Month: November 2006

Mikrofone und Helmkameras

Nur kurz: Zwei aktuelle Meldungen über mögliche Erweiterungen von Videoüberwachung in Großbritannien. Erstens wird die Polizei im Londoner Stadtteil Haringey in einem Feldversuch ihre Beamten mit Mini-Kameras auf den Helmen ausrüsten, die dauerhaft aufzeichnen. Die Bilder werden auf einer Festplatte am Gürtel gespeichert. Ziel ist weniger Kriminalitätsreduktion, als die Bekämpfung antisozialen Verhaltens. “Wearable Cams” kennt man sonst nur aus Kinofilmen oder von Countersurveillance-Guru Steve Mann. Zusätzlich zu dieser Maßnahme sollen an mehreren Orten der Stadt “airport style search arches” aufgestellt werden, um Leute, die Waffen bei sich tragen, zu entdecken. Siehe auch hier.
Zum zweiten gibt es in der britischen Polizei offenbar Überlegungen, ein in den Niederlanden entwickeltes und verbreitetes System zur Stimmerkennung einzusetzen. In Kombination mit Mikrofonen könnte ein Überwachungssystem so Muster aggressiven Sprechens erkennen, ohne tatsächlich den Inhalt sämtlicher Gespräche aufzeichnen zu müssen. Datenschutzrechtliche Bedenken könnten so möglicherweise umgangen werden, allerdings hält sich die ACPO noch bedeckt und wünscht sich eine Diskussion vor einem möglichen Einsatz und trägt Bedenken vor, ob die Polizei auch über genügend Ressourcen verfügen würde, die zusätzliche Informationslast zu bewältigen. Siehe auch den Beitrag in Telepolis.

Nicht Schwarzfahren Рsondern v̦llig transparent

Die elektronischen Tickets der Londoner U-Bahn – auch als Oyster Cards bekannt – bieten vielfältige Möglichkeiten der Kontrolle. Für die Verkehrsbetriebe einerseits, für unbefugte andererseits. Was vielleicht, wenn anonym gehandhabt, als Mobilitätsdatensammlung zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs druchgehen könnte, wird angesichts des mangelnden Datenschutzes zu einem für alle einsehbaren Mobilitätsprofil und zur Maßregelungs-Karte durch die Betriebe selbst.

Die persönliche Karte enthält die Daten der letzten acht Reisen, während die Datenbank von Transport for London die Reisegeschichte von acht Wochen speichert. Danach muss sie gemäss Datenschutzgesetz von den persönlichen Daten getrennt werden. Die Aufzeichnungen seien nützlich, um einen schnellen Service zu garantieren und auf Rückerstattungsanträge einzugehen, sagt James Simpson.

Mehr und mehr dienen die Oyster-Card-Aufzeichnungen aber auch der Polizei dazu, die Bewegungen Tatverdächtiger zu überwachen. Simpson betont, dass die Daten nur auf Antrag von offizieller Seite herausgegeben würden. Laut einer Meldung der Abendzeitung «Evening Standard» geschieht dies immerhin ungefähr 170-mal im Monat, mehr als dreimal so häufig wie vor einem Jahr. Zusammen mit den 6000 CCTV- Kameras … im U-Bahn- System – … – liefern die Oyster Cards eine erkleckliche Zahl von Daten über das Leben der Londoner.

An diesem Beispiel wird die von Haggerty und Ericson skizzierte surveillant assemblage sehr deutlich und zeigt, was das eigentliche gefährliche der Kameras und der vielen “nützlichen Services” ist: deren Vernetzung und die wahllose Verwendung der Daten für ale und doch nicht jeden.

Videoüberwachung bei Wikipedia

Wissenschaft bedeutet auch den die Diskussion über Termini, Konzepte und die Hoheit über Deutungen. Auf Wikipedia kann man diese Prozesse oft sehr schön und nachvollziehbar beobachten. So auch zum Thema Videoüberwachung. Und in der deutschen Ausgabe ist eine doch recht heftige Debatte entbrannt, wie dieses Thema darzustellen ist, welche Argumente die richtigen sind, ob ein Artikel auf Wikipedia vor allem kritisch sein darf und welche Seiten der Kameras dort besprochen werden sollen (die Neutralität der Darstellung ist auch ein kleiner Diskussionpunkt in der englischen Ausgabe der Wikipedia zum Thema). Meiner Einschätzung nach ist der Artikel informativ, aber nicht akutell – Virilio und Foucault in der Literaturliste zeigen einmal mehr das Dilemma der Forschung zu Ãœberwachung deutscher Provienienz. Neuere Literatur, die es zu Hauf gibt, bleibt unerwähnt, neuere Forschung ebenfalls.

