirische Erkenntnisse gibt und die Arbeit hauptsächlich die (bürger- und datenschutz-) rechtlichen Aspekte aufgreift. Aber es geht ja auch um eine Magisterarbeit, da sollte man nicht noch drei Jahre lang  irgendetwas forschen müssen. Ein Kritikpunkt darf aber nicht unerwahnt bleiben: Zwar ist bereits im Titel die Rede vom “öffentlichen Raum” – dieser wird allerdings nur mit einem Satz besprochen. Videoüberwachung als räumlich orientierte Praktik, wird leider nicht in eine enger stehende Verbindung zu Raum gebracht – so als wäre dieser immer schon da. Und dabei schreibt der Autor von “Angsträumen” – ein idealer Ansatzpunkt, um Raumkonzepte wenigstens kurz zu erwähnen.

Aber zurück zur Frage: Was läuft in der Forschung in Deutschland im Moment zu Ãœberwachung oder was ist geplant? Ich weiß von drei recht unterschiedlichen RFID-Projekten aus Hamburg, die gerade beantragt werden und zwei weiteren zu Raum, Sicherheit, Kartierung und Ãœberwachung, die ich selbst vorbereite. Was noch. Schreibt es auf oder mir per E-Mail, ich würde gern mal eine Ãœbersicht erstellen und hier veröffentlichen…..

Auf Nummer sicher mit der Surveillant Assemblage?

Der Film “Auf Nummer sicher?”, der gestern Nacht im ZDR lief, war durchaus sehenswert, spannend gemacht und gut gefilmt. Thematisch spielte er mit Verschwörungstheorie, der Zukunft und der Macht der Konzerne sowie den naiv tuenden, jedoch gefährlichen Politikern, die im Whalkampf oder angesichts einer auf uns zurollenden Welle der Unsicherheit, die Masken fallen lässt. Nur ein Film?

Wenn man die Nachrichten der letzen paar Wochen in ihrer Gesamtheit betrachtet, die einfach so nur immer wieder als Einzelfälle aufreten, dann ergibt sich ein anderes Bild. Allein Schäubles immer wiederkehrenden Forderungen zeigen auch bei grober Betrachtung ein enormes Ausmaß. Die Zeit hatte ebenfalls eine solche Zusammenstellung aufbereitet. Komsich das mitten in diese Diskussion die Sicherheitswarnung für die US-Botschaften (Video) in Deutschland fiel – Zufall? Auch das G 8-Treffen, über dessen Sinn und Unsinn man treffend streiten kann, befruchtet vieler dieser Diskurse und wird in infamer Weise benutzt, die Diskussion äüßerst einseitig und tendenziös zu führen.

Was sich hier und auch in dem Film bei näherem Hinsehen zeigt, ist die von Haggerty und Ericson beschriebene Surveillant Assemblage – die Vernetzung von technischen Lösungen der Ãœberwachung untereinander und ihre Verzahnung mit gesellschaftlichen und politischen Diskussionen jeglicher Art – von der Gesundheit bis hin zur inneren Sicherheit. Nicht alles ist dabei in Bausch und Bogen zu verdammen, die Art und Form der Disskusion allerdings wird zunehmend von Politik und Industrie (wie RFID (ein Beispiel für eine Äußerung) und auch Videoübewachung) mitbestimmt. Die Zusammenhänge gehen leider allzuoft unter. Das wird auch nur leidlich besser, wenn man einen Film erst um 0.15 Uhr zeigt und nicht ein – bis zwei Stunden früher. All dem zum Trotz kann der Film seine Wirkung eigentlich nicht verfehlen. Also Glückwunsch. und ich hoffe es gibt den Film dann auch mal beim ZDF online abzurufen.

Veranstaltung: Gesellschaft unter Beobachtung

Die Grünen in Münster veranstalten in ihrer Diskussionsreihe “Digitale Welt – Chancen und Gefahren” eine Podiumsdiskussion mit dem Titel: Gesellschaft unter Beobachtung – TollCollect – Anti-Terrordatei, E-Pass”.

Ort: Münster
Zeit: 23. Mai um 19.00 Uhr.

Wer also in Münster oder Umgebung ist und Lust hat, ist herzlich eingeladen. Ob das ganze eine lohnenswerte Veranstaltung wird, hängt wohl auch davon ob, wer noch als Drittes zu dieser Runde hinzukommt – denn nur mit Gleichgesinnten zu diskutieren, macht nur halb so viel Spaß.

Nerd-Howto: Lobbyismus

Ich hab es gerade schon auf der Maastrix geschrieben, aber hier passt es auch hin:
Sehr gute Aufforderung und Anregung an alle IT-Spezis dieser Welt: Betreibt Lobbyismus.

Es gibt eine erstaunlich große Zahl von politischen Themen, über die man aktuell verärgert sein kann, wenn man sich mit Computern beschäftigt.

Meine Ärgerthemen der letzten Monate sind u.a.: Wahlmaschinen, Bundestrojaner, Vorratsdatenspeicherung, Software-Patente, Killerspiele, Mautdatenerhebung, Einschränken von Datenschutz und Bürgerrechten mit Totschlag-Argumenten wie “Terrorbekämpfung” oder “Schutz vor Kinderpornographie”.

Die Blogs sind voll von diesen Themen. Wir Computerfreaks, Informatiker, IT-Fachleute, Blogger, was auch immer, wir können uns wunderbar aufregen. “Wir wüssten es ja auch viel besser als diese blutigen IT-Anfänger in der Regierung!” Aber tun wir etwas? Selten. Nein, eigentlich nie. Meckern ist ja auch einfacher. “Es ändert sich ja doch nichts.” Und die großen bösen Interessenverbände, die machen Lobbyismus viel effektiver.

Doch was ist Lobbyismus schon? Es ist das konstante Erinnern an Interessen. Das Festsetzen guter Argumente. Die Aussaat von Zweifeln.