Rezension: Doping als Konstruktion

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Marcel Reinold: Doping als Konstruktion. Eine Kulturgeschichte der Anti-Doping-Politik. 2016 Bielefeld: transcript.

von Marcel Scharf, Köln

Die Dopingthematik scheint in Zeiten von Digitalisierung und zunehmend unkomplizierter Nachrichtenverbreitung ihr bisheriges Hoch erreicht zu haben. Täglich werden neue Nachrichten über positive Dopingfälle, weitere Belege zum systematischen Doping in Russland verbreitet und ein öffentlicher Diskurs über die Zukunft, Einfluss und Finanzierung der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) sowie der Nationalen-Anti-Doping-Agentur Deutschland (NADA) geführt.

Dass die körperliche Leistungssteigerung mittels technischen Fortschritts in Form pharmakologischer Substanzen seit Menschengedenken aktuell ist und die Anwendung im Sport ein bestehender Fakt ist, wurde historisch oft genug beschrieben. Neu ist hingegen, das ausgewählte Substanzen und medizinische Methoden im Sport verboten, überwacht, kontrolliert und sanktioniert werden. Seit den 1960er Jahren wurden im modernen Sport Praktiken der Überwachung und Kontrolle etabliert und weiter ausgebaut, mit dem Ziel eines „fairen“ und „sauberen“ Sports.

Marcel Reinold beschäftigt sich in seiner Arbeit Doping als Konstruktion – Eine Kulturgeschichte der Anti-Doping-Politik in sechs Kapiteln aus einer kulturhistorischen Beobachtungsweise im Wesentlichen „um die Bedeutungskonstruktionen, mit denen sportpolitische Akteure Anti-Doping-Politik betrieben haben“ (S. 92) und auf welcher sportpolitischen und naturwissenschaftlichen Basis sich das heutige Kontrollsystem entwickelt hat.

Gewappnet mit Reinolds Beobachtungsbrille wird die Arena des Sports betreten. Hierbei blickt er auf die historischen Ursprünge des Dopingbegriffes und gibt einen ausführlichen Einblick in eine Vielzahl nationaler und internationaler Quellen. Auf Basis ausgewählter Archivquellen werden die heutigen nationalen und internationalen Strukturen der Anti-Doping-Bekämpfung hergeleitet und geben erkenntnisreiche Rückschlüsse über dessen Entwicklung wieder. Neben sportpolitischen Einzelakteuren sind es Organisationen und Systeme, welche die funktionale Ausdifferenzierung des heutigen Doping-Kontroll-Systems und somit die Doping-Bekämpfung nachhaltig geprägt und beeinflusst haben. Die Konstruktion des Kontroll-Systems basiert rückblickend auf der Definition des Dopingbegriffs, welcher in den Anfängen des Sports noch intensional gehalten wurde. Erst durch eine Begriffsextensionalisierung ist es möglich geworden, Doping zu sanktionieren. Denn die pharmakologische Gabe und Einnahme ausgewählter Medikamente zur grenzenlosen und unnatürlichen Leistungssteigerung sollte unterbunden und verhindert werden. Schließlich galt es die Gesundheit der Athleten sowie die Werte des Sports zu schützen, die durch den Einsatz von Doping aufs Spiel gesetzt wurden. Hieraus formte sich eine moralisch-ethisch geführte Kommunikation, welche den anschlussfähigen Weg sportpolitischer und medizinischer Vorhaben und Entscheidungen ebnete. Neben dem Umgang, der Eingrenzung und Bekämpfung von Doping wurden die Grundlagen für die spätere Spezialisierung des Doping-Kontroll-Systems geschaffen. Wobei Athleten eine untergeordnete Rolle spielten und durch freiwillige Vereinbarungen zur Legitimation des Kontrollsystems beitrugen.

Die Implementierung von Analyseverfahren und Verbotslisten wurden in der Sportpolitik als wichtigster Baustein für eine effektive Doping-Bekämpfung kommuniziert und als elementar notwendig eingestuft, damit zielgenaue Sanktionen an den Dopingsündern ansetzen konnten. Alternative Anti-Doping-Strategien (Abschreckung, Verheimlichung, Relativierung, Idealisierung) zeigten im Gegensatz dazu nicht die erhofften Effekte, die Athleten vor Doping abzuhalten und/oder zu schützen. Somit konnte sich die noch anfangs als effektiv eingestufte Doping-Kontrolle und Analytik im Sportsystem etablieren. Denn durch das wissenschaftliche Entdeckungsinstrumentarium mit dem das Dopingkontrolllabor als neutraler Ort der Beweiskonstruktion avancierte, wurde ein intransparenter „Regelbruch dort sichtbar, wo er scheinbar am verlässlichsten festgestellt werden konnte, nämlich tief im Inneren der Athletenkörper.“ (324) Durch eine solch komplexitätsreduzierende und exkludierende Beweiskonstruktion konnte Doping ausschließlich entlang von Analyseergebnisse beschränkt werden. Auch wenn die zu Beginn vermeintlich effektiven Kontrollen nicht lange hielten was sie versprachen, nämlich Doping zu unterbinden, wurde weiterhin an ihnen festgehalten.