Der Streitpunkt in dem Artikel, ob private Kameras und die damit verbundenen Wünsche und Ziele andere sind, als die öffentlicher Linsen und die harsche Kritik von padeluun daran, bleiben eine Scheindiskussion – die Komplexität von Ãœberwachungssystemen, die sich mit Raum, Zeit und Zweck verändern und dynamisch auf andere Teile einer surveillant assemblage (K. Haggerty/R. Ericson) reagieren bleiben völlig unberücksichtigt.

Die Wahrnehmung und auch öffentliche Diskussion von Videoüberwachung bleibt dem großen Bruder-Diskurs verhaftet (und Foucault immer mittenmang…). padeluun mahnt eine bessere Diskussionkultur an, die sich jenseits von Wikipedia bewegt – ein guter Vorschlag – es wäre dann aber auch nötig die vorhandene Forschung zu Videoüberwachung wahrzunehmen, die nicht immer allen gefällt, weder den Politikern, noch den Aktivisten. Die Diskussion zeigt aber auch die letztlich unzureichenden Möglichkeiten des wissenschaftlichen Diskurses auf Wikipedia…

Aber auf der anderen Seite müssen aber auch Möglichkeiten erfunden werden, die das ganze Dingens mit der Freiheit weniger mühsam machen (Gesetze waren so eine Erfindung). “Stabil Versions” könnten in der Wikipedia eine vorübergehende (und schlechte, da technische) Lösung für ein soziales Problem sein. Eine korrekte Lösung wäre die Finanzierung von Wissens- und Diskursstrukturen. Dafür — vorsicht, jetzt wird’s schwulstig — müssen herrschende Strukturen endlich von der Produktions- auf die Kommunikationsgesellschaft umgestellt werden. Dazu ist noch eine Menge zu tun — und es wird nicht mit dem Editieren in der Wikipedia getan sein. (Wikipedia Diskussion zu Videoüberwachung)

Eine Literaturliste zu Ãœberwachung folgt hier in Kürze wie bereits versprochen…

Erfolg durch Kundenschüffelei – Tescos Clubcard

Der englische Supermarktgigant Tesco gibt Auskunft warum ihre Kundenkarte “Clubcard” so erfolgreich ist. 13 Millionen Kunden kaufen jede Woche in den Supermärkten der Kette ein – in England und rund um die Welt – und hinterlassen 5 Millarden Datenschnipsel, die dann von der zu Tesco gehörenden Datenverarbeitungsfirma Dunnhumby analysiert und im Hinblick auf Vermarktungsaspekte ausgewerten wird. Dabei sind die Verantwortlichen bei Tescos äußertst offenherzig.

“The joy of our sample is that it is so large, and because Tesco is so representative of the country it is the best source of insight a supplier can get.”

Ãœber Datenschutz und andere mögliche Probleme macht sich Tesco keine Gedanken – eher scheinen sie zumindest offiziell an die Wohltaten ihrer Karte nicht nur für den Supermarkt selbst zu glauben.

Martin Hayward, who has been director of consumer strategy and futures at Dunn-humby for the past two years, settles down in his chair in his small office around the corner from the lifts. “We use your purchasing behaviour to create a picture of the kind of person you are,” he explains, looking – in a pink shirt with the top buttons undone – far more like a media executive than a stats-man. “We often liken what Dunnhumby does to standing in the queue at the checkout. You are looking at someone’s shopping, you know, and you’re thinking, ‘Good God, you’re not going to last very long!’” He laughs, apparently imagining a conveyor belt loaded with junk food. “What we do at Dunnhumby is the same, just on a larger scale.”Using Clubcard data, Dunnhumby can tell that you have a new baby, or that your children have left home. It can judge your social class and knows whether you are a good cook. It also gives Tesco clues about what it could sell more of – and to whom.

Sicherheitsbericht und Erkenntnis

Der Sicherheitsbericht der Bundesregierung hat eine Kontroverse ausgelöst. Die einen freuen sich, die anderen warnen vor zu viel Wohlgefühl. Frau Merkel hatte noch vor einigen Tagen zu mehr Wachsamkeit aufgerufen und die Videoüberwachung war ihr da auch ein ganz wichtiges Thema. Das klang ein wenig wie nachgeplappert – aber mit dem Thema liegt egal welcher Politiker nie ganz falsch.

Maulkorb für Wissenschaft und Kritik?

Die Generalbundesanwältin Monika Harms ruft die Bevölkerung zu mehr Wachsamkeit vor Terroranschlägen auf. Das ist eigentlich positiv, denn niemand möchte Opfer eines Terroranschlages werden. Es bleibt nur die Frage, wie glaubwürdig die ständige Warnungen vor Terror und Unterwanderung sind – zumal die Diskussion auch auf die Einwanderungsdebatte und andere gesellschaftliche Diskurse übergreift.
Dann allerdings:

“Die Bevölkerung in Deutschland möchte einerseits maximalen Schutz. Auf der anderen Seite ist sie oftmals nicht bereit, Einschränkungen hinzunehmen – etwa eine stärkere Videoüberwachung auf Bahnhöfen.”

