Month: Juni 2011

Visus Visere – Alles unter Kontrolle?

Hier ein Tipp für eine Ausstellung, die am kommenden Wochenende in München mit einer Tagung beginnt.

Visius Visere РAlles unter Kontrolle Р2. bis 31. Juli 2011 Рim kunstraum muenchen, Er̦ffnung am 1. Juli.

ALLES UNTER KONTROLLE?
Vortragsreihe: Samstag, 2. Juli 2011, 14:00 bis 19:00 Uhr

  • Dr. Nils Zurawski, Universität Hamburg, Institut für kriminologische Sozialforschung
  • PD Dr. Phil. Habil. Slavko Kacunko, Heinrich Heine Universität Düsseldorf , Philosophische Fakultät
  • Dr. Simon Frisch, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Philosophische Fakultät
  • Alexander Steig, Luxemburg

Privatsphäre, Fußballer und die Klatschpresse

Das Plakat habe ich von einem Kollegen aus Schottland – ein schönes Spiel mit dem Spielberg-Film anlässlich eines aktuellen Falles (Ende Mai) eines Streits um Privatsphäre im Informationszeitalter. Es geht um den Fussballer Ryan Giggs und eine Sternchen aus dem englischen Big Brother Container.

Konkret geht es um die Verletzung einer Anordnung (Super Injunction), die es der Presse verbat die Namen der in die Affäre verstrickten Promis zu nennen. Dann hat es einer doch getan und jetzt geht es um die Klärung wie es um den Schutz der Privatsphäre steht und ob man der Presse auf diese Weise den Mund verbieten darf.

Hier eine paar Artikel, die den Hintergrund erklären – für die, die den Fall nicht aktuell verfolgt haben

Schulen unter Beobachtung

Im Guardian vom 9.6.2011 steht eine ausführliche Geschichte zum Thema Schulen und Ãœberwachung – nicht nur in seiner klassischen Form der panoptischen Institution, sondern ganz praktisch durch moderne Technik und mit ganz neuen Ideen der Kontrolle, der Auswahl und des Managements von Schülern.

School surveillance: how big brother spies on pupils
Cameras in the toilets; CCTV in the classroom; pupils’ fingerprints kept in a database . . . Can’t happen here? Think again, because the surveillance state is quietly invading our schools.

Sensoren, Implantate, Fürsorge

Wo die Fürsorge aufhört und die Ãœberwachung anfängt ist oft schwer zu sagen – das Konzept der Ãœberwachung steht seit jeher in diesem Spannungsfeld. Zwei völlig unabhängige Nachrichten bzw. kleine Geschichten aus der Medizin lassen das wieder anschaulich werden. Das man Implantate (im Sinne von Prothesen) von außen erkennen soll, ist sicherlich hilfreich, wenn es um Notfälle geht – aber auch hier lassen sich mit ein wenig Fantasie die “gewanderten Funktionen” weiterdenken.

Ein anderes Projekt mit dem Titel Guardian Angels (NZZ, 1.6.2011) verfolgt ganz andere Ziele – letztlich geht es aber auch hier um die Kontrolle, sogar der Selbstkontrolle und um die eigene Fürsorge

Herr Hierold, was sind die Ziele des Pro jekts «Guardian Angels»?
Wir möchten Konzepte und Technologien für kommunizierende Netzwerke von winzigen Sensoren erforschen, die Personen sehr unauffällig dabei unterstützen, sich selbst und ihre Umgebung besser wahrzunehmen. Eine typische Anwendung liegt im Bereich des Sports: Die Sensoren könnten Blutdruck, Herzschlag und Bewegung messen und dem Träger darüber Feedback geben. Unser Projekt ist aber auch eine Technologieplattform für das Konzept «Zero Power»: Die Sensoren, die Recheneinheiten und die Bauteile für die Datenübertragung sollen so wenig Energie brauchen, dass sie von kleinen «Energiesammlern» mit Energie aus der Umwelt versorgt werden können – aus Bewegungen, Temperaturunterschieden und elektromagnetischer Strahlung, zum Beispiel Licht. Das System soll also ohne externe Energiequellen auskommen.

Was immer man von Doping, den Kontrollen und den durchaus vorhandenen Schwierigkeiten im Hinblick auf die Freiheiten der Sportler hält – hier böten sich aber in der Tat ganz neue Möglichkeiten der Ãœberwachung. Eine Lösung für eine schwieriges Problem – auch weil beim Doping im System Leistungssport nicht immer klar ist, ob es tatsächlich verfolgt oder manchmal auch geduldet wird?

The Digital Persona & Data Surveillance

Zwar ein älterer Text – aber durchaus lesenswert und vielleicht etwas für Leute, die Grundlegendes suchen oder historisch arbeiten. Gute Argumente gibt es nicht erst seitdem Ãœberwachung zum zentralen Thema unserer Zeit geworden ist.

The Digital Persona  and its Application to Data Surveillance von Roger Clarke (aus: The Information Society 10,2 June 1994)

Kontrolle des Urbanen Raumes

Eine Tagung über Akteure, Strategien und Topographien am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität

29. Juni 2011 bis 1. Juli 2011
Humboldt-Universität zu Berlin, Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum,
Geschwister-Scholl- Str. 3, 10117 Berlin

Die Konferenz thematisiert die Pluralität der Kontrollformen und Akteure des Öffentlichen Urbanen Raumes aus komparativer und interdisziplinärer Perspektive. Ziel ist dabei, neue Impulse für die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu geben.

