Preisverleihung 2016

Am 27. Januar wurde der Surveillance Studies Preis an den Journalisten Adrian Lobe verliehen.

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Ursula Rao, Marco Maas, Adrian Lobe, Nils Zurawski

Aus der Begründung der Jury für die Auswahl:

Adrian Lobe, freier Journalist und 27 Jahre jung, ist ein hochtalentierter Nachwuchsjournalist, der sich mit kritischer Verve dem zugewandt hat, was viele seiner Generation nur als Geschenk aus dem Datenhimmel wahrnehmen: Google, Facebook und andere Digitalien. [….] Aber während der mediale Mainstream schon reichlich die Auskundschaftung der Privatsphäre moniert hat, den destruierten Datenschutz und die Ausbeutung der geistigen Leistungen anderer, erweitert Lobe die Perspektive: hin zum Big Brother Google, der sich an die Stelle des Staates zu setzen versucht.  [….] Hier zeigt sich Lobe auch als studierter Politikwissenschaftler – aber als ein sprachgewandter, der die Waffen des Geistes mit dem Florett der Stilistik zu führen versteht. Lobes Beiträge, veröffentlicht vor allem im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, machen mustergültig vor, was Journalismus als Räsonnement vermag: Zeitgenossenschaft mit Skepsis zu verbinden, [….] und dem Leser eine glückliche Synthese aus Lesegenuss und Bildungserlebnis zu bieten. Modernes Feuilleton aus dem Geist der Gesellschaftskritik – so soll es sein.

Den Festvortrag hielt Prof. Dr. Ursula Rao, Ethnologin von der Universität Leipzig. Titel des Vortrages: Wie geht überwachen? Anmerkungen zum biometrischen Zeitalter. Der Vortrag ist nicht als Text vorhanden, aber hier lassen sich Teile daraus wiederfinden: U. Rao: Biometric Marginality. UID and the Shaping of Homeless Identities in the City’. 2013. In: Economic and Political Weekly Vol. 48, Issue No. 13, 30 Mar, 2013: 1-7. [als pdf-Download]

Erwähnung fand die Preisverleihung bei der FAZ selbst in dem Artikel: Der Mensch, das programmierbare Wesen (FAZ.net 20.1.2016) und selbstverständlich bei Telepolis.

Laudatio:

Marco Maas, Datenjournalist von opendatacity.de hielt die Laudatio auf Adrian Lobe, die hier im Wortlaut abgebildet ist.

“Ich war kürzlich bei einer Schulung für Führungskräfte bei einer Werberschule. Dort erklärte ein junger Dozent das Real-Time-Bidding von Webseitenbesuchern – also: Welcher Internetnutzer mit welcher bekannten Historie – Markus, 35, Steuerfachmann, interessiert sich für Yoko und Klaas, suchte gerade nach einer Reise – welche Anzeige gezeigt bekommt. Algorithmen bieten gemäß Schlagworten und Regeln sowie festgesetztem Budget auf die Anzeigenplätze. Bei dem Seminar kam eben dieser Markus tatsächlich in den Raum, eines von mehreren Teams ersteigerte ihn (von einem fixen Budget) und präsentierte ihm fiktive Anzeige. Er durfte diese dann Anklicken oder nicht – im Klickfall bekam das Team eine Prämie – so ging es mit 15 real existierenden Personen weiter.

Diese Übung war für alle erhellend: für die Werber, um die Mechaniken zu verstehen; und für die 20 echten Personae: die sich darüber klarer geworden sind, was mit ihnen im Netz geschieht.

Wir sind gerade gesellschaftlich in einem Umschwung – globale Firmen innovieren und beeinflussen die Gesellschaft durch ihre Dienstleistungen und Produkte so schnell, dass eine nationale Politik hier kaum noch steuern kann.

