Preisverleihung und Lecture 2017

Am 27.1. 2017 wurden in Hamburg die Surveillance Studies Preise vergeben. Sie gingen in diesem Jahr an die Journalistin Sarah Kriesche, Wien (Journalistinnenpreis) sowie an die beiden Nachwuchswissenschaftler Max Gedig, München und Kai Denker, Darmstadt.

Die Laudatio auf Sarah Kriesche hielt der Medienwissenschaftler Dr. Dietmar Kammerer (Marburg), die wir hier im Wortlaut dokumentieren. Die Surveillance Studies Lecture wurde von Prof. Dr. Birgit Däwes gehalten (die Präsentation folgt in Kürze).

Laudatio

Reden wir von Überwachung, so reden wir darüber meistens mit Blick auf eine paradoxe Zukunft. Eine Zukunft, die demnächst eintreten wird, eine Zukunft, die unser Leben im Hier und Jetzt bereits massiv verändert, eine Zukunft, die eingetreten sein wird, in einem unaufhaltsamen Futur II: die Überwachung wird sich durchgesetzt haben. Paradox oder selbstwidersprüchlich ist diese Rede über Zukunft insofern, als sie nicht mehr das Versprechen einer Offenheit enthält, einer Alternative, die zeigt, dass es auch ganz anders kommen kann. Überwachung wird sein und sie ist „schon da“, und alle Gegenmaßnahmen sind ihr gegenüber zu spät.

Was aber geschieht, wenn wir den Blick in die Vergangenheit richten? Ich zitiere aus einem Artikel einer US-amerikanischen Tageszeitung:

„Durch diese Technik haben alle Wände Ohren bekommen. Von nun an ist keine Unterhaltung mehr sicher, es sei denn, man führt sie in der Wüste oder man verständigt sich mit Hilfe der Gebärdensprache. […] Was wird nun aus unseren Geheimnissen? Überall warten Spionagegeräte nur darauf, unsere vertraulichen Gespräche zu wiederholen, sie zu übertragen und aufzuzeichnen. Was können wir dagegen tun?“

Sie ahnen es. Das Datum dieses Textes ist der Mai 1878 und der anonyme Autor bezieht seine Warnung oder Beschwerde auf die damals jüngste Erfindung von Thomas Alva Edison: den Phonographen oder „Stimmaufzeichner“, den Edison eigentlich als Diktiergerät für geschäftliche Korrespondenzen entwickelt hatte.

Techniken der Überwachung, die Warnungen davor und der Widerstand dagegen, sind keine Phänomene, die nur der Gegenwart zuzurechnen wären. Das ist die erste Lektion des Radiofeatures „Zeitreise Überwachung“ der Journalistin Sarah Kriesche. Auf eine zweite Lektion werde ich gleich zurück kommen.

In ihrem Feature nimmt Sarah Kriesche, begleitet von einigen HistorikerInnen und dem AK Vorrat, uns mit auf eine ganz besondere Stadtführung durch Wien. Nicht das barocke oder romantische Wien, nicht die malerischen Fassaden und verwinkelten Gässchen des Ersten Bezirks werden hier vorgestellt. Sondern die unscheinbaren Orte und die weniger bekannten Geschichten einer Stadt unter Überwachung. Der Ballhausplatz, einst Wohnsitz des Fürsten Metternich, ist eine der Stationen, ebenso das längst abgerissene Hotel Metropol, Leitstelle der Wiener Gestapo.

Gegenwart und Vergangenheit spiegeln sich auf diesem Rundgang. Wir erfahren, dass Gesundheitsdaten nicht erst durch elektronische Fitnessbänder, sondern im 17. Jahrhundert schon an den Stadttoren Wiens zum Schutz vor der Pest erhoben wurden. Wir lernen, dass nicht erst die NSA umfangreiche Programme zur Bespitzelung ausländischer Spitzenpolitiker entwickelt und durchgeführt hat. Schon auf dem Wiener Kongress 1814 waren Diplomaten vor den Lauschangriffen des Fürsten Metternich nicht gefeit. Aus Angst vor revolutionärem Gedankengut organisierte Metternich ebenso die massenhafte Überwachung schriftlicher Kommunikation, in so genannten „schwarzen Kabinetten“, in denen Briefe geöffnet, gelesen und wieder versiegelt wurden. Heute heißen diese Kabinette Cloud-Server und die Suche nach verdächtigen Bgriffen oder „Selektoren“ geschieht automatisch. Wiener Hausmeister arbeiteten nicht nur im Auftrag des Hauseigentümers, sondern kooperierten bereitwillig mit der Polizei. Heute tauft der britische Geheimdienst eines seiner Spähprogramme „Royal Concierge“.

Wir erfahren aber auch, und das ist die zweite Lektion, dass Widerstand immer möglich und wirklich war. Kein Spitzel und kein Zensor der Habsburger hat die Märzrevolution vorhergesehen. Noch im Gefängnis konnten Insassen Schriften gegen die Machthaber verfassen. Und selbst wenn dies nur ein schwacher Trost ist: Auch die Besitzer des Hotel Metropol konnten die Flut an eingehenden Informationen irgendwann nicht mehr bewältigen.

Der Blick zurück führt hier also nicht zu Resignation oder Indifferenz, zu einem: Das hat es immer schon gegeben. Sondern schärft unseren Blick nach vorn, macht deutlich, dass Geschichte immer dynamisch, unvorhersehbar und offen ist. Und er erinnert uns daran, dass wir es selbst sind, die unsere Zukunft in der Hand haben.

Die Jury setzte sich in diesem Jahr zusammen aus: Annette Hillebrand, Volker Lilienthal, Adrian Lobe, Anne Roth, Peter Schaar, Nils Zurawski und mir selbst. Für Ihren Beitrag „Zeitreise Überwachung“, das am am 26. Juni 2016 auf Ö1 erstmals ausgestrahlt wurde, verleihen wir den Surveillance Studies Journalistinnenpreis 2017 an Sarah Kriesche.

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