Das Fortschrittsversprechen der Dopinganalytik verwies stets darauf, dass das „was gegenwärtig nicht nachweisbar war, würde zukünftig nachweisbar sein.“ (327) Die Weiterentwicklung bzw. Konstruktion eines inzwischen komplexitätsgesteigerten Kontrollsystems, hat die Ausgliederung der WADA mitbegünstigt. Wobei die daraus entstandenen Folgeprobleme etwa in der Ausweitung von Überwachung und Kontrolle ein großes Maß an Unsicherheit mit sich bringt.

Das Überwachung und Kontrolle stets in den Kontext gesellschaftlicher Veränderung eingefasst wurden und werden, ist in einer sozialwissenschaftlichen, aber auch historischen Beobachtung erst einmal nichts Neues (Foucault, 1975). Somit nimmt der Sport und die Ausdifferenzierung bzw. Konstruktion des Doping-Kontroll-Systems im Gegensatz zu anderen Kontroll-Systemen keine historische Sonderstellung ein. Neu ist hingegen die Beobachtung dieser Konstruktion, die augenscheinlich und hauptsächlich durch Politik und Wissenschaft bedingt wurde. Inwieweit Medien, Wirtschaft und allgemein Gesellschaft einen Einfluss auf die Entwicklung und Etablierung eines solchen Kontroll-Systems hatten, bleibt in dieser Arbeit größtenteils unberührt oder wird nur beiläufig beschrieben. Es stellte sich aber die Frage, ob es sich nicht aus einer konstruktivistischen Perspektive anbietet den Blick zu erweitern? Denn sind es nicht die vielfältigen Verknüpfungen, welche die Konstruktion zu dem machen was sie ist?

Die Arbeit wählt in ihrer Beobachtung entgegen traditioneller geschichtswissenschaftlicher Arbeiten keinen atheoretischen Ansatz, dies darf als wissenschaftlicher Mehrwert bezeichnet werden. Wünschenswert wäre hier aber eine stringentere Theoriesprache gewesen, auf die in der Arbeit verzichtet wurde und stattdessen Fakten gekonnt aneinandergeknüpft werden.

Eine Ausweitung der Beobachtung sportpolitischer Kommunikation hätte aus methodischer Perspektive eine weitaus größere Quellensichtung erfordert. Der verwendete Quellenkorpus (i.B. Originalquellen) lässt eine weit- und tiefreichende Auseinandersetzung mit der Thematik erkennen. Aber die Auswahl hätte eben auch anders ausfallen können. Es darf gefragt werden, warum genau diese und nicht andere Quellen verwendet und ausgewertet wurden? Die methodische Herangehensweise gibt hierbei keine direkten Rückschlüsse, wenn von einem „kapitelspezifisch angepasste Analysegerüst“ gesprochen wird, dass sich durch einen „Prozess des Ausprobierens an den Quellen“ auszeichnet. (S. 37) Somit wird der Eindruck erweckt, dass die explorative Herangehensweise willkürlich gewesen sei und auch andere Inhalte hätten präsentiert werden können.

Wenn Theorie und Methodik nicht eindeutig nachvollziehbar scheinen, werden die „Bedeutungsdimensionen“ sportpolitischer Diskurse sowie historischer Fakten und deren Zusammenhänge verständlich aufbereitet. Durchaus handelt es sich um eine gehaltvolle Grundlage, die „im Unterschied zu den naturwissenschaftlichen Teildisziplinen der Sportwissenschaft (…) keine Technologien an[bietet], die sich einfach einsetzen lassen, um Probleme zu lösen und gewünschte Ergebnisse zu erhalten.“ (316) Jedoch werden neue und/oder bereits bekannte Informationen geboten und aufbereitet. Womöglich werden sich Inhalte der Arbeit in zukünftigen Diskursen wiederfinden und weitere Erkenntnisse hervorbringen.

Die dargestellten Fakten geben Rückschlüsse über die Genese und Legitimation einer Anti-Doping-Politik, welche ihren Beitrag zur Konstruktion des Doping-Kontroll-Systems geleistet hat. Die eingesetzten Quellen sind nicht im „Sinne des detektivistischen Aufspührens“ (316) zu verstehen, da es sich vielmehr um eine gelagerte Quellenauswahl handelt. Reinold trägt dazu bei, den historischen Prozess der Konstruktion von Wirklichkeit und deren erzeugten „Verfremdungseffekte“ bzw. Anschlussfähigkeiten innerhalb eines sportpolitischen Diskurses darzustellen. Hierbei schafft er es, latente „Selbstverständlichkeit und Gewissheiten hinter dem Schleier des Unhinterfragten“ hervorzuholen und „auf diese Weise sichtbar und thematisierbar“ (316) zu machen.

Die Arbeit erfüllt den Zweck ausgewählter Orientierungsinformationen, welche bereits bekannte und bisher unbekannte sportpolitische Zeugnisse und Ereignisse offenlegt, thematisiert und gemeinsam in Anschlag bringt. Für interessierte Leser, die sich mit der Dopingthematik aus einer historisch-sportpolitischen Perspektive auseinandersetzen, sei dieses Werk als Einstiegs- oder Ergänzungsliteratur empfohlen, da durch die Vielzahl von Quellen bekannte Probleme sportpolitisch hinterfragt werden und tendenziell zu einer Komplexitätssteigerung beitragen. Wer auf der Suche nach expliziten Informationen zu Überwachungsstrategien und Kontrollverfahren innerhalb des Doping-Kontroll-Systems ist, wird hier nur in Ansätzen fündig.

Referenz:
Foucault, M. (1975). Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Marcel Scharf, Köln

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