Programm und Anmeldung :
http://raumkontrolle.wordpress.com/eine-seite
http://www.euroethno.hu-berlin.de/einblicke/aktuelles/veranstaltungen_content/tagung_kontrolle

Weitere Informationen
Dr.Eszter B.Gantner
Humboldt-Universität zu Berlin
Institut für Europäische Ethnologie
Tel.: 030 2093-3702
E-Mail: <mailto:stadtkon@hu-berlin.de>stadtkon@hu-berlin.de

Kunst und Ãœberwachung

Ich bin in den letzten Wochen auf verschiedene Künstler aufmerksam ge (macht) worden, die sich auch mit Überwachung beschäftigen.

Der Deutsche Alexander Steig nutzt vor allem Kameras, um sich mit den Fragen auseinander zu setzen, –> ResPublica.

Zu seiner Arbeit gibt es auch informatives Interview beim SWR, welches auf den Seiten des Kunstvereins Trier zu hören ist.

Weiterhin der britische Künstler Stanza – dessen Arbeiten sich mit allen möglichen Themen beschäftigen, u.a. auch immer wieder den Gebrauch von CCTV.

Und schließlich der Amerikaner Michael Naimark, dessen Arbeit Camera Zapper ich hier hervorheben möchte – Gegen-Ãœberwachung mit praktischer Anleitung.

Noch ein EU Projekt zu Datenschutz und Ãœberwachung

Manchmal scheint es, als wäre Forschung zu Ãœberwachung nur noch durch die anwendungsbezogenen Programme des BMBF und der EU möglich. Das wäre in der Tat schade und kontraproduktiv – wenn es sich denn darauf beschränken würde. Hier ist ein weiteres interessanes Projekt, welches gerade gestartet wurde: SAPIENT.

“If ‘collective security’ demands the surveillance of all movements and all telecommunications and collecting the fingerprints and DNA of everyone living in the EU, there can be no individual freedom, except that sanctioned by the state,” says Michael Friedewald, head of the ICT research unit at the Fraunhofer Institute for Systems and Innovation Research (ISI) and co-ordinator of the project. “EU policy should not foster the gradual move towards a surveillance society. We recommend that before public or private sector organisations adopt any new surveillance system, they should perform a technology and privacy impact assessment of the proposed  system.”

Mehr Infos findet man sicherlich auf den Seiten des Fraunhofer ISI Instituts.

Ob dieses Projekt tatsächlich dazu führt über Technologien anders nachzudenken, bleibt abzuwarten. Ohne den politischen Willen zur Implementierung solcher Verfahren in Gesetze, bleibt alles wirkungslos. Was tatsächlich fehlt ist mehr grundlegende Forschung zu Fragen von Überwachung und Kontrolle in unseren Gesellschaften, zum Umgang mit Technik, zur Ideologie der ewige Un/Sicherheit sowie zum Zweck und den oft auch nicht erklärten Zielen politischer Maßnahmen, jenseits von Datenschutz und Privatsphäre. Denn die Surveillance Studies, wenn wir denn davon reden wollen, haben mehr zu bieten als darauf zugespitzte Fragen.

Den Frosch verjagen!

Richtigstellung (I): Eine der beliebtesten und hartnäckigsten Redewendungen in der Diskussion um Datenschutz, Bürgerrechte, Überwachung usw. ist bekanntlich die vom Frosch, der im langsam erhitzten Kochtopf zu Tode kommt, ohne sich zu wehren (d.h. aus dem Topf zu springen). Damit soll irgendwie zum Ausdruck gebracht werden, dass quasi hinter unserem Rücken sich gewisse Vorgänge abspielen, miteinander verbinden und gegenseitig verstärken, die im Ganzen eines unschönen Morgens dazu führen, dass wir in einer Überwachungsgesellschaft aufwachen, in der eh alles schon zu spät ist.

Abgesehen davon, dass das Bild zur Beschreibung des heutigen Zustandes wenig taugt – Wohin denn würde ein datenschutzbewusster Frosch heute springen wollen? Wo liegt das sichere Jenseits der Ãœberwachung? -, und wir uns das arme Tier eher in der Mitte eines kochenden Swimming Pools vorstellen müssten, ist es zoologisch schlicht Unsinn. In Wirklichkeit ergreift ein Frosch schon ab einer Temperatur von 40° C die Flucht – sofern ein Deckel ihn nicht daran hindert.

Eigentlich interessant ist die Frage, warum Datenschützer, die sich ja auch als Bürgerrechtler verstehen, die Bürgerin oder den Bürger offenbar zwanghaft mit Fröschen vergleichen (oder sogar gleichsetzen?), die auch noch dümmer sind als echte Frösche. Abgesehen davon, dass das Frosch-Bild offenbar aus der Welt der Management- und Finanzberatung stammt, ist ist diese Redeweise vor allem Indiz einer (uneingestandenen) Überheblichkeit der »wissenden« Datenschützer/Aktivisten gegenüber der »dämlichen« Bevölkerung. Dieser Frosch sollte schleunigst aus unserer Diskussion verschwinden.