Und hier sehe ich die Arbeit von Datenschützern, Aktivisten und nicht zuletzt den Wissenschaftlern angegriffen, die sich mit dem Thema Ãœberwachung in kritischer Weise auseinandersetzen – und oftmals nicht einfach hinnehmen, was uns unter dem Mantel der Sicherheit und Terrorabwehr verkauft werden soll. Ich finde diese Kritik unangebracht. Angela Merkel hatte es vor kurzem allerdings noch deutlicher gesagt und damit alle Kritiker in die Nähe von Terroristen gebracht – das ist infam und wir sollten uns solcher Anschuldigungen auch im Kern und in ihren Anfängen erwehren.

CCTV im ÖPNV in Zürich

Endlich haben auch die Schweizer die Vorzüge der Videoüberwachung “zur Verbesserung der Sicherheit” in Nahverkehrsbahnen und auf den dazugehörigen Bahnhöfen entdeckt, wie in der NZZ von gestern nachzulesen ist. So soll jetzt auch in Zürich mittels CCTV für Ordnung und Sicherheit gesorgt werden. Ein Grund der Einführung sind die nicht näher beschriebenen positiven Erfahrungen, die durch ein Pilotprojekt gewonnen worden sind. Allerdings sollen die Kameras ab Januar 2007 nicht flächendeckend, sondern nur an bestimmten Haltestellen bzw. in Zügen bestimmter Linien eingesetzt werden. Denn wie immer hat wohl auch hier selbstverständlich niemand ein Interesse an einer flächendeckenden Kameraüberwachung…
Immerhin müssen Hinweisschilder angebracht werden. Zudem müssen die Aufzeichnungen nach 48 Stunden wieder gelöscht werden. Man darf auf die weitere Entwicklung gespannt sein…

Nachtrag: Int. Datenschutz-Ranking

Wie in einem Kommentar zu dem Bericht des Surveillance Studies Network angemerkt wurde, steht in dessen Bericht nichts über eine Datenschutz-Ranking, in dem Deutschland den ersten Platz einnimmt.

Das ist richtig, denn der Bericht über die verschiedenen Länder und ihre Anstrenungen in Sachen Datenschutz finden sich in einem zur gleichen Zeit veröffentlichten Bericht von EPIC und Privacy Interntional, die ebenfalls auf der entsprechenden Konferenz Anfang November anwesend waren.
Liest man den Bericht und die dazugehöriige Tabelle und Karte, dann sieht man, dass Deutshcland und Kanada wohl die ersten beiden Plätze belegen, aber nicht die höchste Punktzahl erreichen – also hier durchaus noch Verbesserungsbedarf herrscht.

Film: Alltag Ãœberwachung

Auf dem Weblog Onlinejournalimus.de findet man den Flash-Trailer einer 45 minütigen Dokumentation der Videojournalisten Roman Mischel und Fiete Stegers zum Thema Alltag Überwachung. Zu Wort kommen darin u.a. Thilo Weichert, Rena Tangens, sowie Vertreter der Innenministerien von Bund und Ländern. Einen Sendeplatz für die Dokumentation suchen die beiden Journalisten noch, von hier aus sei ihnen viel Erfolg dafür gewünscht.

Datenmissbrauch mittels Kundenkarten

Bei Spiegel-online steht heute ein netter Artikel zum Thema Kundenkarten, über die inzwischen angeblich über 90% aller erwachsenen Verbraucher verfügen. Ausschlaggebend für den Besitz einer oder mehrerer solcher Karten sei vielfach die Überschätzung der Rabatte wohingegen mögliche Negativauswirkungen unterschätzt werden würden, obwohl sie regelmäßig auftreten:

“Bei den in Deutschland angebotenen Kundenkarten gebe es flächendeckende Verstöße gegen den Datenschutz, heißt es in einem Gutachten des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2003. Auch die Ergebnisse dieser Studie besitzen unverändert Gültigkeit. Damals kritisierten die Datenschützer unter anderem, dass mit den Kundenkarten mehr Daten erhoben werden als notwendig. Auf diese Weise ließen sich detaillierte Kundenprofile erstellen, mit denen Kunden gezielt beworben werden können.”

Auch fehlende Transparenz wird angemahnt. Dabei wird vor allem auf die Risiken hingewiesen, die durch Weitergabe der Kundendaten und eine eventuelle Vernetzung – ein bislang nur wenig thematisierter Aspekt – dieser Daten bzw. ihrer Nutzer bestehen.