Ein paar kurze Beispiele:
– Im Silicon Valley habe ich einen Strampler präsentiert bekommen, der cloud-basiert das Wohlergehen des Kindes dokumentierte – wie voll ist die Windel, wie häufig bewegt/dreht sich das Kind, wie ist die Lautstärke, usw.
– In Polen gibt es Diskotheken, in denen sich Eltern per App auf die Überwachungskameras schalten können, um zu schauen, was der Nachwuchs so treibt.
– Und gestern bin ich über einen neuen Rasierer gestoßen, der nur mit App und Bluetooth – die Betonung liegt auf „NUR“ betrieben werden kann. Die Herren der Schöpfung erhalten ein Feedback über die Qualität ihrer Rasur und treten dem erlauchten „Grooming-Club“ bei.

Technologisch und gesellschaftlich versteht nur eine kleine Elite, wie dieser Wandel gerade passiert – zumeist überwiegt in der Debatte eine diffuse Angst vor der “Datenkrake Google”, obwohl die deutschen Medien allesamt mit dutzenden von Werbetrackern auf ihren Seiten mit den Daten ihrer Nutzer Geschäfte macht und Politiker ein “Deutschlandnetz” fordern.

Ein großes Problem der Menschen, der Gesellschaft, und speziell der Politik ist, dass sie recht zahlengläubig ist, und Big Data hier Lösungen verspricht, die es nicht halten kann – Algorithmen kann man nur auf Probleme loslassen, die sich messen lassen. Und oft werden entscheidende Faktoren einfach nicht abgefragt. ?Es gibt eine Ehrfurcht vor dem Algorithmus – ein quasi allwissendes, übermenschliches Werkzeug – aber jeder Entwickler weiß, dass ein Algorithmus im Grunde ein starres Regelwerk ist, und im ersten Schritt erstmal sehr dumm ausgestaltet ist. Nur im Problemfall passt ein Entwickler einen Algorithmus an – was nach außen oft mit „Intelligenz“ verwechselt wird.
Das Wissen um Algorithmen ist eines, dass die alle Entwickler, viele Wissenschaftler und einige kundige Journalisten eint – die meisten mir bekannten Politiker oder Entscheider und erschreckend viele Journalisten oftmals erstaunt hören.

Hier leistet Adrian Lobe mit seinen Artikeln in der FAZ wertvolle aufklärerische Arbeit, indem er anhand von greifbaren Beispielen zeigt, wo Fehlentwicklungen stattfinden, was die Positionen und Problemfelder sind. Er bleibt dabei alles andere als oberflächlich und seziert kundig die Themenwelten Überwachung, Privacy und das digitale neue Zusammenspiel.
Ich habe gerade vermehrt über das Internet der Dinge und Algorithmen und nicht von Überwachung gesprochen – bei den Beispielen wird glaube ich aber deutlich, dass diese beiden Themen eng miteinander verwoben sind.

Die Anzahl der Journalisten, die in der Lage sind, diese Fragen technologisch zu verstehen, gesellschaftlich einzuordnen und verständlich zu vermitteln ist in Deutschland sehr überschaubar. Frank Schirrmacher war einer der wenigen.
Diesen Bogen – oder auch diese Verbindung zwischen Surveillance und dem Internet der Dinge schlägt auch Adrian Lobe in seinen Artikeln.

Er erklärt an konkreten Beispielen, was eine Smart City ausmacht, ein Begriff, der gerade mit dem der Industrie 4.0 und Big Data herumgeistert. Er zeigt die Chancen, die ein omnipräsentes Sensorennetzwerk bringt, führt aber auch die Risiken auf und stellt die Frage, ob eine Gesellschaft diese Art der Kollaboration zwischen Sensor und Mensch voranbringt. ?Er verbindet gekonnt die technologische und die politisch-gesellschaftliche Ebene, wenn er von smarten Städten, Algorithmen und dadurch bedingten politischen Entscheidungen berichtet.

Ich persönlich wünsche mir, dass Adrian noch weiter in die Fußstapfen von Frank Schirrmacher geht, und dessen Weg weiterführt. ?Für seine Auf- und Erklär-Arbeit bekommt Adrian Lobe heute den Surveillance Studies-Preis.  Herzlichen Glückwunsch!”