Rezension: Dark Matters

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Simone Browne: Dark Matters. On the Surveillance of Blackness, Durham: Duke University Press, 2015.

Von Meropi Tzanetakis, Wien

Die zunehmend mediatisierte Darstellung von tödlicher Polizeigewalt in den USA gegen Schwarze BürgerInnen legt nicht nur rassistische Motive polizeilichen Handelns offen, sondern kommuniziert diese mittels Social Media und klassischen Massenmedien auch ins deutschsprachige Mitteleuropa. An diesen historisch tief verwurzelten Rassismen in der US-amerikanischen Gesellschaft u.a. gegenüber AfroamerikanerInnen setzt auch das Buch von Simone Browne, Professorin für African and African Diaspora Studies an der University of Texas, an, welches damit immense aktuelle Bezüge aufweist. Die Autorin untersucht darin Zusammenhänge zwischen der Konstruktion von Rassenunterschieden und Ungleichbehandlung in der Entwicklung und Anwendung von Überwachungstechnologien.

Browne verweist auf eine wichtige Auslassung in der Literatur zu Überwachungstechnologien vor 9/11, welche eine umfassende „Überwachungsgesellschaft“ (Lyon, 2007) nach 9/11 erst möglich gemacht haben. Obwohl Schwarzsein im Alltag durchaus präsent ist, wie anhand unverhältnismäßig häufiger Verkehrskontrollen an Schwarzen oder eines überdurchschnittlichen Anteils an und höherer Strafen für Schwarze Männer innerhalb US-amerikanischer Gefängnisse gezeigt werden kann, spielt Schwarzsein in den interdisziplinär ausgerichteten Surveillance Studies bislang kaum eine Rolle. Die Autorin erweitert bestehende Zugänge von Überwachung um zwei miteinander verwobene, analytische Konzepte, dem „racializing surveillance“ und dem „dark sousveillance“. Dabei argumentiert die Autorin gut nachvollziehbar, dass gegenwärtige Technologien und Praktiken der Überwachung zwar durch die Nutzung neuer Technologien vorangetrieben werden, jedoch diese bereits in der transatlantischen Sklaverei einen Vorläufer haben. Durch das Offenlegen einer langen historischen Kontinuität möchte die Autorin zu einem erweiterten theoretischen und praktischen Verständnis aktueller Bedingungen von Überwachung beitragen, die rassistische Einschreibungen aufweisen.

Rekurrierend auf den Intersektionalitätsansatz der Schwarzen Feministin Patricia Hill Collins (2000), der sich überschneidende Unterdrückungssysteme wie „Rasse“/ Ethnizität, Geschlecht, soziale Schicht, Religion, sexuelle Orientierung, StaatsbürgerInnenstatus, Alter bezeichnet, führt Browne das Konzept der „racializing surveillance“ ein. Dieses umfasst eine Technologie sozialer Kontrolle, indem mittels Praktiken, Politiken und Performances von Überwachung rassische Konstruktionen von Begrenzungen, Grenzen und Körperzuschreibungen festgeschrieben werden und auf diesem Wege zur Aufrechterhaltung von Herrschafts- und Machtverhältnissen beiträgt. Obwohl das Konzept keine festgelegten Überwachungspraktiken beinhaltet, weisen die koloniale Expansion Europas und der transatlantische Sklavenhandel Vorgehensweisen auf, die soziale Beziehungen und Institutionen prägen und Weißsein privilegieren.

Während Browne mit „racializing surveillance“ oftmals diskriminierende und manchmal gewalttätige Behandlung von Betroffenen von Überwachungstechniken theoretisch erfasst, formuliert sie mit „dark sousveillance“ einen analytischen Rahmen, der Strategien, Imaginierungen und Gegenentwürfe zu jenen Überwachungspraktiken, die gegen Schwarzsein gerichtet sind, ermöglicht. Die Autorin erweitert dazu den von Mann, Nolan und Wellman (2003) geprägten Begriff und das Konzept „Sousveillance“, der aktive Unterwanderung von Machtverhältnissen durch Betroffene von Überwachung bezeichnet. Diese sollen durch das Sammeln von Daten der Überwachungsvorgänge zu einer Art Gegenkontrolle beitragen und dadurch die Wirkmächtigkeit von Überwachung neutralisieren. Für Browne sind dies Praktiken bzw. Strategien, sich selber vor repressiver Überwachung außer Sichtweite zu bringen oder vor Sklaverei in die Freiheit zu flüchten.

Das Buch gliedert sich neben einer Einleitung und abschließendem Nachwort in vier inhaltliche Kapitel. In „Notes on Surveillance Studies: Through the Door of No Return“ vergleicht Browne das 1786 von Jeremy Bentham entworfene Panopticon mit dem 1789 konstruierten Sklavenhandelsschiff Brooks in puncto Überwachung, „Rasse“/ Ethnizität und Wissensproduktion. Obwohl beide Entwürfe zur selben Zeit veröffentlicht wurden, gilt die Analyse Michel Foucaults (1979) zur disziplinierenden Kontrolle des Panopticons als Grundlage der Surveillance Studies, während Brooks in den interdisziplinären Studien bislang kaum Beachtung fand.

Im darauffolgenden Kapitel “Everybody’s Got a Little Light Under the Sun: The Making of the Book of Negroes” setzt die Autorin mit Disziplinierungstechniken und Ausübung von Macht über Schwarze Menschen fort. Die sogenannten Laternen-Gesetze verpflichteten im 18. Jahrhundert in New York City – unter Androhung von Strafe – Schwarze und indigene Sklaven zum Tragen von Lampen nach Einbruch der Dunkelheit, sofern sie nicht in Begleitung von Weißen waren. Anhand dieses Beispiels zeigt Browne, wie rechtliche Rahmenbedingungen den Weg für Überwachungstechnologien bereiten, die in ihrer Anwendung und Wirkung rassifiziert sind. Mit dem Book of Negroes von 1783 wird ein weiteres Beispiel für die Anwendung von biometrischen Informationstechnologien zur Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Schwarzen angeführt. Das Book of Negroes war ein staatliches Verzeichnis von 3000 Namen und körperlichen Identifikationsangaben, das den gelisteten, ehemals versklavten Personen Reisefreiheit zwischen den USA und Kanada ermöglichte – eine frühe Variante eines Reisepasses. Browne zeigt wie beliebig die Auswahl derjenigen war, die als entflohene Sklaven in dieses Buch aufgenommen wurden und anderen, denen als „entkommener Besitz“ die Aufnahme in das Buch verwehrt wurde. Dabei kam den rassifizierten Subjekten durch den „narrativen Akt“ als kreative Artikulationsform eine besondere Bedeutung zu, wie die Autorin herausarbeitet.

Im Kapitel “B®anding Blackness: Biometric Technology and the Surveillance of Blackness” verbindet Browne in ihrer Analyse biometrische Informationstechnologien mit transatlantischer Sklaverei. Während der Sklaverei wurde das Brandmarken von Sklaven mit einem glühenden Eisen als eine systematische Technik zur Markierung, Herstellung und Vermarktung von Schwarzsein als Ware eingesetzt. Die Brandmarkierung war eine Methode, um den Körper als Besitz lesbar zu machen und diente gleichzeitig der Objektivierung des Menschen als Sklaven, der gekauft, verkauft und gehandelt werden konnte. Mit dem Einschreiben von „Rasse“/ Ethnizität in die Haut von versklavten Menschen erläutert Browne die Herstellung von rassifizierten Körpern durch biometrische Überwachung. Die Autorin argumentiert weiter, dass die Geschichte des Brandmarkens während des Sklavenhandels auf eine ähnliche Weise zur Schaffung, Steuerung und Erhaltung gesellschaftlicher Ordnung nach Lyon (2007) beigetragen hat, wie gegenwärtige Überwachungspraktiken in Form von Reisepässen, Identifikationsdokumente oder Bonitätsdatenbanken.

Im vierten und letzten Kapitel „What did TSA Find in Solange’s Fro’?: Security Theater at the Airport” analysiert Browne intersektionale Überwachungserfahrungen von Schwarzen Frauen auf Flughäfen, legt rassistische sowie sexistische Praktiken offen und sieht im „talking back“ (hooks, 1989) eine kreative Strategie, diese diskriminierenden Überwachungstechniken und die Auferlegung von Normen zu hinterfragen. Anhand offizieller Statistiken zeigt die Autorin, dass Schwarze US-Amerikanerinnen überproportional häufig auf Flughäfen abgetastet, geröntgt oder einer Leibesvisitation unterzogen werden. Während auf Flughäfen annähernd jedeR zumindest zeitweise als verdächtig angesehen wird, so Browne, werden manche Reisende durch geschlechtsspezifische und rassistische Annahmen, die in institutionalisierte Überwachungsinstrumente eingeschrieben werden, als besonders verdächtig konstruiert.

Das Buch ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die einen wichtigen Beitrag im Forschungsbereich der Surveillance Studies darstellt. Simone Brownes Leistung ist es u.a., historische Bezüge zwischen transatlantischem Sklavenhandel und systematischer Überwachung sichtbar zu machen sowie anhand aktueller Beispiele eine Kontinuität in der Fortschreibung rassifizierter Überwachungstechnologien eindringlich darzulegen. Obwohl primär in den USA verortet, liefert das Buch wichtige Denkanstöße und kritische Reflexionsmöglichkeiten für die Verknüpfung von rassistischer Diskriminierung und Überwachungstechniken, auch in einem deutschsprachigen Europa.

Referenzen:

hooks, b. (1989). Talking Back: Thinking Feminist, Thinking Black. Boston: South End Press.

Collins, P. H. (2000). Black Feminist Thought: Knowledge, Consciousness and the Politics of Empowerment, 2nd ed. London: Routledge.

Foucault, M. (1979). Discipline and Punish: The Birth of the Prison. New York: Vintage.

Lyon, D. (2007). Surveillance, Security and Social Sorting. Emerging Research Priorities. International Criminal Justice Review, 17(3): 161-170.

Mann, S., Jason, N. & Wellman, B. (2003). Sousveillance: Inventing and Using Wearable Computing Devices for Data Collection in Surveillance Environments. Surveillance & Society, 1(3): 331-355.

Meropi Tzanetakis, Vienna Centre for Societal Security

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